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Einstein und Marie Curie: Wir sprechen nicht gleich über männliche und weibliche Expert:innen

„Einstein und Marie Curie gehören zu den bedeutendsten Köpfen der Physik des 20. Jahrhunderts“. Fällt Ihnen in dem Satz etwas auf? Wenn wir von Expert:innen aus z.B. Wissenschaft oder Politik, aber auch Größen aus Sport oder Kunst sprechen, nutzen wir häufig nur den Nachnamen einer Person. Es ist also gang und gäbe, von „Adenauer“, „Einstein“ oder „Dickens“ zu sprechen, ohne deren Doktortitel, „Herr“ oder den Vornamen dazu zu nennen. Aber ist es auch ähnlich üblich, von „Merkel“, „Curie“ oder „Austen“ zu sprechen?

Wir sprechen unterschiedlichen von Expertinnen und Experten

Die Forschung zeigt, dass es systematische Unterschiede darin gibt, wie wir über weibliche und männliche Expert:innen sprechen. Atir und Ferguson (2018) haben Bewertungen von Professor:innen analysiert und dabei gefunden, dass Studierende von ihren Dozierenden deutlich wahrscheinlicher nur mit dem Nachnamen sprechen, wenn diese Person ein Mann war, als wenn es sich um eine Frau handelte. Besonders häufig wurde nur der Nachname genutzt bei Dozierenden, die mit stereotyp männlichen Attributen beschrieben werden (z.B. dominant). Dieser Effekt beschränkt sich aber nicht auf den akademischen Bereich: bei einer Analyse von Radioprogrammen, in denen aktuelle politische Themen thematisiert werden, war es doppelt so wahrscheinlich, dass Politiker nur mit dem Nachnamen genannt wurden, als dass Politikerinnen nur mit Nachnamen genannt wurden. Neben diesen beiden Studien, die das Material aus der realen Welt analysiert haben, haben die Forschenden in einer systematischen Studie gefunden, dass man deutlich öfter über Menschen aus Politik, Sport und Wissenschaft nur mit dem Nachnamen spricht, wenn es sich um einen Mann (im Vergleich zu einer Frau) handelt – auch, wenn alternative Erklärungsfaktoren wie Bekanntheit, Seniorität oder Verbreitung des Nachnamens statistisch kontrolliert wurden. Selbst, wenn die Teilnehmenden einen Aufzählungstext über eine wissenschaftlich erfolgreiche Person, der sich nur durch den weiblichen bzw. männlichen Vornamen unterschied, in Fließtext umschreiben sollten, dann war es der Beschreibung des männlichen Wissenschaftlers viermal wahrscheinlicher, dass nur der Nachname genutzt wurde als bei der Beschreibung der weiblichen Wissenschaftlerin. Dieser Effekt war unabhängig davon, ob es sich um einen Text handelt, der für einen Freund/ eine Freundin erstellt werden sollte oder für eine formelle Präsentation.
Wenn wir über männliche Experten sprechen, ist es also sehr viel wahrscheinlicher, dass wir nur seinen Nachnamen benutzen, als wenn wir über weibliche Expertinnen sprechen. Über Expertinnen wird häufiger mit Vor- und Nachnamen, mit „Frau“, im Englischen mit „Professor“ oder sogar (im Falle der Radioanalyse) nur mit Vornamen berichtet.

Das ist doch egal, oder?

