Nudging in der Organisation: Der Nudge Design Prozess

Ein entscheidender Faktor für erfolgreich umgesetzte Veränderungsprozesse in Organisationen ist der Mensch. Das Nudging-Konzept bietet wertvolle Ansatzpunkte, das Verhalten von Mitarbeitern gezielt zu beeinflussen und auf diese Weise Veränderungen voranzutreiben.

Wie funktioniert Nudging?

Beim Nudging werden Personen durch kleine Stupser (sog. Nudges) zu einem gewünschten Verhalten angeregt (Thaler & Sunstein, 2009). Dabei kommen weder Regeln, Vorschriften noch Verbote zum Einsatz, denn beim Nudging bleibt die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen gewahrt. Es wird lediglich die Entscheidungs­situation so gestaltet, dass es leichter fällt, sich für das gewünschte Verhalten zu entscheiden. (Lesen Sie hier mehr dazu.)

Das Nudging Konzept basiert auf unterschiedlichen psychologischen Wirkmechanismen. Beispielsweise tendieren Menschen dazu, Bestehendes beizubehalten (Tendenz zum Status Quo). Entsprechend kann das Verhalten von Mitarbeitern im Büro durch geschicktes Setzen von Standardeinstellungen beeinflusst werden. Eine Anpassung der Standarddauer von elektronischen Meeting Einladungen von 60 auf 40 Minuten kann dazu beitragen, die Meeting-Kultur effizienter zu gestalten. Dabei steht es jedem frei, die Dauer auf 60 Minuten anzupassen. Gleichzeitig werden Mitarbeiter durch diese Voreinstellung angestupst zu prüfen, ob 40 Minuten nicht vielleicht auch ausreichend sind für das, was im Meeting besprochen werden soll.

Ein weiterer beim Nudging häufig genutzter psychologischer Effekt ist die soziale Norm. Menschen orientieren sich stark an dem, was andere tun (auch wenn die meisten von sich glauben, sehr individuell und unabhängig zu sein). Entsprechend sind Hinweise wie „60% Ihrer KollegInnen arbeiten bereits papierlos“ wirksame Nudges, um ein umweltfreundliches Verhalten im Büro zu fördern. Weitere psychologische Wirkmechanismen, die beim Nudging zum Tragen kommen können sind Framing, Priming, Ankerheuristik, Repräsentativitätsheuristik, Verfügbarkeitsheuristik, unrealistischer Optimismus, Verlustaversion, Mere-Measurement Effekt, Spotlight Effekt und viele weitere (Mirsch et al., 2017).

Anwendungsbereiche von Nudging

Da die genannten psychologischen Wirkmechanismen allgemein gültig sind, sind die Möglichkeiten der Anwendung von Nudging sehr vielfältig:

– Politik: politische Meinungsbildung durch Framing („60% der BundesbürgerInnen befürworten eine elektronische Gesundheitsakte“ vs. „40% der BundesbürgerInnen sprechen sich gegen eine elektronische Gesundheitsakte aus“

– Umwelt: höherer Absatz von erneuerbaren Energien durch Einführung von Ökostrom als Standardoption

– Gesundheit: gesündere Ernährung durch leichtere Zugänglichkeit von Obst und Gemüse/Salat in der Kantine

– Abfall: weniger Vermüllung von öffentlichen Plätzen durch Fußabdrücke, die zum Mülleimer führen sowie farblich herausstechende Mülleimer

– Verkehr: langsameres Fahren z.B. vor Schulen durch Tempo-Anzeigetafeln

– Social Media Plattformen: verbesserter Datenschutz durch Erinnerungen an Einstellungen zur Privatsphäre

– Corporate Learning: höhere Abschlussquoten durch vorheriges Ausformulieren von Lernzielen                      (Lesen Sie hier mehr zum Einsatz von Nudging im Corporate Learning.)

Darüber hinaus eignet sich Nudging, um Veränderungen in der Organisation voranzutreiben. Beispielweise kann Nudging dazu beitragen, die Nutzung neuer Technologien zu beschleunigen (Stieglitz et al., 2017). Doch wie genau entwickelt man einen Nudge?

