Von der Dampfmaschine zur smarten Fabrik: Inzwischen sind wir bei Industrie 4.0 angelangt. Zwei wichtige Megatrends der (nahen) Zukunft lauten smarte Automatisierung und Robotik. Welche Auswirkungen hat das auf die Art, wie wir arbeiten?
Von der Industrie 1.0 zur Industrie 4.0
In einem umfangreich mit Studien belegten Bericht im Auftrag der Welt Bank (2018) zeichnen Mary Hallward-Driemeier und Gaurav Nayyar die Entwicklungen der globalen Industrie seit dem späten 18. Jahrhundert nach: Mit der Erfindung der Dampfmaschine und des Webstuhls entstand Ende des 18. Jahrhunderts die Industrie 1.0. In welcher menschliche Arbeitskraft durch maschinelle Abläufe ersetzt und ergänzt werden konnten. Die Elektrizität rund hundert Jahre später ermöglichte im späten 19. Jahrhundert Massenproduktion durch Fließbänder – die Industrie 2.0. Wiederum rund 100 Jahre später eröffneten im späten 20. Jahrhundert Informations- und Kommunikationstechnologien völlig neue Arten der Zusammenarbeit und ein bis dahin ungeahntes Ausmaß an Produktivität und läuteten die Industrie 3.0 ein. Jetzt, nur ca. 30 Jahre später zeichnen sich in vielen Branchen bereits Vorläufer der Industrie 4.0 ab – wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters der industriellen Fertigung.
Megatrends der Industrie 4.0
Zwei der wichtigsten Megatrends der Industrie 4.0 sind laut Hallward-Drienmeier und Nayyar’s Bericht smarte Automatisierung und Robotik. Bei smarter Automatisierung geht es insbesondere um ’smarte Fabriken‘, in denen Maschinen mithilfe von Sensoren und künstlicher Intelligenz selbstständig Arbeitsabläufe koordinieren. Beispielsweise können mittels intelligenter Sensortechnik Lagerbestände automatisch ermittelt werden. Nach bestimmten Kriterien kann die Lager-Logistik-Software dann selbstständig Bestellungen vornehmen oder einen Lieferstopp anstoßen. Damit verbunden kommen in Fabriken auch auch verstärkt (intelligente) Roboter zum Einsatz, die komplexe menschliche Tätigkeiten ersetzen. Wo früher FabriksarbeiterInnen am Fließband standen, stehen nun immer häufiger Roboter, die präzise und blitzschnell die Tätigkeiten verrichten, die bisher „von Menschenhand“ ausgeführt werden mussten.
Wie verändern diese Megatrends die Arbeitswelt?
In den Medien wird meist die mit Automatisierung und Robotern einhergehende Arbeitslosigkeit von niedrig qualifizierten Arbeitskräften problematisiert. Was dabei oft übersehen wird ist, dass diese Trends auch auf die im Unternehmen verbleibenden Arbeitskräfte massive Auswirkungen haben. Hier sind ein paar Gedanken dazu:
Lernen und Entwicklung:
Aus Hallward-Drienmeier und Nayar’s Sicht werden viele Jobs durch die Trends verloren gehen. Allerdings nicht die Jobs von heute – also die bereits bestehenden Arbeitsplätze -, sondern die Jobs von morgen, die nicht mehr geschaffen werden. Andererseits können dadurch erst ganz neue Berufsfelder entstehen, die heute noch gar nicht vorhersagbar sind. Nicole Behringer hat in diesem Zusammenhang vor Kurzem in einem Beitrag hier auf wissensdialoge.de über Künstliche Intelligenz in der Personalentwicklung geschrieben. Möglicherweise werden Menschen in Zukunft nicht nur im Laufe ihres Lebens ihren Arbeitgeber wechseln (was vor 30 Jahren noch völlig unüblich war), sondern gleich die ganze Profession.
