Sechs Aufgaben erfolgreicher Teams in der Selbstorganisation

Ein Gastbeitrag von Babette Brinkmann

Selbstorganisation ist aus modernen Organisationen nicht mehr wegzudenken – und ist in allen Bereichen zu finden. Ziel ist es, Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Expertise und Erfahrung gezielt einzubringen, Einfluss auszuüben, so dass Entscheidungen schneller und flexibler getroffen aber auch korrigiert werden können.

Man findet Selbstorganisation natürlich in Organisationen, die explizit daraufsetzen, wie etwa Unternehmen, die mit Modellen nach Holacracy oder Scrum arbeiten. Hier werden die Kernprozesse bspw. in Produktion oder Entwicklung selbstorganisiert und folgen dabei klaren Regeln und Prozessmodellen. Doch auch in Organisationen, die nicht formal selbstorganisiert sind, gibt es selbstgesteuerte Strukturen. Communities of Practice oder Mitarbeitervertretungen sind Beispiele für parallele Teams, die abseits der hierarchischen Logik operieren. Zunehmend treten Mitarbeitende auch eigeninitiativ auf, wenn sie das Gefühl haben, dass bestimmte Themen von der formalen Organisation nicht ausreichend beachtet werden. Sei es, um Nachhaltigkeit voranzutreiben oder Menschenrechtsanliegen zu stärken – diese Gruppen organisieren sich selbst, um ihre Themen voranzutreiben, Unterstützer:innen zu finden und ihren Anliegen Gehör und Einfluss zu verschaffen.

Selbststeuerung ist also nicht nur ein Konzept, sondern eine breit gefächerte Praxis, die oft als agil, motivierend und effektiv beschrieben wird. Doch wie sieht sie im Alltag wirklich aus? Welche Herausforderungen begegnen selbstorganisierten Teams, und wie meistern sie diese?

So unterschiedlich selbstorganisierte Teams auch sein können, wenn es um die Arbeitsfähigkeit des Teams geht, stehen sie vor vergleichbaren Herausforderungen. Sie müssen sich als Gruppe finden, eine gewissen Beständigkeit entwickeln, ihren Kontakt untereinander und nach außen organisieren und sich so strukturieren, dass sie arbeitsfähig werden und bleiben. Das ist keine leichte Aufgabe und es passiert nicht automatisch.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wie Teams es in der Praxis tatsächlich tun – jenseits der formalen Regelwerke – haben wir neun Teams begleitet, die sich selbst organisieren. Dabei haben sich sechs zentrale Aufgaben herauskristallisiert, die entscheidend für ihren Erfolg sind. Diese Aufgaben geben Orientierung und zeigen, was Selbstorganisation in der Praxis wirklich bedeutet.

Die sechs Aufgaben im Überblick

1. Mit der Außengrenze umgehen: Spielräume erkunden, gestalten und verhandeln. Teams müssen ihre Grenzen kennen und aktiv mit ihnen umgehen. Das bedeutet, Spielräume auszuloten und Aufgabenbereiche zu definieren. Oft geht es auch für Teams auch darum, Grenzen infrage zu stellen und neue Möglichkeiten zu schaffen. Teams argumentieren hier in der Regel dafür, ihre Spielräume zu vergrößern, während die Organisation ihre Kontrolle oder „das letzte Wort“ behalten möchte. Ein Beispiel: Ein Team, das in einem internationalen Pharmaunternehmen erfolgreich eine deutschlandweite Gemeinwohlbilanzierung eingeführt hat, argumentierte erfolgreich: Es gibt zentrale kaufmännische Prozesse und doch wollen und werden wir die gleichen Fragen auch zu unseren Fragen machen, um einen Vorschlag für eine Gemeinwohlbilanzierung zu entwickeln. Die schwierigste Phase für dieses selbstorganisierte Team war, den Auftrag und die Freiheit zu bekommen, zu dieser Frage zu arbeiten. Danach ging die Arbeit zügig voran und das Thema gewann an Einfluss.

2. Zusammenhalt wahren: Stabilität in der Dynamik der Veränderung. Veränderungen sind in der Selbstorganisation ständig präsent. Damit Teams arbeitsfähig bleiben, müssen sie Zusammenhalt und Kontinuität bewahren. Das bedeutet, eine klare Identität und Zugehörigkeit zu schaffen – sowohl für die Mitglieder selbst als auch für die Umwelt. Das kann durch Rituale, durch Orte, durch Vertrautheit, durch gemeinsame Erkennungsmerkmale entstehen. Ein Softwareentwicklungsteam etwa schuf ein gemeinsames „Teamhandbuch“, das Werte und Prinzipien für die Zusammenarbeit enthielt, um eine feste Basis trotz wechselnder Projekte zu sichern.

3. Zusammenarbeit strukturieren: Kommunizieren, kooperieren und Entscheidungen treffen. Kommunikation und Entscheidungsfindung sind Schlüsselaspekte der Selbstorganisation. Teams müssen Formate entwickeln, die Zusammenarbeit ermöglichen und sicherstellen, dass Entscheidungen effizient getroffen werden. Dabei kommt es darauf an, alle Mitglieder angemessen einzubinden und Entscheidungsprozesse klar zu gestalten. Unserer Teams nutzten die unterschiedlichsten Kommunikations- und Entscheidungsformate. Gemeinsam war ihnen allen: es brauchte getrennte Orte um über Inhalte oder aber über die Form der Zusammenarbeit zu sprechen (oft genannt: die Arbeit in der Organisation vs. die Arbeit an der Organisation) und es braucht flexiblere Entscheidungsformate als Abstimmung oder Konsens.

