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Wer weiß, dass er nichts weiß, weiß etwas: Der Umgang mit dem False Certainty Effekt

Fortbildungen und eigenständiges Lernen sollen das Wissen verbessern. Neben dem Wissenszuwachs steigern Lernaktivitäten zusätzlich die Sicherheit ins eigene Wissen – in richtiges, allerdings auch in falsches Wissen!

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Stellen Sie sich vor, Sie organisieren als Führungskraft eine Fortbildung für Ihr Team zu einem Themenbereich. Tatsächlich steigert die Fortbildung das thematische Wissen sowie die Sicherheit Ihres Teams in das eigene Wissen. Die Forschung hat gezeigt, dass diese Sicherheit ins eigene Wissen aber nicht immer zu Recht besteht.

False Certainty als Nebenwirkung von Lernen

Fortbildungen und Kurse sind, neben dem erwünschten Lerneffekt, ein Katalysator der Sicherheit ins eigene Wissen. Dieser Effekt scheint erstmal wünschenswert aus Führungssicht! Von Hoyer und KollegInnen finden aber, dass Kurse und Fortbildungen neben dem Fachwissen auch die Sicherheit sowohl in richtige, aber auch in falsche Antworten steigert. Diese ungerechtfertigte Sicherheit in falsche Lernkonzepte wird als „False Certainty Effekt“ bezeichnet.

Der „False Certainty Effekt“ tritt auch beim eigenständigen Lernen auf, wie z.B. bei der gezielten Informationssuche im Internet. In einer weiteren Studienreihe wurden Teilnehmende gebeten, sich selbstständig zu einem Thema zu informieren. Beim Wissenstest zeigte sich auch hier die gesteigerte subjektive Sicherheit in richtiges – aber eben auch in falsches „Wissen“. Der Effekt entstand unabhängig vom Lernerfolg, allein schon durch die Lern-Aktivität: Auch wenn Menschen nichts lernen, steigt ihre Sicherheit in ihr (unzureichendes) Wissen. Fortbildungen können also den unerwünschten Nebeneffekt haben, dass Lernende „blinder“ werden für ihre Wissenslücken.

Metawissen: Wissen, was man (nicht) weiß
Das Wissen darüber, was man (nicht) weiß, bezeichnet man als Metawissen. Für Führungskräfte hat gutes Metawissen der Mitarbeitenden mehrere Funktionen:  Erstens können Teammitglieder Aufgaben ablehnen oder delegieren, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Zweitens können sie, wenn die Bearbeitungszeit für die Aufgabe es zulässt, die Wissenslücken schließen, indem sie gezielt Expertise anderer einholen oder das eigene Wissen erweitern. Gutes Metawissen der Mitarbeitenden kann also verhindert, dass Aufgaben suboptimal erfüllt werden. Das Wissen um die eigenen Wissenslücken – und die Möglichkeit, Konsequenzen daraus zu ziehen, ist besonders wichtig, wenn eine unzureichende Aufgabenerfüllung schwerwiegende Folgen hätte (z.B. in der Medizin).

Risiken falscher Sicherheit minimieren

Als Führungskraft können Sie Risiken, die durch schlecht kalibriertes Metawissen nach Fortbildungen entstehen können, auffangen, indem Sie (ggf. falsche) Sicherheit durch regelmäßige Selbstevaluation, effektive Teamstrukturen, Routinen und Checks überprüfen und ein gutes Arbeitsklima für die Erkenntnis von Wissenslücken schaffen.  

So reduzieren Sie die Risiken des „False Certainty Effekts“:

    • Schaffen Sie vor allem nach Fortbildungen für Mitarbeitende die Gelegenheit, ihr neues Wissen zu prüfen, so dass Wissenslücken und falsche Konzepte gleich aufgedeckt werden.
    • Sorgen Sie fortlaufend für Möglichkeiten der Selbst-Evaluation und für vertrauensvollen kollegialen Austausch, so dass fehlendes Wissen ohne Gesichtsverlust zu Tage kommen kann.
    • Sorgen Sie bei wichtigen Dingen für einen doppelten Boden: Setzen Sie hier z.B. Teamarbeit, Check-Listen oder Entscheidungs-Tandems ein, um unbewusste Wissenslücken zu kompensieren.
    • Schaffen Sie ein Arbeitsklima, in dem Wissenslücken formuliert werden dürfen. Die Bitte um eine Zweitmeinung oder nach Zeit, um Wissenslücken zu schließen, sollte als Kompetenz, nicht als Schwäche gewertet werden. 

Literatur:

von Hoyer, J. F., Kimmerle, J., & Holtz, P. (2022). Acquisition of false certainty: Learners increase their confidence in the correctness of incorrect answers after online information search. Journal of Computer Assisted Learning, 38(3), 833–844. https://doi.org/10.1111/jcal.12657

von Hoyer, J.F., Bientzle, M., Cress, U., Grosser, J., Kimmerle, J., & Holtz, P. (2022). False certainty in the acquisition of anatomical and physiotherapeutic knowledge. BMC Medical Education, 22(1), 1-9.