Wie neuronale Trampelpfade zu Autobahnen werden!
Neben lernförderlichen Angeboten und Rahmenbedingungen spielen Mindset sowie Verhalten der Mitarbeitenden bei der Veränderung der Lernkultur eine zentrale Rolle. Mittels Emotions- und Gedankenmanagement können das Mindset und das Verhalten von Mitarbeitenden nachhaltig verändert werden.
Wie sieht die Lernkultur derzeit in Unternehmen aus?
In vielen Unternehmen ist die Lernkultur derzeit noch von fremdgesteuertem Lernen sowie Vorratslernen auf Basis von Curricula geprägt. Die Rahmenbedingungen, die eine Lernkultur ermöglichen, in der eigenverantwortliches und selbstgesteuertes, kollaboratives und lebenslanges Lernen möglich und gefördert wird, sind schwach ausgeprägt oder nicht vorhanden. Lernen wird oftmals als „nice to have“ betrachtet (Edelkraut & Sauter, 2023). Dem Lernbedarf und der Bedeutung der Lernorganisation bzw. Lernkultur wird kaum Bedeutung beigemessen. Dies führt dazu, dass Lernen oft das erste ist, was im hektischen Tagesgeschäft runterfällt, aller Beteuerungen – Lernen sei sehr wichtig – zum Trotz.
Diese Haltung zum Lernen ist jedoch nicht dazu geeignet, um Menschen auf die zukünftigen Herausforderungen und Technologien vorzubereiten, die noch nicht bekannt sind. Es ist daher essenziell, die Mitarbeitenden dazu zu befähigen, diesen Herausforderungen zum entsprechenden Zeitpunkt selbstorganisiert und eigenverantwortlich gerecht zu werden (Edelkraut und Sauter, 2023). Daneben muss aber auch die Haltung der Mitarbeitenden gegenüber Lernen adressiert und verändert werden, sodass Lernen wieder einen höheren Stellenwert auch im beruflichen Alltag bekommt. Beispielsweise indem sie sich Lernzeiten einplanen, gegenüber anderen Aufgaben und Terminen verteidigen und dann im letzten Schritt auch die Lernzeit zum Lernen nutzen.
Warum braucht es eine Veränderung bestehender Lernkulturen?
Ein Unterhemen mit einer Lernkultur, in der eigenverantwortliches und selbstgesteuertes sowie kollaboratives und lebenslanges Lernen gelebte Werte sind, wird sich zukünftig schneller und besser an dynamischen Umgebungen, neue Gegebenheiten und Herausforderungen anpassen können (Graf, Gramß & Edelkraut, 2019).
Auch in der MegaTrend-Map des Zukunftsinstitut findet sich die zunehmende Bedeutung von Unternehmens- und Lernkultur in den Trends „New Work“ und „Wissenskultur“, damit ist Lernen nicht ein schönes Add-On, was ein Unternehmen und Mitarbeitende sich gönnen, wenn es gut läuft und Zeit vorhanden ist, sondern ein bedeutsamer Aspekt, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.
Wie kann Lernkultur verändert werden?
Es gibt bereits viele Firmen, die die Bedeutung der Lernkultur erkannt haben und bereits erste Schritte in Richtung eines inspirierendem Arbeitsumfeld gegangen sind. Sie schaffen förderliche Rahmenbedingungen, beispielsweise in Form von Lernzeit, kollaborativen Lernangeboten (z.B. Learning Circles) oder eine stärkere Einbindung von Mitarbeitenden bei Gestaltungsprozessen.