4. Macht verteilen und Führung gestalten. Selbstorganisation bedeutet nicht, auf Führung zu verzichten. Stattdessen verteilen Teams Leitungsrollen neu und gestalten Machtstrukturen aktiv. Dies erfordert ein hohes Maß an Reflexion und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam zu tragen. In einem gemeinnützigen Team rotierte die Rolle der „Meeting-Moderation“ monatlich, um Machtbalance und Vielfalt in den Perspektiven zu fördern.

5. Raum für Persönliches schaffen: Mitgliedern einen Platz bieten. Teams müssen nicht nur Aufgaben organisieren, sondern auch Raum schaffen, in denen ihre Mitglieder als Personen angesprochen werden. Selbstorganisation fordert von den Mitgliedern mehr in den Kontakt zu gehen, mehr auszuhandeln. Dafür müssen sich Mitglieder persönlich einbringen, sie müssen etwas von sich zeigen. Das ist im Arbeitskontext erstmal eine Zumutung, die nur gelingen kann, wenn es Räume gibt, in denen Menschen nicht nur in ihrer Rolle sondern auch in ihrer Persönlichkeit vorkommen, individuelle Stärken aber auch Schwächen sichtbar werden dürfen, Bedürfnisse zu respektieren und die Balance zwischen beruflichem und privatem Engagement bewusst besprechbar ist. Ein Green Team, das sich durchaus prominent und auch konfliktbereit für ökologische Investitionen einsetzt, schuf beispielsweise einen monatlichen Ort der Reflexion, an dem jedes Mitglied seine persönlichen aber auch politischen Gedanken und Gefühle (Sorgen, Ängste, Wut) mitteilen konnte. Teilweise haben sie sich an diesen Terminen auch von den ehrenamtlich arbeitenden „coaches for future“ begleiten lassen.

6. Lernen und wachsen: Reflexion als Motor des Fortschritts. Reflexion ist die Grundlage für Weiterentwicklung. Erfolgreiche Teams nehmen sich regelmäßig Zeit, ihre Arbeit zu analysieren und anzupassen. Dabei steht die gemeinsame Arbeit im Vordergrund – aber auch individuelles Erleben spielt eine wichtige Rolle. Reflexion ermöglicht nicht nur Verbesserung, sie stärkt auch den Zusammenhalt und bereitet auf Herausforderungen vor, die kommen mögen. Klassische Retrospektiven, wie sie aus dem Scrum bekannt sind, sind ein Beispiel dafür.

Fazit: Selbstorganisation ist nicht regellos. Sie erlaubt es Teams, wichtige Fragen anzugehen, kreative Lösungen zu entwickeln und innovativ zu arbeiten, ohne auf vorgefertigte Vorgehensweisen angewiesen zu sein. Alle von uns befragten Teams, fanden die Selbstorganisation stärkend, motivierend und konnten sich ein Zurück in die klassische Hierarchie nicht vorstellen.

Doch diese Freiheit braucht Struktur. Unsere Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Selbstorganisation sein kann: Scrum-Teams setzen auf bewährte Frameworks, Communities of Practice gestalten neue Wissensräume, und eigeninitiierte Mitarbeitergruppen treiben wichtige Themen wie Nachhaltigkeit voran. Doch alle verbindet, dass sie die beschriebenen sechs Aufgaben meistern müssen, um erfolgreich zu sein.

Selbstorganisation ist kein Selbstzweck, sondern eine Antwort auf die komplexen und drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Die Organisation kann die Teams unterstützen, klare und verlässliche Grenzen und Strukturen herauszubilden, Teams können das auch selbst entwickeln. Doch eines ist klar, das braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Je klarer der Rahmen, je klarer die Regeln des Miteinander, desto besser können die Freiheitsgrade kreativ, innovativ und kollektiv genutzte werden.

Weiter lesen: Brinkmann, B. & Schattenhofer, K. (2022). Erfolgreiche Teams in der Selbstorganisation – Sechs Aufgaben, damit Teams arbeitsfähig werden – und welche Rolle Führung dabei spielt. Vahlen. Link zum Buch

Selbstorganisation ist aus modernen Organisationen nicht mehr wegzudenken – und ist in allen Bereichen zu finden. Ziel ist es, Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Expertise und Erfahrung gezielt einzubringen, Einfluss auszuüben, so dass Entscheidungen schneller und flexibler getroffen aber auch korrigiert werden können. Dieser Beitrag beschreibt die sechs wichtigsten Team-Aufgaben, um in der Selbstorganisation erfolgreich zu sein.

Babette Brinkmann ist Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Organisations- und Gruppenpsychologie an der TH Köln. Sie ist Supervisorin (DGSv), Trainerin für Gruppendynamik (DGGO) und Mitglied bei Tops München-Berlin e.V.
Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Selbstorganisation, Diskurs und gesellschaftlicher Zusammenhalt sowie soziale Nachhaltigkeit.