Gemeinsam mit meiner Kollegin Christina Schweiger wurde mir auf der diesjährigen EURAM Konferenz aus ca. 2000 Einreichungen der Preis für das inspirierendste Konferenzpaper verliehen. Ich freue mich aus mehreren Gründen sehr darüber und möchte hier gerne kurz die eigentlich sehr lange Entstehungsgeschichte der Forschungsidee erzählen.
Warum ich mich sehr darüber freue…
Zunächst einmal ist es natürlich ganz allgemein eine große Anerkennung unserer Forschungsleistungen – die EURAM ist immerhin die Konferenz der European Academy of Management und somit mit rd. 1700 TeilnehmerInnen im Jahr 2018 die größte Management-Konferenz in Europa. Es waren viele großartige Beiträge in den unterschiedlichen Kategorien nominiert, d.h. der Preis ist auch sehr kompetitiv.
Ich freue mich außerdem, weil es ein relativ provokativer Beitrag ist, der gegen die gängige Forschungspraxis argumentiert (dazu weiter unten) – und die Gutachter der EURAM das offensichtlich sehr positiv, nämlich als Inspiration, aufgenommen haben.
Und schließlich freue ich mich sehr, weil es ein gemeinschaftlicher Beitrag zwischen einer Universität und einer Fachhochschule ist: Ich bin Assistenzprofessorin am Institut für KMU-Management der WU Wien, Christina Schweiger ist Co-Head des Research Clusters für SMEs & Family Businesses der FHWien der WKW. Diese Kooperation hat eine hohe Praxisnähe unserer Forschung ermöglicht — die Idee ist aus unseren praktischen Erfahrungen durch die enge Zusammenarbeit mit ca. 25 Unternehmen entstanden.
Wie es dazu kam…
Die Kernbotschaft des Konferenzbeitrags ist, dass unter bestimmten Umständen Intuition – also „Bauchgefühl“ – von ForscherInnen im Forschungsprozess sinnvoll sein und zu validen Ergebnissen führen kann. Basierend auf zahlreichen Befunden (unter anderem aus kognitionspsychologischen Laborstudien) beschreibt der Artikel, was die Stärken von Intuition im Vergleich zu rationalem Denken sind und wie die beiden „Denk-Arten“ im Forschungsprozess verbunden werden können, sodass die Vorteile von Intuition genutzt und die Nachteile ausgeglichen werden.
Der Vorschlag, sich – provokant formuliert – in der Forschung mehr auf seine Intuition zu verlassen, entspricht erstmal nicht der gängigen Vorstellung davon, wie wissenschaftliche Erkenntnisse generiert werden (sollten). Jeder Methoden-Kurs und jedes Lehrbuch würden vehement davon abraten. Und auch wir haben uns das ursprünglich alles ganz anders vorgestellt…
Denn eigentlich… Eigentlich wollten wir die Frage untersuchen, welche Kompetenzen Organisationen brauchen, um veränderungsfähig zu bleiben. Dazu wollten wir ein standardisiertes, quantitatives (!) Messinstrument entwickeln, das die unterschiedlichen Veränderungskompetenzen sauber messen kann (das Messinstrument gibt es inzwischen auch, siehe Link). Zusätzlich haben wir, um die Skala zu entwickeln, in jedem Unternehmen neben der Vollbefragung der Mitarbeitenden mit dem quantitativen Messinstrument „ein paar offene Interviews geführt“ (je ca. 90 Min), die wir dann auch „irgendwie mitberücksichtigen“ wollten.
Da es sich um explorative Forschung handelte, haben wir die ersten Ergebnisse pro Unternehmen sehr offen in unserem Forschungsteam diskutiert. In diesen frühen, extrem intensiven, mehrstündigen Auswertungsworkshops sind uns vor allem zwei Dinge aufgefallen: Erstens, auch wenn es erstmal nicht an einzelnen Aussagen oder Ergebnissen fest zu machen war, haben sich den TeilnehmerInnen oft Bilder, Metaphern oder Analogien zur Organisation aufgedrängt (z.B. „Das ist wie ein romantischer Ausflug am Lagerfeuer…“, „Scheidungskinder…“, „aussterbende Dinosaurier“). Zweitens tauchten in diesen Auswertungen oft sehr heftige, emotionale Konflikte unter uns – sonst sehr harmonischen – ForscherInnen auf.