Prozess zur Entwicklung und Umsetzung von Nudges

In der Literatur finden sich unterschiedliche Darstellungen von Abläufen, wie Nudges entwickelt und implementiert werden können. Der hier abgebildete dreiteilige Prozess stellt eine Synthese aus verschiedenen Prozessmodellen dar (eigene Darstellung).Beim Nudging werden Personen durch kleine Stupser (sog. Nudges) zu einem gewünschten Verhalten angeregt (Thaler & Sunstein, 2009). Dabei kommen weder Regeln, Vorschriften noch Verbote zum Einsatz, denn beim Nudging bleibt die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen gewahrt. Es wird lediglich die Entscheidungs­situation so gestaltet, dass es leichter fällt, sich für das gewünschte Verhalten zu entscheiden. (Lesen Sie hier mehr dazu.)

1) Analyse

In der Analyse-Phase geht es um die Frage, was genau verändert werden soll. Was soll mit Hilfe der Nudging-Intervention erreicht werden und was muss dabei berücksichtigt werden? Die Analyse umfasst die folgenden fünf Schritte:

Beschreibung des aktuellen Verhaltens

Welches aktuelle Verhalten soll geändert werden? Das Verhalten sollte möglichst konkret beschrieben werden. Wann bzw. unter welchen Umständen oder wie häufig tritt es auf

Beschreibung des Zielverhaltens

Was zeichnet das erwünschte Verhalten aus? Das Zielverhalten sollte realistisch sein. Daher empfiehlt es sich, das Veränderungsziel einer kritischen Machbarkeitsprüfung zu unterziehen.

Beschreibung der Zielgruppe

Wer zeigt dieses Verhalten? Verhält sich diese Mitarbeitergruppe, die durch Nudges beeinflusst werden soll, homogen oder gibt es Personen, deren Verhalten bereits im gewünschten Sinne abweicht? Was genau treibt diese Personen an?

Identifikation von Hindernissen und förderlichen Faktoren

Welche Faktoren und Verhaltensweisen stehen dem Veränderungsziel bisher entgegen? Was wirkt sich förderlich aus? Diese Fragen sollten auf den drei Ebenen Individuum, Kultur und Struktur beantwortet werden.

  • Individuum: Weiß die Zielgruppe überhaupt von dem Verhalten, das sie zeigen soll und hat sie dessen Bedeutung verstanden?
  • Kultur: Gibt es Normen und Werte in der Organisation, die Einfluss auf das Verhalten haben?
  • Struktur / System: Welche strukturellen Gegebenheiten oder Prozesse beeinflussen das Verhalten?

Es ist wichtig, die drei Ebenen Individuum, Kultur und Struktur sauber herauszuarbeiten, denn Nudging-Interventionen machen nur Sinn, wenn es um individuelles Verhalten oder Kultur geht. Wenn Strukturen oder Prozesse blockieren, sind Veränderungsentscheidungen auf struktureller Ebene notwendig anstatt auf der individuellen Verhaltensebene anzusetzen.

Festlegung von messbaren Erfolgskriterien

Was soll gemessen werden, um feststellen zu können, ob ein Nudge Wirkung zeigt? Dieser Schritt ist essentiell, um später die Effektivität der Nudging-Intervention bewerten zu können.

Die Analyse-Phase erfolgt im Rahmen von Workshops, an denen auch Vertreter der Zielgruppe teilnehmen sollten. Denn das Denken aus Perspektive derjenigen, deren Verhalten geändert werden soll, ist eine grundlegende Voraussetzung um erfolgreiche Nudges gestalten zu können (Burmester, 2016). Die von den Veränderungsplänen betroffenen Mitarbeiter haben eine andere Perspektive auf ihr Tun als beispielsweise ihre Führungskräfte. Wichtig ist, dass es mehr als eine Wahrheit gibt und Perspektivenvielfalt zu wirksameren Lösungsideen beitragen kann. Des Weiteren sollte bereits in dieser Phase geklärt werden, welche zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen für den Nudging Prozess zur Verfügung stehen, um realistische Nudges entwickeln zu können.

