Ohne Veränderungen gibt es keine Weiterentwicklung. Aber nicht immer sind Veränderungen angenehm: sie fordern Kraft und Anpassungsvermögen. Die Forschung zeigt, dass eine große Anzahl von stabilen Rollen und eine gute Kompatibilität zwischen alten und neuen Rollen das Wohlbefinden bei Übergängen verbessert.
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Übergänge stören die Selbst-Kontinuität
Herr Braun hat einen Übergang hinter sich, der zwar erfreulich ist, ihn aber auch durcheinanderbringt. Übergänge, wie z.B. die Aufnahme einer Ausbildung, der Wechsel der Arbeitsstelle, der Beginn der Rente oder Beförderungen fordern Kraft. Obwohl viele dieser Übergänge wünschenswert sind, zeigt die Forschung, dass Umbrüche uns zwingen, unser Selbst- und Rollenverständnis an die neuen Umstände anzupassen. Fragen wie: „Wer bin ich?“ „Welche Verhaltensweisen sind noch angebracht?“ „Wie ist mein Verhältnis zu meinen alten / neuen Kolleg:innen?“ „Wie verändert sich die Bewertung meiner Arbeit?“ sind normal, können aber verunsichern und das Wohlbefinden kurzfristig beeinträchtigen. Denn das Verständnis, wer wir selbst sind, hängt in großem Maße davon ab, in welchen Gruppen wir aktiv sind und welche Rollen wir einnehmen. Alle Veränderungen in der Gruppen- und Rollenstruktur verändern auch das Selbstbild und stören damit die Selbst-Kontinuität: das Gefühl, eine stabile Persönlichkeit zu sein, die sich auf Werte und Netzwerke verlassen kann. Das „social identity model of identity change“ (kurz: SIMIC Modell) zeigt Umstände auf, die den Rollenwechsel bei Übergängen erleichtern.
Viele Rollen erleichtern Umbrüche
Das Gefühl der Selbst-Kontinuität basiert selten auf einer einzigen Rolle oder Gruppenmitgliedschaft. Die Forschung hat gezeigt, dass mehr Rollen vor dem Übergang dazu führen, dass Übergänge leichter erlebt werden. Der Grund dafür ist einfach: wenn das Selbstbild z.B. auf nur zwei Rollen basiert (z.B. Ehemann und Verkäufer), dann wird die Selbst-Kontinuität stärker durch den Verlust einer Rolle erschüttert (z.B. durch die Beförderung zum Filialleiter), als wenn sich die Selbst-Kontinuität auf viele Rollen stützen kann. Wenn Herr Braun also nicht nur ein kompetenter Mitarbeiter, sondern auch begeisterter Handballer, engagierter Vater im Förderverein der Schule und Teil eines verlässlichen Freundeskreises aus seiner Jugend wäre, dann basiert seine Selbst-Kontinuität auf allen diesen Rollen, und die Veränderung seiner beruflichen Rolle erschüttert diese weniger, als wenn sich sein Selbstkonzept vor allem auf die berufliche Rolle stützt.
Passung zwischen alten und neuen Rollen Die meisten Übergänge beinhalten aber nicht nur den Verlust einer Rolle, sondern bieten eine neue Rolle an. Nach dem SIMIC Modell profitieren Menschen bei Übergängen stark davon, wenn sie ihre neue Rolle annehmen. Wenn Herr Braun sich also als Mitglied der Leitungsebene identifiziert und sich mit anderen Führungskräften, vernetzt, ihre Normen und Werte kennt und schätzen lernt und sich nach und nach als Führungskraft fühlt, dann steigert sich auch sein Wohlbefinden. Dafür ist es aber wichtig, dass die bestehenden Rollen mit der neuen Rolle kompatibel sind. Wenn Herr Braun z.B. von seinen alten Kolleg:innen nicht als Führungskraft akzeptiert wird, wird ihm erschwert, die neue Rolle anzunehmen. Auch unterschiedliche Verhaltenserwartungen und Wertekonflikte oder schlichte Zeit-Konflikte erschweren die Anpassung an die neue Rolle. Als Führungskraft können Sie Übergänge begleiten, indem Sie die Rollenvielfalt fördern und die Vereinbarkeit von bestehenden und neuen Rollen erhöhen (siehe Kasten).
Tipps zur Erleichterung von Übergängen
– Erweitern Sie das Rollenspektrum von Mitarbeitenden vor Übergängen. Schaffen Sie Strukturen, die auch während der Veränderung bestehen bleiben (z.B. Betriebssport, Frauen-Netzwerke).
– Stärken Sie den Fokus der Mitarbeitenden auf Rollen und Gruppenmitgliedschaften, die auch im Übergang stabil bleiben und Kontinuität bieten.
– Erleichtern Sie das Einfinden in die neue Rolle: Erklären Sie Normen und Verhaltenserwartungen, vernetzen Sie Gleichgesinnte, und signalisieren Sie früh, dass die Person in ihrer neuen Rolle akzeptiert wird und dazu gehört.
– Schaffen Sie Kompatibilitäten zwischen bestehenden und neuen Rollen: zeigen Sie z.B. Gemeinsamkeiten in Werten und Zielen und bauen Sie Barrieren der Vereinbarkeit ab.
Literatur: Iyer, A., Jetten, J., & Tsivrikos, D. (20). Torn between identities predictors of adjustment to identity change. In F. Sani (Ed.), Self-continuity: Individual and collective perspectives (pp. 187–197). New York: Psychology Press.
Bitte zitieren als: Matschke, C. (2022). ergänge erleichtern: Vielfältige und vereinbare Rollen bieten Kontinuität. wissens.blitz (220). https://wissensdialoge.de/uebergaenge