Diversität in der Organisation fördern: Warum ein internationales Buffet oft der falsche Ansatz ist.

Viele Organisationen und Unternehmen möchten sich zur Vielfalt bekennen. Ein Weg dahin ist es, die Diversität der eigenen Belegschaft wertschätzend sichtbar zu machen. Der Klassiker ist die Weihnachtsfeier, bei der Kolleg*innen mit Migrationshintergrund ein Essen mitbringen, das hierzulande weniger bekannt ist, oder bei dem nicht Popmusik aus den USA, sondern mal andere Sprachen und Klänge zu hören sind. Ich selbst liebe gutes Essen und Musik, aber bei dieser Art von Diversitätsförderung habe ich immer etwas Bauchschmerzen, denn sie kann leicht eine Art der positiven Stereotypisierung werden. Wissenschaftlich gesehen ist es gefährlich, wenn z.B. Menschen mit Migrationshintergrund als Kochkünstler*innen oder gute Musiker*innen dargestellt werden. Positive Stereotype, wenn sie auch noch so nett daherkommen, haben nämlich das fiese Potential, nach hinten loszugehen – sie vermitteln, dass die Personen z.B. warmherzig, aber womöglich doch weniger leistungsfähig sind als andere – im Arbeitskontext zählt aber nun mal letzteres. So verstellt ein einseitiger Blick auf gutes Essen und Musik leicht den Blick auf bestehende Barrieren und die eigentlichen Potentiale, die in der Diversität liegen.

Positive Stereotype heben alternative Fähigkeiten hervor

Wir alle haben Stereotype über Gruppen im Kopf. Stereotype sind Eigenschaften, gute wie schlechte, die allen Menschen aus der Gruppe zugeschrieben werden. Nun gibt es aber ein gesellschaftliches und politisches Bewusstsein dafür, dass es nicht korrekt ist, Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die z.B. auf körperlichen Eigenschaften basiert, ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Religion, abzuwerten. Unser menschlicher Reflex scheint zu sein, auf negative Stereotype mit positiven Stereotypen zu kontern. Alternativ zu negativen Stereotypisierung wird dabei ein einseitiger und übertrieben starker Fokus auf positive Stereotype bei Gruppen gelegt, die gesellschaftlich sonst oft negativ stereotypisiert werden. Es werden also statt der Dimensionen, auf denen die Gruppen laut bestimmter Stereotype schlechter abschneiden (z.B. Leistung, Kommunikationsstil, Durchsetzungsfähigkeit), alternative Dimensionen betont, in denen die Gruppe als besonders positiv gesehen wird (z.B. Kochkünste, Aussehen, Musikalisches Talent), die aber im Arbeitskontext oft eher wenig relevant sind. Beispiele für diese Form sind: „Die Italiener können ja Pizza machen!“ oder „Eine der hübschen Frauen kann ja dem Projektleiter den Blumenstrauß überreichen!“.

Negative Konsequenzen von positiver Stereotypisierung

Jetzt könnte man sagen: „Wir machen Vielfalt sichtbar, denn hier hat  jede/r seinen Bereich, in dem er/sie gut ist!“ Dennoch zeigt die Forschung klar: eine positiv-stereotype Darstellung kann für die Menschen der stereotypisierten Gruppe negative Konsequenzen haben. Positive Stereotype implizieren zwar gute Leistungen in einem bestimmten Bereich – sie suggerieren aber auch, dass die stereotypisierten Menschen nicht gut in andere Leistungsbereiche passen. Wenn man stigmatisierten Gruppen bestimmte Bereiche zuordnet, in denen sie „gut sein dürfen“, dann gilt es in Folge als überraschend, bemerkenswert oder unangebracht, wenn Menschen aus diesen Gruppen auch in andere Kompetenzbereiche vordringen. Man steckt Menschen aus stigmatisierten Gruppen also in Nischen und vermittelt ungewollt, dass sie es dort – und nur dort – zu Leistung bringen können/dürfen.