Dabei zeigt sich jedoch häufig, dass kaum einer der Mitarbeitenden die Entwicklungsangebote nutzt. Oft haben Führungskräfte die Überzeugung, dass man einfach nur eine Maßnahme (z.B. Lernzeit im Kalender blocken) oder ein Training (z.B. Kommunikationstraining) anbieten muss und schon läuft alles von allein. Das ist mitnichten so – die Wirklichkeit sieht so aus, dass die geblockte Zeit nicht genutzt wird oder für das Alltagsgeschäft verwendet wird und die Inhalte eines Trainings im Nirwana verpuffen. Die Schlussfolgerung daraus ist dann, dass die Mitarbeitenden nicht lernen wollen. Dies führt zu Frust auf Seiten derjenigen, die diese Angebote schaffen.
Aber warum ist das so?
Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick in die Definition von Unternehmenskultur. Eine Kultur ist die Grundgesamtheit gemeinsamer Normen, Werte und Einstellungen und diese führen zu einem bestimmten Verhalten. Das bedeutet, wenn ich Angebote auf der Ebene des Verhaltens schaffe, ist dies ein richtiger und wichtiger Schritt, aber um erfolgreich und nachhaltig eine Kulturveränderung zu erreichen, müssen auch die Normen, Einstellungen und Werte (oft auch als Mindset bezeichnet) aller Beteiligten adressiert werden. Kurz gesagt: Der Fokus wird auf die Etablierung von Angeboten und Tools gelegt und das Mindset der Mitarbeitenden wird dabei außer Acht gelassen.
Das Mindset verändern durch aktives Gedankenmanagement
In der Praxis sieht es oft so aus, dass Führungskräfte individuelle Coachings erhalten, damit sie sich persönlich und fachlich weiterentwickeln. Die Idee dabei ist, dass Führungskräfte als Vorbilder fungieren und die durch das Coaching gewonnenen Einsichten und Überzeugungen sowie Impulse an die Mitarbeitenden weitergeben und von diesen übernommen werden. Natürlich ist die Führungskraft ein wichtiger Schlüssel und nimmt als Rollenmodell eine besondere Rolle in diesem Prozess ein, allerdings funktioniert dies nur bedingt. Die Krux dabei ist, dass Werte und Überzeugungen oft unbewusst wirken und ein entsprechendes Verhalten auslösen (vgl. Eisbergmodell). D.h. den Mitarbeitenden ist zum Teil selbst nicht bewusst, warum sie sich genau so verhalten. Natürlich werden die Mitarbeitenden durch das Verhalten ihres Vorgesetzten beeinflusst, allerdings ist diese Vorgehensweise mühsamer und langwieriger im Vergleich zu einem aktiven Gedankenmanagement auch bei den Mitarbeitenden. Das liegt einerseits daran, dass für das neue Verhalten noch kein neuronales Netzwerk aufgebaut und gebahnt ist (Hüther, 2017) und andererseits stehen die Überzeugungen des Mitarbeitenden, die unbewusst ein anderes Verhalten auslösen, dem neuen Verhalten entgegen. Das neue Verhalten muss also bewusst gezeigt werden und die alte Verhaltensweise bewusst unterdrückt werden.
Natürlich können Unternehmen nicht alle Mitarbeiter zu Einzelcoachings schicken, dies würde zu viel Ressourcen in Form von Geld und Zeit verschlingen. Möchte ein Unternehmen jedoch die Lernkultur nachhaltig verändern, sollten neben den verschiedenen Angeboten auf Verhaltensebene noch an den Überzeugungen aller Mitarbeitenden gearbeitet werden. Dadurch ergibt sich ein größerer Hebel zur erfolgreichen Verhaltensveränderung und die Wirkung der angebotenen Maßnahmen (wie z.B. Coachings für Führungskräfte; fester Terminblock für Lernzeit, Learning-Experience-Plattform etc.) kann sich voll entfalten. Mitarbeitenden sollten daher zum Gedanken – und Emotionsmanagement befähigt werden. Dabei lernen die Mitarbeitenden, dass sie ihren Gedanken und Emotionen nicht ausgeliefert sind, sondern diese aktiv managen können. Angelehnt an The Work von Byron Katie (2013) können Mitarbeitenden in drei Schritten ihre Gedanken managen:
- Gedanken identifizieren, die für den Mitarbeitenden nicht dienlich sind.
