Als Designer von Weiterbildungskonzepten beschäftigt sich Matthias Binder intensiv mit der Frage, wie betriebliches Lernen in der Zukunft aussehen wird. In diesem Gastbeitrag berichtet er über die Ergebnisse seiner eigenen Forschung, in der er untersucht hat, welche Aspekte erfolgreiche Führung in einer digitalen Wirtschaft ausmachen.
Um herauszufinden, welche Aspekte von Führung in Zukunft wichtiger werden, habe ich im Rahmen meiner Masterarbeit insgesamt 20 Interviews mit Expertinnen und Experten sowie Führungskräften geführt. Basierend auf einer Qualitativen Inhaltsanalyse und der Concept-Mapping-Methode konnte ich drei zentrale Aspekte identifizieren, die erfolgreiche Führungskräfte ausmachen:
- Persönliche und wertschätzende Beziehungen
- Begleitete Autonomie
- Proaktive Neugier
Persönliche und wertschätzende Beziehung
Hier steht die zentrale Annahme im Vordergrund: „Der Mensch ist ein sozial-emotionales Wesen“. Die Vorgesetzten suchen den informellen Austausch mit ihren Mitarbeitenden. Beim Kaffee sprechen sie über dies und das, über die Kinder oder den Geburtstag der Partnerin/ des Partners. Die Emotionalität der Menschen greifen sie über die Prämisse „Erfolgreiche Führung erfordert Vertrauen“ auf. Damit erreichen sie drei Dinge: eine offene Kommunikation (keine Angst, Fehler und Probleme zu benennen), ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeitenden trauen, selbst Entscheidungen zu treffen, sowie ein innovationsfreundliches Umfeld.
- Lernen Sie Ihre Mitarbeitenden persönlich kennen – aber nur in einem Maße, wie es für beide Seiten passt (nicht zu persönlich). Gehen Sie den ersten Schritt und offenbaren Sie, was Sie beschäftigt und interessiert. Seien Sie dabei ehrlich und authentisch.
Begleitete Autonomie
Begleitete Autonomie bedeutet, dass die Führungskraft ihren Mitarbeitenden viel Freiraum gewährt. Statt auf Mikromanagement zu setzen, vertraut sie auf die Kompetenzen ihres Teams. Gleichzeitig steht sie ihnen jederzeit als Sparringspartner zur Seite. Ausgehend von der Annahme „Mitarbeitende können und wollen gute Leistung bringen.“ geht die Führungskraft davon aus, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgabenbereiche ohnehin am besten kennen. Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse werden delegiert. Doch dabei wird niemand allein gelassen. Die Führungskraft schafft den passenden Rahmen für das eigenständige Arbeiten. Sie sieht es als ihre Aufgabe, das große Ziel, die Vision, aufzuzeigen. Auf dem Weg dorthin greift sie nur dann direktiv ein, wenn das Team nicht selbst zu einer Lösung kommt. Eine weitere zentrale Annahme spiegelt die Komplexität der digitalen Wirtschaft wider: „Die Führungskraft ist nicht allwissend – und muss es auch nicht sein“. Die Welt wird immer komplexer. Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo die relevanten Informationen sind. Das ist nicht zwingend bei der Führungskraft.
- Machen Sie Ihre Erwartungen deutlich und erklären Sie, auf welches Ziel Sie gemeinsam hinarbeiten und warum sich das lohnt. Halten Sie sich aus den Details heraus, aber seien Sie dabei ansprechbar für Ihr Team.
Proaktive Neugier
Erfolgreiche Führungskräfte sind offen für neue Entwicklungen und fragen sich, wie sie diese zum Vorteil ihres Unternehmens einsetzen können. Sie ergreifen die Initiative: „Veränderung ist real: Es gilt jetzt zu handeln.“. Sie sehen Veränderung als eine positive Herausforderung an und sind bereit, ein Risiko einzugehen. Fehler und Irrwege sind dabei unvermeidlich. Für die Führungskraft kommt es darauf an, diese schnell zu erkennen, daraus zu lernen und den weiteren Weg rasch anzupassen. Ankerpunkte sind– bei allen Unsicherheiten – die Dinge, „die heute richtig und wichtig sind“.
- Fragen Sie gezielt nach den Chancen und Möglichkeiten, die neue Technologien und Prozesse für Sie, Ihr Team und Ihr Unternehmen bringen. Seien Sie neuen Ideen gegenüber offen und geben Sie die Möglichkeit zu experimentieren. Machen Sie gleichzeitig deutlich, dass Experimente scheitern dürfen und stellen Sie sicher, dass daraus für die Zukunft gelernt wird.
Ein menschenzentriertes Weltbild
Es lässt sich festhalten, dass – entgegen meiner Erwartung – digitale Technologien für die Interviewten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Vordergrund steht der Mensch mit seinen Beziehungen. Worauf es ankommt, ist wertschätzende Führung mit echtem Interesse für die Mitarbeitenden. Das ist nicht revolutionär. Es spiegelt wider, was seit fast 40 Jahren unter dem Begriff der Transformationalen Führung diskutiert wird.
- Sie sollten auf drei Dinge setzen: 1) eine vertrauensvolle Beziehung zu Ihren Mitarbeitenden aufbauen, 2) ihnen Freiraum gewähren und dabei gelichzeitig ansprechbar sein und 3) Offenheit und Interesse für Neues zeigen.
Erfahrungsräume für ein neues Mindset
Dafür braucht es, wie so oft, auch die andere Seite: Die Mitarbeitenden sind gefordert, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern. Nur dann können Vorgesetzte darauf eingehen. Viele Aufgaben werden anspruchsvoller und komplexer. Dies erfordert von allen Mitarbeitenden (nicht nur von Führungskräften), Verantwortung zu übernehmen, Freiräume zu nutzen, Vertrauen zu schenken und offen und neugierig zu sein.
An dieser Haltung zu arbeiten ist herausfordernd aber nicht unmöglich. Wichtig dafür ist, Erfahrungsräume zu öffnen und zu gestalten, die Sicherheit bieten. Beispielsweise haben Führungskräfte in Rollenspielen die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Mit Lunch-Impulsen, Podcasts, und anderen kurzen Formaten können gezielt Denkanstöße gesetzt werden. Darüber hinaus kann Reflexion durch kollegiale Fallberatung und andere Coaching-Angebote gestärkt werden. Mit diesen beiden Elementen – Erfahrung und Reflexion – gehen wir Schritt für Schritt hin zur menschenzentrierten Führung in der digitalen Wirtschaft.
Zum Gastautor:
Matthias Binder hat einen Bachelor in Internationaler Betriebswirtschaft und einen Master in Human Resources Management. Er entwickelt Weiterbildungskonzepte für Unternehmen und beschäftigt sich dazu intensiv mit der Frage, wie das betriebliche Lernen in Zukunft aussehen wird.