Über 70% aller Menschen, die Computer nutzen, geben an, schon mal mit ihrem Computer geschimpft oder ihn sogar verflucht zu haben. Woran das liegt, erklärt dieser wissens.blitz.
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Warum wir Computern menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zusprechen.
Wer kennt das nicht – der Fortschrittsanzeiger für die Installation der neuen App verändert sich kaum, und man drückt hörbar seine Ungeduld aus („Mach hin!“). Und wer hat nicht schon für einen kurzen Moment bei einem Computerabsturz gedacht, dass die Technik sich gegen einen verschworen habe? Offensichtlich neigen wir dazu, Computer und Maschinen zu vermenschlichen: Wir reden mit ihnen, obwohl wir wissen, dass sie uns nicht hören können; oder wir unterstellen ihnen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften und menschliche Motive (z.B. „unzuverlässig“, „gemein“).
Der Kommunikationswissenschaftler Clifford Nass hatte sich bereits Ende der 1990er Jahre mit diesem Phänomen befasst. Seine These: Es bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Mensch-Computer-Interaktion und der zwischenmenschlichen Kommunikation. So „reagiert“ der Computer z.B., wenn man einen „Befehl“ ausführt. Unser Gehirn sei daher gar nicht in der Lage, mit Computern anders zu interagieren als mit Menschen, so Nass weiter. Nass prägte die sogenannte CASA-Hypothese, wonach „Computer als soziale Akteure“ wahrgenommen werden.
Dabei unterstellen wir Computern nicht ständig menschliche Verhaltensweisen. Eine Forschergruppe um Adam Waytz in Chicago hat eine Theorie vorgestellt, warum und unter welchen Bedingungen wir Computer und andere nicht-menschliche Wesen (z.B. Gottheiten oder Haustiere) vermenschlichen. Der Grundgedanke der Theorie beruht auf sozialpsychologischer Forschung zum Egozentrismus. Wir gehen erst einmal von uns selbst aus, wenn wir andere Menschen betrachten und beurteilen sollen. Diese egozentrische Sichtweise wenden wir automatisch auch an, wenn wir Computer beurteilen. Normalerweise werden solche automatischen Schlussfolgerungen anschließend korrigiert, doch unter bestimmten Bedingungen unterlassen wir diese Korrektur – dann machen wir den Fehlschluss, Computern menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
Unter welchen Bedingungen schreiben wir Computern menschliche Eigenschaften zu?
Der Hang zur Vermenschlichung tritt z.B. eher bei Menschen auf, die ein geringes Kognitionsbedürfnis haben. Sie denken weniger gern vertieft nach, weshalb der notwendige Korrekturprozess häufig ausbleibt. Wer Schwierigkeiten damit hat, mehrdeutige Informationen zu tolerieren und dazu neigt, voreilige Schlüsse zu ziehen, wird ebenfalls zur Vermenschlichung von Computern tendieren. Zudem kann ein Gefühl von Einsamkeit dazu führen, schneller etwas Menschliches in einem nicht-menschlichen Wesen (z.B. Haustier) zu erkennen.
Das Phänomen der Vermenschlichung von Computern hängt aber nicht nur von Eigenschaften der Personen ab, sondern auch von Eigenschaften des Computers. Zahlreiche Studien haben belegt, dass die Tendenz zur Vermenschlichung umso eher auftritt, je ähnlicher ein Objekt (z.B. Computer oder Roboter) aussieht und sich verhält wie ein Mensch. Wir reagieren besonders stark auf das Vorhandensein von „Augen“ (selbst wenn sie nur aufgemalt sind), auf das Vorhandensein einer menschlichen Stimme, und auf menschenähnliche Bewegungen.
Interessanterweise betrachten wir ein Verhalten auch dann als menschenähnlich, wenn es nicht immer eindeutig vorhersagbar ist. Dann nämlich unterstellen wir, dass das, womit wir interagieren (ein anderer Mensch, ein Haustier, ein Computer) einen eigenen Willen habe. Tatsächlich haben mehrere Studien gezeigt, dass Computern und Haustieren eher ein eigener Wille und somit Menschenähnlichkeit unterstellt wurde, je weniger deren Verhalten vorhersagbar war. Solange ein Computer sich so verhält, wie wir es erwarten, ist der Grad der Vermenschlichung gering; aber sobald etwas Unerwartetes geschieht (Computerabsturz), gelingt es nicht mehr, die automatische und egozentrische Tendenz zur Vermenschlichung zu korrigieren: wir schimpfen mit unseren Computern.
Literaturnachweis:
Epley, N., Waytz, A., & Cacioppo, J. T. (2007). On seeing human: A three-factor theory of anthropomorphism. Psychological Review, 114(4), 864-886. DOI: 10.1037/0033-295X.114.4.864
Reeves, B., & Nass, C. (1996). The media equation: How people treat computers, television, and new media like real people and places. New York: Cambridge University Press.
Zitieren als: Buder, J. (2018). Warum schimpfen wir manchmal mit unseren Computern?. wissens.blitz (192). https://wissensdialoge.de/wenn_wir_computer_vermenschlichen