Problematisch ist dabei, dass der Bereich nicht frei gewählt wird. Schlimmer ist aber, dass der Bereich fast immer ein status-niedriger Bereich ist – also z.B. nicht für das organisationale Ziel relevant ist. Dimensionen, auf denen stereotypisierte Menschen positiv bewertet werden, sind also meistens „nice to have“ – aber eben selten mit Leistungskompetenz konnotiert. Häufig beziehen sie sich auf Warmherzigkeit (Cuddy et al., 2008; Czopp et al., 2015) oder andere Dimensionen, die in den meisten Fällen wenig mit der Organisation und deren direkter Leistungsfähigkeit zu tun haben – denn statt Warmherzigkeit ist eigentlich Kompetenz die Dimension, die an Status, Wertschätzung und an die Verteilungsmacht über Ressourcen (z.B. Beförderungen) geknüpft ist. Exemplarisch gesagt: Würden Sie jemanden als Führungskraft einstellen, (nur) weil die Person empathisch ist, gut trommeln kann oder lecker kocht? Vermutlich nicht.

Worauf man eher fokussieren sollte

Viel wichtiger als der Fokus auf positive Stereotype ist, es, institutionelle Barrieren, wie z.B. nur deutsch-sprachige Verwaltungsdokumente oder Meetings zu Zeiten, die für Menschen mit Care-Pflichten unrealistisch sind, zu adressieren – diese werden bei einer solchen rein positiven Darstellungen der stereotypisierten Personen aber nicht thematisiert, denn in den Leistungsbereichen, die laut Stereotyp den Gruppen zugeschrieben werden, bestehen ja meistens weniger Barrieren. Jeder darf ja unbegrenzt das Buffet mit Leckereien aus seiner Heimat bestücken und auf der Bühne der Weihnachtsfeier etwas vorführen. Positive Stereotypisierungen lenken also vom eigentlichen Problem der strukturellen Benachteiligung ab, in dem sie eine Teilhabe suggerieren, die es so nicht gibt- und tragen somit nur zur Zementierung von Barrieren bei.

Aber echte Diversität fängt leider erst da an, wo es auch weh tut. Ist es auch willkommen, wenn eine Person bei der Lösungsfindung den alten Weg in Frage stellt? Wenn Diskussionen kompliziert und zeitaufwändig werden, weil jemand einen anderen Blick auf die Sachlage hat? Können wir damit umgehen, wenn jemand eine andere Sprache spricht oder aufgrund von Care-Verpflichtungen remote zugeschaltet werden muss? Wenn Routinen plötzlich nicht mehr für alle passen?

Freie organisationale Teilhabe als Recht aller Mitarbeitenden

Wer die organisationale Diversität fördern möchte, muss stigmatisierte Menschen aus ihren Nischen – auch aus den positiven Nischen – holen und echte Teilhabe auf allen Dimensionen der Organisation ermöglichen. Strukturelle Barrieren sollten nicht verschwiegen, sondern thematisiert werden. Eine offenkundige Wertschätzung von Diversität ist vollkommen wünschenswert, darf aber nicht am Buffet der Weihnachtsfeier anfangen – denn damit verstärkt man womöglich nur bestehende Ungleichheiten und verstellt den Blick auf relevante Bereiche, in denen Diversität wirklich einen sinnvollen Beitrag zu Innovation und Leistung bringen kann. Und vor allem darf die Wertschätzung der Diversität nicht am Buffet enden. Oder eben doch – das internationale Buffet sollte das Ende eines langen Tages sein, an dem, wie an allen anderen Tagen auch, in relevanten Fragen der Organisation unterschiedliche Perspektiven eingebracht und diskutiert wurden. Am Ende dieses anstrengenden Prozesses können wir dann auch gerne Suflaki essen und ein bisschen zu Balkan-Pop die Hacken schwingen.

Anmerkung: Dieser Text basiert auf einem Text zu positiver Stereotypisierung stigmatisierter Gruppen in den Medien: Matschke, C. (2024). Diskriminierung durch wohlwollende Darstellungen und positive Stereotypisierung. In U. Backofen (Ed), Blickwinkel Blindheit. Blindheit und Sehbehinderung in Büchern und Filmen. https://www.blickwinkel-blindheit.de/positive-stereotypisierung

References

  • Czopp, A. M., Kay, A. C., & Cheryan, S. (2015). Positive stereotypes are pervasive and powerful. Perspectives on Psychological Science, 10(4), 451–463.
  • Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., & Glick, P. (2008). Warmth and competence as universal dimensions of social perception: The stereotype content model and the BIAS map. In M. P. Zanna (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology (Bd. 40, S. 61–149). Academic Press. https://doi.org/10.1016/S0065-2601(07)00002-0