Führungskräfteentwicklung ist essentiell, damit Führungskräfte in ihrer Rolle effektiv wirken können. Hier soll es heute um evidenzbasierte Führungskräfteentwicklung gehen – die Entwicklung von Führungskräften auf Basis von Erkenntnissen aus der Forschung – und um neuste Erkenntnisse, wie evidenzbasierte Führungskräfteentwicklung in der Praxis umgesetzt wird – oder eben nicht.
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Es ist wohl weniger überraschend, dass Wissenschaftler*innen beklagen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis nicht immer angewendet werden. Überraschender ist hingegen, dass selbst an Universitäten Forschungserkenntnisse nicht immer angewendet werden. Das fand nun eine Studie von Leroy und Kolleg*innen (2022) heraus, die 60 Interviews mit akademischen Führungskräften führender internationaler Universitäten geführt haben. Sie wollten mehr über die Qualitätsstandards der Führungskräfteentwicklungsprogramme herausfinden und kamen zu dem Schluss, dass die Methoden und Maßnahmen oftmals nicht mit dem Forschungsstand übereinstimmen. So werden zum Beispiel Instrumente verwendet (z.B. Myers-Briggs Typenindikator), die kaum wissenschaftliche Grundlage haben. Auch beschränkt sich die Evaluation der Programme oft nur auf die Zufriedenheit der Teilnehmenden, anstatt beispielsweise eine Verhaltensänderung zu überprüfen.
Doch wie kann es dazu kommen? Man könnte meinen, dass sich gerade Universitäten in der optimalen Position befinden, ein Alleinstellungsmerkmal durch evidenzbasierte Führungskräfteentwicklung zu schaffen. Sie verfügen – vermeintlich – über mehr Wissen, Motivation und Möglichkeiten, Führungskräfte wissenschaftlich fundiert zu entwickeln als Kolleg*innen aus der Praxis. Das würde bedeuten, dass die von ihnen angebotenen Weiterbildungsprogramme auf aktuellsten Erkenntnissen basieren und nur Methoden beinhalten, die sich in der Forschung auch als wirksam erwiesen haben. Wenn aber selbst Wissenschaftler*innen Probleme damit haben, evidenzbasierte Methoden anzuwenden, müssen hier Hürden existieren.
Die Autor*innen fanden unterschiedliche Herausforderungen, warum an Universitäten im Bereich Führungskräfteentwicklung nicht immer evidenzbasiert gehandelt wird:
- Führungskräfteentwicklung ist nicht eindeutig definiert
- Der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ist schwer / unklar
- Führungskräfteentwicklung hat nicht immer Priorität vor anderen Aufgaben und Zielen
- Es fehlt eine externe Qualitätskontrolle
Für all diese Herausforderungen fanden die Autor*innen eine Hauptursache: Ergebnisse aus den Interviews zeigen, dass eine Vielzahl von Führungskräfteentwickler*innen sich nicht auch als solche sehen. Das ist problematisch, denn die eigene Identifikation als evidenzbasierte*r Führungskräfteentwickler*in würde dazu motivieren und gleichzeitig zur Verantwortung ziehen, als solche kompetent zu handeln.
Die Identifikation als evidenzbasierte*r Führungskräfteentwickler*in muss also gestärkt werden. Hier können sowohl eine Selbstreflexion wie auch professionelle Standards, die von externen Stellen gefördert und überwacht werden, helfen. Eine Zertifizierung könnte sowohl die eigene als auch die kollektive Identität stärken und Führungskräfteentwicklung klar abgrenzen und in den Fokus rücken.
Zum Weiterlesen: Leroy, H. L., Anisman-Razin, M., Avolio, B. J., Bresman, H., Stuart Bunderson, J., Burris, E. R., Claeys, J., Detert, J. R., Dragoni, L., Giessner, S. R., Kniffin, K. M., Kolditz, T., Petriglieri, G., Pettit, N. C., Sitkin, S. B., Van Quaquebeke, N., & Vongswasdi, P. (2022). Walking Our Evidence-Based Talk: The Case of Leadership Development in Business Schools. Journal of Leadership & Organizational Studies, 29(1), 5–32. https://doi.org/10.1177/15480518211062563
Bitte zitieren als: Baedorf, S. (2022). Wie evidenzbasiert ist Führungskräfteentwicklung an Universitäten wirklich?. wissens.blitz (221). https://wissensdialoge.de/evidenzbasiert_ fuhrungskrafteentwicklung
Sarah Baedorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am TUM Institute for Life Long Learning der TU München und beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Führung.