Selbstwert und Identität von einzelnen:
Automatisierung verändert die Arbeitsaufgaben von Menschen und damit die erforderlichen Skills. Gleichzeitig kann sich das massiv auf den Selbstwert bzw. die Identität der Person auswirken – sowohl positiv als auch negativ. Tendenziell werden Personen eher für hochqualifiziertere Arbeiten eingesetzt werden als zuvor (z.B. Programmierung, Wartung von Maschinen). Welche Probleme dadurch entstehen können, habe ich vor einiger Zeit in wissens.blitz (142) bzw. in einem Artikel im Magazin Industrie 4.0 Management beschrieben. Wenn die Person aber beispielsweise zuvor eine unangenehme Arbeit gemacht hat, und danach lernt, eine Maschine zu bedienen, die diese Arbeit erledigt, kann das eine Verbesserung der Arbeitssituation sein. Das heißt, es könnte sich unter Umständen sogar positiv auf den Selbstwert der Person und deren Arbeitszufriedenheit auswirken.
Teamarbeit:
Mit steigender Intelligenz von Maschinen und Sprachsoftware können neue Formen von Interaktionen entstehen, die mehr und mehr einer ‚interkulturellen‘ Form von Teamarbeit zwischen Menschen und Maschinen ähneln. Johannes Moskaliuk hat hier auf wissensdialoge.de ein paar Gedanken zur Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen mit Künstlicher Intelligenz aufgeworfen. Auch wenn man sich das vielleicht nicht unbedingt so vorstellen kann, wie in diversen Star Trek-Formaten und auch romantische Beziehungen am Arbeitsplatz mit künstlichen Assistentinnen wie im Film „Her“ wohl noch in etwas fernerer Zukunft liegen – es ist durchaus wahrscheinlich, dass sprechende Maschinen verstärkt als Akteure in Arbeitsroutinen eingebunden werden und wir mit ihnen interagieren wie mit Menschen. In wissens.blitz (192) beispielsweise erklärte Gastwerker Jürgen Buder, dass rund 70% der Menschen, die Computer nutzen, manchmal mit ihnen schimpfen. Was, wenn die Maschine auf einmal antwortet?
Führung und Verantwortung:
Besonders spannend finde ich, wer wen führen wird (Mensch und/oder Maschine) und wer die Verantwortung für Entscheidungen trägt. Kristin Knipfer stellte in einem ihrer Beiträge auf wissensdialoge.de die Frage „Würden Sie für einen Roboter arbeiten?“ Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Inwieweit können Maschinen überhaupt „führen“ und inwieweit können sie Verantwortung tragen und moralisch richtige Entscheidungen treffen? Die Maschine macht das, wofür sie programmiert wurde – wer programmiert aber die Maschine? Und wer bestimmt, nach welchen Kriterien sie lernt, sich weiter entwickelt und Entscheidungen trifft? Solche Fragen werden häufig in Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos diskutiert (z.B. Wer ist Schuld an einem tödlichen Unfall?). Sie werden sich aber auch in „Smart Factories“ stellen – nicht nur, wenn es einen Betriebsunfall gibt, sondern auch, wenn beispielsweise von einem verderblichen Material zu große Mengen hergestellt wurden.
Einige dieser Themen sind spannend und interessant und eröffnen neue Möglichkeiten. Andere Aspekte erscheinen schwierig und wirken bedrohlich. Aber Fakt ist: Der technologische Fortschritt ist unumkehrbar. Unternehmen (und ganze Gesellschaften) sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, welche neuen Herausforderungen das mit sich bringt, aber auch, welche Möglichkeiten dadurch entstehen können. Unternehmen sollten sich auf die Veränderungen einstellen und eventuell bereits entsprechende Maßnahmen (Trainings, Umstrukturierungen, etc.) ergreifen.
Quelle (Studie der World Bank): Hallward-Driemeier, Mary & Nayyar, Gaurav (2018). Trouble in the Making? The Future of Manufacturing-Led Development. Washington, DC: World Bank. doi:10.1596/978-1-4648-1174-6. License: Creative Commons Attribution CC BY 3.0 IGO