2) Design

Im Anschluss an die Analyse-Phase erfolgt das eigentliche Entwickeln der Nudge-Ideen. Hier bietet der Design Thinking Ansatz methodische Inspiration (Lesen Sie hier mehr zu Design Thinking.) Im Mittelpunkt steht das Brainstorming, bei dem auf Basis der psychologischen Wirkmechanismen Ideen für effektive Nudges generiert werden. Alle Ideen werden im ersten Schritt nur gesammelt und noch nicht bewertet. Erst im zweiten Schritt folgt eine Prüfung, ob Entscheidungsfreiheit gegeben ist und ob die Idee realistisch umsetzbar bzw. praxistauglich ist. Bei komplexen Veränderungszielen empfiehlt es sich, das Ziel in einfache Schritte herunter zu brechen, die dann leichter in wirksame Nudges „übersetzt“ werden können. Im nächsten Schritt werden die Nudge-Ideen priorisiert und eine Auswahl getroffen.

3) Evaluation

Die dritte Phase beinhaltet einen iterativen Prozess aus Implementierung, Evaluierung und Nachbesserung. Nachdem ein Nudge eingeführt wurde, wird das Zielverhalten gemessen. Es empfiehlt sich (auch wenn das nicht immer umsetzbar ist), den Nudge vorerst in einer kleinen Test- oder Pilotgruppe auszuprobieren. In manchen Fällen ist es vielleicht sogar möglich, zwei Vergleichsgruppen zu untersuchen. Das Verhalten der sog. Behandlungsgruppe, die dem neu eingeführten Nudge ausgesetzt ist, wird verglichen mit dem Verhalten einer Kontrollgruppe, die weiter macht wie bisher. In einem Lessons Learned Workshop wird die Wirksamkeit des Nudges auf den Prüfstand gestellt. Basierend auf den Ergebnissen sollte zügig nachgebessert werden, denn die beste Nudge-Idee ist nutzlos, wenn sie in der Praxis nicht funktioniert.

Fazit

Auf Basis des Nudge Design Prozesses können gezielt Interventionen entwickelt werden, die Veränderungsprozesse in Organisationen beschleunigen können. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist dabei, Transparenz über den gesamten Prozess zu wahren, denn schnell kann bei den Mitarbeitern der Eindruck von Manipulation entstehen und dies wäre dann eher schädlich als förderlich.

Literatur:

Burmester, H. (2016). Stupser für die innovative Organisation. Wie Nudging die Organisationsentwicklung bereichern kann. OrganisationsEntwicklung, 16(1), 59-65.
Mirsch, T.; Lehrer, C.; Jung, R. (2017): Digital Nudging: Altering User Behavior in Digital Environments, in Leimeister, J.M.; Brenner, W. (Hrsg.): Proceedings der 13. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik (WI 2017), St. Gallen, S. 634-648
Stieglitz, S., Kroll, T. & Kissmer, T. (2017). Digital Nudging am Arbeitsplatz: Ein Ansatz zur Steigerung der Technologieakzeptanz. HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik. 54.
Thaler, R.H. & Sunstein C.R. (2009). Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Econ.

Beim Nudging werden Personen durch kleine Stupser (sog. Nudges) zu einem gewünschten Verhalten angeregt (Thaler & Sunstein, 2009). Dabei kommen weder Regeln, Vorschriften noch Verbote zum Einsatz, denn beim Nudging bleibt die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen gewahrt. Es wird lediglich die Entscheidungs­situation so gestaltet, dass es leichter fällt, sich für das gewünschte Verhalten zu entscheiden. (Lesen Sie hier mehr dazu.)

Nicole Behringer

Dr. Nicole Behringer ist Dozentin für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management. Zuvor war sie bei Daimler Mobility tätig im Bereich Organizational & Leadership Culture. Sie studierte Psychologie an der Universität Jena und promovierte am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie motivationale Faktoren des Wissensaustauschs. Bei wissensdialoge.de ist sie Leitende Herausgeberin, aktive Autorin und Gründungsmitglied. Sie schreibt vor allem über die Themen New Work, New Learning und Organisationsentwicklung.