- Diese Gedanken durch verschiedene Fragen entschlüsseln, z.B. Ist dieser Gedanken wirklich wahr? Welche Emotion und Verhalten löst dieser Gedanke in mir aus?
- Neue Gedanken auf Basis der Gedankenentschlüsselung kreieren. Diesen Gedanken regelmäßig üben, bis der Gedanken nicht mehr durch einen neuronalen Trampelpfad repräsentiert wird, sondern durch eine neuronale Autobahn (vgl. Hüther, 2017).
Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass Susanne die neu eingeführte Lernplattform nicht nutzt, weil sie denkt „Ich kapiere das doch sowieso nicht, Technik war noch nie meines und die Jungen können das doch sowieso viel besser.“ Im ersten Schritt muss sich Susanne über diesen Gedanken bewusstwerden und identifizieren. Erst dann kann im zweiten Schritt der Gedanke entschlüsselt werden. Hier darf sich Susanne fragen, ob dieser Gedanken wirklich wahr ist. Also kann sie mit 100% Sicherheit sagen, dass dies wirklich immer wahr ist. Im Fall des Beispiels fragt sie sich, ob sie wirklich neue Dinge nicht kapiert und die Jüngeren immer besser sind. Mittels dieser Frage wird das eigene Denken hinterfragt und ein Bewusstsein geschaffen, dass es neben den eigenen Gedanken auch andere Sichtweisen gibt. Dadurch entsteht die Möglichkeit alternative Gedanken zu kreieren. Susanne kann sich nun im dritten Schritt die Frage stellen, welcher Gedanke in dieser Situation dienlicher für sie ist. Ein solcher Gedanke könnte beispielsweise sein: „Ich habe in der Vergangenheit schon so viel neues gelernt, da werde ich den Umgang mit diesem Tool auch lernen.“ Nachdem dieser Gedanken kreiert ist, muss dieser regelmäßig geübt, also gedacht werden. Genauso wie ein Muskel durch regelmäßiges Training trainiert werden muss, müssen auch Gedanken geübt werden. Nur durch regelmäßiges Training kann der neuronale Trampelpfad, was ein neuer Gedanke anfänglich ist, zur Datenautobahn (vgl. Hüther, 2017) werden. Dabei kann die Konsolidierung noch verstärkt werden, indem der Gedanken mit dem Gefühl früherer Erfahrungen verknüpft wird, z.B. das Gefühl des Stolzes als sie erfolgreich etwas Neues gelernt hat.
Diese Schritte erfordern von jedem einzelnen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, Mut und Bereitschaft die eigenen Gedanken zu hinterfragen. Sind die Mitarbeitenden jedoch bereit diesen Weg zu gehen, werden sie sich nicht nur im beruflichen Kontext weiterentwickeln und neue Verhaltensweisen zeigen, sondern auch persönlich.
Quellen
Die Megatrend-Map (zukunftsinstitut.de) – abgerufen am 28.09.2023
Edelkraut, F. & Sauert, W. (2023). Future-Skills-Training: Zukunftsfähigkeit professionell erfassen und gezielt entwickeln. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart.
Graf, N., Gramß, D. & Edelkraut, F. (2019). Agiles Lernen: Neue Rollen, Kompetenzen und Methoden im Unternehmenskontext. Haufe, Freiburg.
Hüther, G. (2017). Was wir sind und was wir sein könnten. Fischer Taschenbuchverlag
Katie, B. (2002). Liebe was ist: Wie vier Fragen ihr Leben verändern können. Goldmann Verlag
Dr. Sybille Juhasz
ist Psychologin, Coach und Expertin für Lernen und Entwicklung. Als freiberufliche Beraterin begleitet sie Unternehmen bei der Etablierung einer förderlichen Unternehmens- und Lernkultur, in denen Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können.
Webseite von Sybille Juhasz: www.venara.de