Informelles Lernen am Arbeitsplatz: Eine Einführung
In diesem Artikel lesen Sie, welche Arten von informellem Lernen am Arbeitsplatz es gibt und wodurch informelles Lernen am Arbeitsplatz begünstigt wird.
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Während externe und interne Trainings, e-Learning und andere formale Maßnahmen im Fokus der Gestaltung betrieblicher Weiterbildung stehen, ist sich die Forschung mittlerweile darin einig, dass der Großteil des Lernens am Arbeitsplatz eher informell stattfindet: Lernen geschieht hauptsächlich durch Erfahrungen, Interaktion und Wissensaustausch während der täglichen Arbeit.
Was ist informelles Lernen am Arbeitsplatz?
Unter informellem Lernen am Arbeitsplatz versteht man den Erwerb von arbeitsrelevantem Wissen und Fähigkeiten als „Nebenprodukt“ der Ausführung von Arbeitsaufgaben. Formelles und informelles Lernen stellen zwei Enden eines Kontinuums dar, an dessen „informelle Ende“ Lernen steht, das implizit, un-beabsichtigt, spontan, ohne Trainingsplan, und ohne formale Überprüfung des Gelernten stattfindet.
Eraut (2004) unterscheidet drei Arten von in-formellem Lernen am Arbeitsplatz: implizites, reaktives und deliberatives (absichtsvolles) Lernen. Implizites Lernen ist definiert als der Erwerb von Wissen ohne bewusste Lernabsicht und ohne explizites Wissen darüber, was gelernt wurde. Implizites Lernen am Arbeitsplatz findet beispielsweise statt, wenn man eine neue Funktionalität in einem Computerprogramm (ohne Erklärung) erfolgreich benutzt. Reaktives Lernen umfasst die spontane Reflexion über vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Ereignisse, die zu Lernen führt. Ein Beispiel für reaktives Lernen ist das Lernen aus der Reaktion des Publikums bei einer Präsentation. Der Begriff deliberatives Lernen bezeichnet sowohl bewusste (zeitlich geplante) Lernsituationen mit einem definierten Lernziel, als auch das Ausführen von Planungs- und Problemlöseaufgaben im Arbeitsprozess, bei denen Lernen als Nebenprodukt stattfindet. Kann die Aufgabe von der Person nicht erfüllt werden, muss die Person versuchen Wissen und Fähigkeiten zu erwerben. Das Einarbeiten in ein neues Projekt ist ein Beispiel für deliberatives Lernen am Arbeitsplatz.
Erfahrungsbasiertes Lernen
Persönliche Erfahrungen spielen eine zentrale Rolle beim Wissenserwerb am Arbeitsplatz und bilden meist die Grundlage für die Entwicklung von Expertise.
Durch die aktive Ausführung von Arbeitsaufgaben und die Beobachtung der Ergebnisse lernt die arbeitende Person, welche Verhaltensweisen zum Erfolg führen und welche nicht. Hier spielt besonders das Lernen aus Fehlern eine zentrale Rolle. Motorische Fähigkeiten (z.B. das Benutzen eines Werkzeugs) werden haupt-sächlich durch Nachahmung, Wiederholung und Übung ohne bewusste Aufmerksamkeitszuwendung erwor-ben. Im Gegensatz dazu begünstigt die bewusste Reflexion über Arbeitsabläufe und –prozesse den Erwerb von explizitem Wissen und kognitiven Fähigkeiten (z.B. Präsentationsfähigkeit).
Wissensaustausch
Eine im Rahmen des Forschungsprojektes APOSDLE (www.aposdle.org) zum Thema „Lernen am Arbeitsplatz“ durchgeführte Studie zeigte, dass Personen in Lernsituationen, in denen noch keine Erfahrungen gesammelt wurden, in erster Linie durch direkten Austausch mit KollegInnen sowie anhand von dokumentierten Arbeitsergebnissen anderer lernen. Die arbeitende Person sucht sich Wissen aus bekannten Quellen, und wendet sich an KollegInnen, die Unterstützung bieten können.
Wodurch wird informelles Lernen am Arbeitsplatz begünstigt?
Eraut (2004) identifizierte vier typische Situationen, die häufig zu Lernen am Arbeitsplatz führen:
(i) Teamarbeit mit einem gemeinsamen Ziel,
(ii) „Neben“ anderen arbeiten (ohne gemeinsames Ziel)
(iii) Lösen von herausfordernden Aufgaben
(iv) Arbeiten mit Kunden
Lernen am Arbeitsplatz setzt voraus, dass die lernende Person mit einer herausfordernden Situation konfrontiert ist. Personen, die aktiv herausfordernde Situationen suchen, lernen daher häufiger am Arbeits-platz. Sowohl das positive Bewältigen einer heraus-fordernden Situation als auch die wahrgenommene Unterstützung durch Vorgesetzte, KollegInnen, etc. begünstigen die aktive Suche nach Herausforderung. Es besteht also eine Wechselbeziehung zwischen der Herausforderung in einer Arbeitssituation, dem Selbst-vertrauen der Person und der wahrgenommenen Unterstützung durch andere. Um informelles Lernen am Arbeitsplatz gezielt zu fördern, sollten Vorgesetzte dafür sorgen, dass MitarbeiterInnen herausfordernde Situationen erleben und sie sollten Unterstützung für die erfolgreiche Bewältigung dieser Situationen bieten.
