Unangebrachte Komplimente am Arbeitsplatz

Vor einigen Jahren gab es hitzige Diskussionen zu sogenannten „Herrenwitzen“. Ausgelöst wurde die Debatte durch eine Situation, in der ein älterer Herr einer jüngeren Dame, die in einem professionellen Verhältnis zu diesem Herren stand, ein Kompliment zu ihrem Dekolleté gemacht hat. Als die Dame – eine Journalistin – darüber berichtete löste das eine Welle der Reaktionen aus. Einerseits gab es viele Menschen, die Ähnliches erlebt hatten: Personen in Machtstellung machen einer abhängigen oder unterstellten Person Komplimente und diese werden als unangebracht empfunden. Spannenderweise gab es andererseits aber auch hitzige Debatten darüber, ob die Debatte überhaupt nötig ist, und es war vielen alten Herren schwer zu vermitteln, warum sich die betroffene Dame über das Kompliment nicht einfach gefreut hat. Wir haben es hier also mit einer gehörigen Perspektiven-Divergenz zu tun. Aus sozialpsychologischer Sicht eine spannende Situation.

Gehen wir eine ähnliche Situation doch mal durch: Stellen Sie sich vor: Sie präsentieren im Team Befunde aus Ihrem Projekt. Am Ende applaudiert das Publikum und die Teamleitung sagt: „Das haben Sie schön gemacht. Und Ihr Lächeln ist auch einfach charmant“. Das kann man nett finden. Das kann man aber auch nervig, unangebracht, ignorant oder übergriffig finden. Warum?

Nervig. Sie wollen in einem Gespräch über Thema A reden, die andere Person spricht aber über Thema B. Das ist nervig, denn Thema B gehört gerade nicht hierher.

Unangebracht. Sie wollen über Thema A reden, die Person macht Ihnen aber stattdessen Komplimente – dies ist unangebracht, denn die persönliche Ebene gehört nicht hierher.

Ignorant. Sie sind in einer bestimmten Rolle und wollen (oder müssen) in Ihrer Rolle ein bestimmtes Thema bearbeiten. Natürlich möchten Sie in dieser Situation als kompetentes Teammitglied, als kreativer Architekt, als gute Statistikerin etc. gelten, mit anderen Worten: Ihre Rolle gut ausfüllen, denn Sie vertreten gerade Ihr Team, Ihre Firma, oder Ihren Beruf. Ihr Gesprächspartner macht Ihnen stattdessen Komplimente. Damit missachtet Ihr Gesprächspartner Ihre Rolle in dieser Situation und zwingt Sie in eine andere Rolle (z.B. die der Frau). In der Sozialpsychologie wird diese Erfahrung als Bedrohung durch Kategorisierung bezeichnet: wenn man in einer Situation eine bestimmte Gruppe vertritt (z.B. die Berufsgruppe), stattdessen aber nur als Mitglied einer anderen Gruppe (z.B. Migrant oder Mann) wahrgenommen und behandelt wird, dann ist das unangenehm und löst negative Gefühle aus. Die Tatsache, ungewollt in eine Schublade gesteckt zu werden, die in der Situation nicht relevant ist, kann leicht vom eigentlichen Thema ablenken und Ihre Leistung vermindern. Statt über die Sache nachzudenken, wird ein Teil des Arbeitsgedächtnisses dadurch besetzt, mögliche Stereotype der in dieser Situation unangebrachten Kategorie (z.B. „Frauen müssen hübsch sein“) zu unterdrücken. Sie werden also mit dieser unangebrachten Kategorisierung in Ihrer Arbeit gehindert.

Übergriffig. Wenn das alles noch von einer Person ausgeht, die mächtiger oder status-höher ist als Sie selbst, und möglicherweise noch vor Publikum, dann kommt noch hinzu, dass es ein Missbrauch von Macht ist, der sich auf der sexuellen Ebene abspielt. Es ist besonders schwer, sich dagegen zu wehren, weil das Opfer in einer abhängigen Situation ist, weil das Thema peinlich und voller Mythen ist (z.B. Victim blaming, d.h. die Annahme, das Opfer hätte das Verhalten gewollt oder sogar provoziert), und weil die Machtdemonstration unter dem Deckmäntelchen einer Nettigkeit passiert und somit schwerer zurückzuweisen ist.