Theoretisch könnte es gleichgültig sein, ob wir von Menschen (nur) mit Nachnahmen sprechen oder sie anders bezeichnen. Die Art und Weise der Bezeichnung hat aber eine Wirkung: Insgesamt sprechen wir vor allem von Menschen nur mit dem Nachnamen, die besonders berühmt und angesehen sind – denn wir gehen davon aus, dass jede/r sie kennt. Den Nachnamen „Scholz“ tragen viele Menschen, aber wenn wir jetzt (im Jahr 2024) von „Scholz“ sprechen, liegt die Interpretation nahe, dass wir vom Kanzler und nicht vom Nachbarn gegenüber sprechen. Über bekannte – und damit oft auch einflussreiche – Personen sprechen wir also häufiger nur mit dem Nachnamen. Im Umkehrschluss nutzen wir diese Information aber auch, um einzuschätzen, wie wichtig die Person ist, von der gerade gesprochen wird! Atir und Ferguson (2018) finden, dass wir bei Berichten, die nur den Nachnamen nutzen, die Person tatsächlich als bekannter und einflussreicher einschätzen. In mehreren Studien finden die Forschenden, dass Personen, über die nur mit Nachnamen (im Vergleich zu Vor- und Nachnamen) bekannter, herausragender und einflussreicher bewertet wurden. Dieser Eindruck schlug sich in Zahlen und Fakten nieder: bei der Beurteilung, wie sehr die eine oder andere Person einen Preis oder eine Auszeichnung verdient, werden diejenigen, über die nur mit Nachnamen berichtet wurde, bevorzugt. Auch bei der Verteilung von öffentlichen Geldern als Preisgeld erhielten die Forschenden, über die nur mit Nachnamen berichtet wurde, deutlich höhere Summen. Wir nutzen also die Art und Weise, wie über Expert:innen gesprochen wird, also als Daumenregel für die Wichtigkeit einer Person, um ganz praktische Entscheidungen zu treffen. 

Warum ist die systematische Verzerrung nach Gender problematisch?

Problematisch wird diese Daumenregel aber dann, wenn der alleinige Gebrauch des Nachnamens eben nicht nur von der Wichtigkeit einer Person abhängt, sondern von (wie von Atir & Furguson gezeigt) Gender, genauso aber auch Alter, Herkunft oder anderen sozialen Kategorien, die nichts mit der Expertise zu tun haben. In dem Fall kann der (Nicht-)Gebrauch von reiner Nachnamen-Nennung subtil bestehende Hierarchien und Machtverhältnisse verfestigen.

Als Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, Einfluss und Wichtigkeit vorrangig auf dem Kriterium der Leistung und Passung zu gewähren. Alle (sprachlichen und nicht-sprachlichen) systematischen Verzerrungen stehen Ihnen dabei also nur im Wege! Nutzen Sie den (Vor-) und Nachnamen von Personen also bewusst bei der Beschreibung von Personen– im Großen und im Kleinen! Vermeiden Sie in Ihrer Kommunikation systematische Gender-Unterschiede, wenn Sie über Kolleg:innen oder Teammitglieder sprechen. Prüfen Sie ihre schriftliche Kommunikation (und ggf. die ihrer Verwaltung) auf mögliche Verzerrungen in der Beschreibung von Personen. Und: achten Sie auch in vermeintlich privaten Settings (wie in der Mittagspause) auf die Art und Weise, wie sie über Personen sprechen: auch wenn es gerade um die Lehrkräfte ihrer Kinder oder über Menschen aus der Nachbarschaft geht, können Sie gruppenbasierte Unterschiede in der Sprechweise vermeiden. Das allein ist ein gutes Training, die Verzerrungen in der eigenen Wahrnehmung zu entlarven und die eigenen Gewohnheiten zu verändern.

Literatur

Atir, S., & Ferguson, M. J. (2018). How gender determines the way we speak about professionals. Proceedings of the National Academy of Sciences, 115(28), 7278-7283.

Bild von hmauck auf Pixabay

„Einstein und Marie Curie gehören zu den bedeutendsten Köpfen der Physik des 20. Jahrhunderts“. Fällt Ihnen in dem Satz etwas auf? Wenn wir von Expert:innen aus z.B. Wissenschaft oder Politik, aber auch Größen aus Sport oder Kunst sprechen, nutzen wir häufig nur den Nachnamen einer Person. Es ist also gang und gäbe, von „Adenauer“, „Einstein“ oder „Dickens“ zu sprechen, ohne deren Doktortitel, „Herr“ oder den Vornamen dazu zu nennen. Aber ist es auch ähnlich üblich, von „Merkel“, „Curie“ oder „Austen“ zu sprechen?