Zitieren als: Kump, B. (2011). Informelles Lernen am Arbeitsplatz: Eine Einführung. wissens.blitz (8). https://wissensdialoge.de/Lernen_am_Arbeitsplatz_Einfuehrung
Eben lese ich (mal wieder) die BMBF-Publikation von G. Dohmen zum informellen Lernen (Das informelle Lernen, 2001) und folgende Punkte passen sehr gut zu diesem wissens.blitz:
Informelles Lernen wird laut Dohmen in der angloamerikanischen Forschung meist gleichgesetzt mit Erfahrungslernen („experiential learning“). Eindrückliche Erfahrungen werden dabei verdichtet zu sog. Erfahrungswissen, das ein „Zurechtkommen“ in der Umwelt ermöglichen soll.
Dieses Erfahrungswissen ist oft sogenanntes „Stilles Wissen“ (tacit knowledge, siehe auch der wissens.blitz zum Thema Handlungswissen), das eher ein intuitives als ein theoriegeleitetes Handeln ermöglicht. Es ist also kein systematisches Wissen, sondern vielmehr eine „Lebenstüchtigkeit“, macht also die notwendige Handlungskompetenz in bestimmten Situationen aus.
Erst die Reflexion über den Erfahrungsschatz, also das (distanzierte und bewusste) Nachdenken über die gemachten Erfahrungen, kann zur Konstruktion von systematischem, explizitem und explizierbaren Wissen i.S. von Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Systemzusammenhängen etc führen. Reflexion scheint mir demnach die Voraussetzung zu sein für einen Wissensaustausch i.S. des Wissensmanagements in Organisationen, in dem es darum gehen soll, lessons learned zu teilen und Erfahrungswissen Einzelner zu verdichten.
Interessanterweise schreibt Dohmen hierzu, dass Reflexion eine Aufgabe _formaler_ Bildungsangebote sein muss, da dafür Intention – Planung – Bewusstein erforderlich ist. Das passt für mich allerdings nicht zu Eraut, der Lernen durch Reflexion von Erfahrungen als reaktives Lernen bezeichnet und das wiederum abgrenzt von deliberativem Lernen (was denke ich bei Dohmen gemeint ist, wenn er von Reflexion spricht)?! Hier bleib ich etwas verwirrt zurück und werde weiterrecherchieren müssen;)
Und abschließend: Ich finde Deine Einführung zum informellen Lernen am Arbeitsplatz sehr gelungen und freue mich auf den nächsten wissens.blitz zum Thema Lernen durch Reflexion – den können wir zusammen schreiben;)
Vielleicht sind die Begriff institutionales Lernen, formales Lernen und selbststeuertes Lernen hilfreich für eine weitere Unterscheidung.
Informelles Lernen am Arbeitsplatz ist dann durch die Tatsache gekennzeichnet, dass von der Organisation gewollt und unterstützt wird, eben z.B. durch Maßnahmen, die Reflexion anregen.
Gleichzeitig sind diese informalen Lernporzesse ja auch relevant außerhalb der Institution, wenn ich also z.B. in meiner Freizeit einem Hobby nachgehe, bei dem ich etwas lerne, das auch für mein Handeln am Arbeitsplatz von Relevanz ist.
Und: Informelle Lernen wir ja zunehmend auch in Formalen Lernsettings implementiert, z.B. wenn in der Schule gezielt reaktives Lernen in Projektgruppen etc. implementiert wird.
Hab mal ne Mindmap gemalt, danach bin ich der Meinung, dass der Begriff informelles Lernen am Arbeitsplatz wie in Eraut verwendet nicht zielführend ist. Ich würde die drei Beschriebenen Prozesse unter organisationalem Lernen fassen und da die betriebliche Weiterbildung/Training etc. (stärker formalisiert als deliberatives Lernen) noch ergänzen. Den Begriff informelles Lernen würde ich nur für die beiden ersten Arten, also implizites und reaktives Lernen verwenden.
Hi, klasse mind map;) Wie verhalten sich aber selbstgesteuertes und institutionalisiertes Lernen zu formalem und informellem Lernen?
Das sind doch weitere Dimensionen, denn auch beim institutionalen Lernen gibt es eine Dimension, die das Ausmaß an Selbst- versus Fremdsteuerung beschreibt, und auch im formalen Lernen mag es experiential learning geben – schließlich zielen die Ansätze des situierten Lernens und inquiry/discovery learning ja gerade darauf ab, den Lerner eigene Erfahrungen zu machen und nicht das Wissen einfach „einzutrichtern“.
Informelles und formales Lernen unterscheidet sich laut einem umfangreichen Review von Malcolm und Kollegen (2003) auf mehreren Dimensionen, nämlich
1)purpose (steht Lernen im Vordergrund oder lernt man „nebenbei“ während einer anderen Aktivität? Extrinsisch motiviert oder lerner initiiert?)
2)location/setting (Schule/Hochschule, Arbeitsplatz, Freizeit)
3)process (selbstgesteuert/fremdgesteuert, strukturiert/beiläufig)
4)content (Entwicklung von Expertise, propositionales Wissen, vordefinierte Lernziele/inzidentelle Lernergebisse, generelle Handlungskompetenzen u.ä.?)
Dazu zwei Literaturtipps:
Colley, H., Hodkinson, P. & Malcolm, J. (2003). Informality and formality in learning: A report for the Learning and Skills Research Centre. Leeds: Learning and Skills Research Centre.
Malcolm, J., Hodkinson, P. & Colley, H. (2003). The interrelationships between informal and formal learning. Journal of Workplace Learning, 15, 313-318.
Und dann gibt es ja noch das implizite und inzidentelle Lernen, wenn wir schon dabei sind;)