Manchmal geht gefühlt alles schief: Sie rennen zur Straßenbahn und obwohl der Fahrer Sie noch sieht, fährt Ihnen diese vor der Nase weg. Im Büro schüttet Ihnen jemand Kaffee über Ihr neues Hemd. Und eine Kundin kommt zum wichtigen Termin deutlich zu spät. Wie sehr wir in solchen Situationen mit Ärger reagieren und anderen böse Absicht unterstellen, hängt mitunter davon ab, wie wir mit unseren eigenen Gedanken und Gefühlen in der Situation umgehen.
Verärgert? Wenn wir anderen deshalb böse Absichten unterstellen
Menschen unterscheiden sich sehr darin, wie sie auf negative Situationen wie die eingangs beschriebenen Reagieren – d.h. insbesondere darin, wie sehr sie sich ärgern und wie sehr sie anderen negative Absichten unterstellen. Letzteres beschreibt die Tendenz, dass wir in mehrdeutigen sozialen Situationen mit anderen dazu neigen können, die Absichten anderer als böswillig zu interpretieren (der sogenannte hostile attribution bias).
In diesen Gedanken und Gefühlen bleiben Menschen oft „stecken“ und können – auch wenn diese Erlebnisse objektiv gesehen vielleicht gar nicht so tragisch sein mögen – irgendwie nicht davon ablassen, was ihnen hier passiert ist. Dann kann ein negativer Gedanke zum nächsten führen, was wiederum dazu führt, dass wir die Absichten des anderen noch negativer interpretieren. Diesen negativen „Gedankenfluss“ zu stoppen, ist manchmal gar nicht so einfach. Wie lässt sich also darüber hinwegkommen?
Wie lässt sich dem Ärger entgegenwirken? Auf die Betrachtung kommt es an
In einer Reihe von drei Studien gingen Kim Lien van der Schans, Johan C. Karremans und Rob W. Holland (2020) dieser Frage nach. Sie nahmen an, dass es darauf ankommt, mithilfe welcher Strategien Menschen diese negativen Gedanken und Emotionen betrachten :
- Sie können sich einerseits ganz genau auf diese negativen Gedanken und Gefühle konzentrieren und vollkommen darin eintauchen (immersive Strategie)
- Sie können sich andererseits aber auch darauf konzentrieren, den Ärger auf eine solche Situation zwar wahrzunehmen, aber die Situation und den damit verbundenen Ärger eher als vorübergehende Dinge zu betrachten, die auftauchen und auch wieder verschwinden – ähnlich wie wenn wir im Zug sitzen und den Blick aus dem Fenster schweifen lassen, während Dinge draußen auftauchen und wieder verschwinden. Letztere Strategie stammt aus der Forschung zu Achtsamkeit und lässt sich als distanzierte oder dezentrierte Strategie bezeichnen.
Mit der letzteren Betrachtung sollte es uns eher gelingen, negative Emotionen und Gedanken über die möglichen Absichten des anderen gehen zu lassen und über eine solche Situation hinweg zu kommen.
Die Studien: In Gefühle eintauchen oder sie vorüberziehen lassen
In ihren Studien baten die Forschenden die Teilnehmenden daher, in einer Vorher- und Nachhermessung in Bezug auf eine Reihe von Situationen anzugeben, wie ärgerlich sie sich fühlten und wie sehr sie den Protagonisten in den Situationen negative Absichten zuschreiben würden. Dazwischen wurden Sie angeleitet, entweder die eine oder die andere Strategie anzuwenden.
Es handelte sich um insgesamt 14 kurze Szenarien mehrdeutiger sozialer Situationen, die die Teilnehmenden über Kopfhörer anhörten. Beispielsweise hörten sie Situationen wie: „Stellen Sie sich vor, Sie steigen in einen vollen Bus ein. Glücklicherweise finden Sie einen Sitzplatz. Aber gerade als Sie sich neben jemanden setzen wollen, stellt diese Person stellt diese Person ihre Tasche auf den Sitz“. Nach jedem Szenario gaben die Teilnehmenden an, wie sicher Sie sind, dass die andere Person dies absichtlich getan hat; wie ärgerlich sie sich in der Situation fühlen; und wie groß ihr Wunsch nach „Vergeltung“ wäre.
Zudem wurden die Teilnehmenden in zwei Gruppen in einer Übung am Anfang und nach jeder Situation aufgefordert,
- sich entweder „so lebhaft wie möglich die Situation vorzustellen“, ihre Gedanken und Reaktionen zu bemerken und festzuhalten (also die immersive Strategie anzuwenden)
- oder aber „ihre Gedanken zu beobachten, wie sie auftauchen und anschließend wieder verschwinden“; sie sollten sich also zurücklehnen und lediglich beobachten, wie ihre Emotionen und Gedanken kommen und gehen (also die dezentrierte Strategie anwenden).
Wie vorhergesagt, neigten die Teilnehmenden weniger dazu, ihrem Gegenüber feindselige Absichten zu unterstellen, wenn sie die dezentrierte (b) als wenn sie die immersive (a) Strategie angewendet hatten. Darüber hinaus schien die dezentrierte Strategie besonders hilfreich für die Personen zu sein, die generell angaben, dass sie stark zum „Grübeln“ neigen.
Gedanken vorüberziehen zu lassen kann Ärger und andere Reaktionen abmildern
Die Ergebnisse zeigen die Wirkung einer relativ „simplen“ (wenn auch sicher nicht immer einfach anzuwendenden) Strategie auf: In mehrdeutigen und sensiblen zwischenmenschlichen Kontexten, wenn das Verhalten einer anderen Person nur potenziell gegen einen selbst gerichtet ist und vielleicht eben auch nicht, könnte es also helfen, sich daran zu erinnern, dass die eigenen anfänglichen Gedanken und Emotionen lediglich vorübergehende Reaktionen sind — und nicht notwendigerweise mit der Realität (d.h. den tatsächlichen Absichten des anderen) übereinstimmen.
Quelle: Van der Schans, K. L., Karremans, J. C., & Holland, R. W. (2020). Mindful social inferences: Decentering decreases hostile attributions. European Journal of Social Psychology, 50, 1073-1087. https://doi.org/10.1002/ejsp.2657