Was können wir also tun?

Wenn Sie selbst zu den Menschen zählen, die das nur nett meinen: Suchen Sie sich einen anderen Weg, um witzig und charmant zu sein!  Zeigen Sie Mitarbeitenden gegenüber erstmal Respekt für ihre Arbeit und ihre Rolle – denn das definiert Ihre gegenseitige Beziehung. Alles andere gehört in den privaten Kontext! Natürlich gibt es die persönliche Ebene, und die Anzahl der Ehen, die sich im beruflichen Kontext angebahnt haben, zeigt ja, dass die Arbeit ein guter Ort ist, um Freund:innen oder auch Partner:innen zu finden. Trotzdem gehört baggern nicht in die Arbeitssitzung. Wenn Sie persönliches Interesse an jemanden haben, der mit Ihnen arbeitet und Ihnen in der Arbeitshierarchie untergeordnet ist, dann bekunden Sie eindeutig außerhalb Ihrer Rolle das Interesse! Persönliche Komplimente und Baggern gehören nicht an den Arbeitsplatz, sondern sollten bewusst davon getrennt werden. Warten Sie geduldig auf eine private Gelegenheit, z.B. auf ein zufälliges Treffen auf der Straße, an der Kaffeemaschine, oder in Gottes Namen auf die Weihnachtsfeier!  Formulieren Sie bewusst und explizit Ihr Interesse als Privatperson.

Wenn Sie als Dritte/r Zeuge sind: Dann sorgen Sie durch einen Hinweis dafür, dass das soziale Klima solche Grenzüberschreitungen nicht zulässt. Sie selbst sind, anders als die kategorisierte Person, wahrscheinlich nicht schockiert oder angegriffen, verwirrt oder gedemütigt. Um ein soziales Klima zu schaffen, das Übergriffe nicht zulässt, ist es am wirksamsten, wenn möglichst viele Kolleg:innen Diskussionen darüber hören und sich beteiligen. Wenn Sie aber nicht öffentlich darauf hinweisen möchten oder können, dann sprechen Sie die Person, die sich übergriffig verhalten hat, später an und weisen sie auf die Unangebrachtheit ihres Verhaltens hin. Sprechen Sie mit Kolleg:innen und zeigen Sie der Person, auf die sich die Äußerung bezog, dass sie Unterstützung hat. Wenn Sie Wiederholungen oder sogar körperliche Übergriffe wahrnehmen, melden Sie das unbedingt auch unabhängigen Stellen.

Wenn Sie selbst unangebrachten Kommentaren ausgesetzt sind: Es ist normal, wenn Sie in der Situation sprachlos sind, wütend oder gedemütigt. Wenn Sie können, weisen Sie die Person, die unangebrachte Dinge gesagt hat, darauf hin, dass das er/sie z.B. das Thema verfehlt hat („Mein Lächeln tut hier nichts zur Sache“). Werden Sie unter Umständen auch ruhig deutlicher, dass Ihre gegenseitige Beziehung das nicht hergibt („Mein Lächeln geht Sie gar nichts an“). Sollte Ihnen das in der Situation nicht möglich sein, können Sie das Thema auch in einem ruhigen Moment später ansprechen. In den meisten Fällen passieren solche Übergriffe aus fehlender Information und Perspektivenübernahme und sind „gut gemeint“. Wenn möglich, halten Sie es also wie eine gute Grundschullehrerin und informieren Sie die Person über die Unangebrachtheit ihres Verhaltens und wie es besser geht. Wenn das Machtgefälle das nicht hergibt, verbünden Sie sich mit Anderen und holen sich Unterstützung: Sprechen Sie mit Kolleg:innen oder anderen Vorgesetzen. Nur so können Sie für das Thema sensibilisieren, das Klima am Arbeitsplatz verändern und die Wahrscheinlichkeit für weitere Übergriffe für alle verringern.