Wir haben in einem ersten Schritt diesen Beobachtungen relativ wenig Bedeutung beigemessen und waren- entsprechend der gängigen Forschungspraxis – der Meinung, dass diese Dinge („Bilder“, Emotionen…) “störendes Rauschen” sind und lieber aus den Ergebnissen herausgehalten werden sollten. Trotzdem haben wir bei der Ergebnispräsentation mit diesen ersten Unternehmen diese Befunde sehr, sehr vorsichtig und nach einer ausführlichen Darstellung der quantitativen Ergebnisse mitkommuniziert. Wir dachten, vielleicht ist es ja irgendwie interessant für die Geschäftsführer. Das Überraschende war, dass genau diese Dinge – unsere Assoziationen, Bilder, Konflikte etc. – von den UnternehmerInnen als besonders treffend befunden wurden und somit für sie besonders spannende und wertvolle Ergebnisse waren. Wir haben also beschlossen, dieser Spur zu folgen und die Auswertungsmethode weiter zu verfeinern.
Unsere wichtigsten Beobachtungen beim Weiterentwickeln der Methode: Auch wenn die einzelnen Metaphern, Analogien etc. oberflächlich unterschiedlich waren, hatten sie oft im Kern sehr ähnliche Bedeutungen – ein gemeinsames Muster. Wurden die im Auswertungsteam aufgetretenen Konflikte ausagiert bzw. ausdiskutiert, zeigte sich meistens, dass ähnliche Konflikte in der Organisation vorherrschten – das spiegelte sich dann auch in den „harten Daten“ wider. Die Emotionen, die im Auswertungsteam sichtbar wurden, zeigten sich meist auch in den Unternehmen. Je öfter wir die Auswertung durchgeführt haben, desto mehr haben wir sie verfeinert, bis schließlich eine mehrstufige Methode zur Diagnose der „Organisationslogik“ – wie wir das Muster bezeichnet haben – vorlag (siehe Link).
Wie war das nun aber zu erklären?
Unsere Beobachtungen haben mich daran erinnert, dass ich mich bei einem Gastaufenthalt (2006!) als Studentin an der Universität Heidelberg in der Cognitive Research in Social Psychology (CRISP) Gruppe von Prof. Fiedler, unter Anleitung von Prof. Plessner ein paar Monate sehr intensiv mit dem Thema Intuition beschäftigt habe und dass viele experimentalpsychologische Befunde das große Potenzial von intuitiver Verarbeitung aufzeigen. Ich habe mich deshalb eingehend mit den neueren Studien zur Intuition auseinander gesetzt, um unsere praktischen Beobachtungen auf ein theoretisches Fundament zu stellen. Tatsächlich untermauert die Intuitionsforschung sehr eindrucksvoll unsere Beobachtungen: Unter bestimmten Rahmenbedingungen – die wir in unseren Auswertungsworkshops dann mehr und mehr systematisch hergestellt haben – kann Intuition sehr rational sein. Diese Möglichkeit, Intuition in der Organisationsforschung einzusetzen, wurde bisher allerdings in den gängigen Forschungsmethoden so gut wie gar nicht berücksichtigt.
Und diese Lücke schließt der Konferenzbeitrag – und wurde wohl deshalb auch mit dem EURAM Most Inspirational Conference Paper Award 2018 ausgezeichnet.
Christina Schweiger und ich bedanken uns bei allen teilnehmenden Unternehmen. Wir bedanken uns beim (erweiterten) Auswertungsteam, Alexander Engelmann, Lorena Hoormann, Anja Lerch, Doris Kaiser, Renate Kratochvil und einigen Gästen, dass sie – zunächst skeptisch aber dann zunehmend bereitwillig ihre Intuitionen und Emotionen für die Forschung zur Verfügung gestellt haben.
Wir bedanken uns bei Prof. Eugene Sadler-Smith (University of Surrey) und Dr. Viktor Dörfler (University of Strathclyde) für die Ermutigung und Unterstützung bei unserem Forschungsvorhaben.
Und schließlich bedanke ich mich – 12 Jahre später – für den inspirierenden Forschungsaufenthalt an der Universität Heidelberg, insbesondere bei Prof. Henning Plessner (inzwischen Prof. für Sportpsychologie an der Universität Heidelberg), der damals einen der Grundsteine für diese Arbeit gelegt hat.