„Ich liebe es, weil es mir gehört!“ Wie Besitz die Einschätzung von Wert verzerrt

Allein die Tatsache, etwas (psychologisch) zu besitzen, steigert den Wert der Sache. Führungskräfte können sich diesen sogenannten „Besitztumseffekt“ bei Veränderungen zu Nutze machen.

Allein die Tatsache, etwas (psychologisch) zu besitzen, steigert den Wert der Sache. Führungskräfte können sich diesen sogenannten „Besitztumseffekt“ bei Veränderungen zu Nutze machen.

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Stellen Sie sich vor, Sie möchten die Büroordnung in Ihrer Abteilung umstrukturieren. Dazu ist es nötig, dass einige Mitarbeitende das Büro wechseln. Überraschend stoßen Sie aber auf Widerstand: viele möchten ihr altes Büro behalten. Selbst Kolleg:innen, die in völlig unattraktiven Büros sitzen, möchten nicht umziehen.

Wir stoßen im Arbeitsleben immer wieder auf Situationen, in denen der Wert einer Sache unterschiedlich eingeschätzt wird. Die Forschung hat gezeigt, dass Besitz bei der Einschätzung von Wert eine wichtige Rolle spielt und diese leicht verzerren kann.

Ich liebe es, weil es meins ist!

Die Forschungsgruppe um Kahneman (1990) hat in einer Studie untersucht, wie sich der Wert von Objekten durch Besitz verändert. Dafür haben sie der Hälfte ihrer Studienteilnehmenden eine Kaffeetasse geschenkt, mit der Option, die Tasse zu verkaufen, während die andere Hälfte die gleiche Kaffeetasse kaufen konnte. Hier hat sich gezeigt, dass die Käufer:innen bereit waren, durchschnittlich knapp über 2 $ für die Tasse zu zahlen, während die Besitzer:innen der Tasse diese nicht unter 5 $ verkaufen wollten. Ein Unterschied im Wert von etwa 50% hat sich auch bei anderen Dingen gezeigt: einmal besessen, steigen die Objekte rasant im Wert. Dieser Effekt ist als „Endowment Effect“ oder „Besitztumseffekt“ in die Forschung eingegangen.

Psychologischer Besitz

Die Forschung hat seitdem gezeigt, dass nicht einmal der tatsächliche Besitz nötig ist, um den Wert einer Sache zu steigern: es reicht schon das Gefühl, dass eine Sache einem irgendwie gehört, also der psychologische Besitz. Selbst, wenn das Büro, der Computer, oder das Dienstauto natürlich faktisch der Firma gehören, tragen Gewohnheit und häufige Nutzung dazu bei, dass sich solche Objekte psychologisch anfühlen, als würde man sie selbst besitzen – und damit im Wert steigen. Einmal soweit, tappen die gefühlten „Besitzer:innen“ leicht in die Falle, den Wert der Sache zu überschätzen.

Do not touch! You might love it

Spannenderweise kann es recht leicht zu dem Eindruck kommen, eine Sache würde einem selbst gehören: so haben Peck und Schuh (2009) gezeigt, dass die bloße Berührung von Objekten dazu führt, dass man das Gefühl bekommt, das Objekt würde einem bereits gehören. Als Konsequenz steigt das Objekt bereits im Wert. In vielen Verkaufssituationen wird davon Gebrauch gern gemacht, indem man das neue Handy schon mal in die Hand nehmen darf oder das Auto zur Probe fährt.

Machen Sie sich den Effekt zu Nutze

Wenn Sie als Führungskraft bei Erneuerungen gegen Wände laufen, die aufgrund des Besitztums-Effekts auftreten, dann versuchen Sie erstmal zu verstehen, warum diese Widerstände auftreten. Offensichtlich ist der Verlust des wertvollen „Besitzes“ erstmal schlimmer als der Gewinn des Neuen. Das ist insofern logisch, denn das Neue profitiert ja noch nicht vom Besitztumseffekt. Sie können sich aber als Führungskraft den Effekt bei Veränderungen – oder sogar bei fehlenden nötigen Veränderungen, ebenso gut zu Nutze machen (siehe Kasten).

Profitieren Sie vom Besitztumseffekt:

  • Wenn eine Trennung von „Besitz“ nötig ist: Nutzen Sie Rituale, die der psychologischen Bedeutung gerecht werden (z.B. eine Büro-Abschieds-Party oder die rituelle Übergabe des Türschildes an Nächste).
  • Fördern Sie bei Mitarbeitenden das Gefühl des psychologischen Besitzes von neuen Objekten durch kleine Freiheiten (z.B. freie Büro-Gestaltung, oder sprechen Sie von „Ihrem neuen Büro“ statt „dem neuen Büro“).
  • Nutzen Sie bei neuen Objekten den Touch-effekt (z.B. geben Sie den neuen Computer mit nach Hause, lassen Sie Mitarbeitende die neuen Bürostühle probesitzen, geben Sie Kleidung zur Anprobe mit).
  • Wenn erwünschte Erneuerungen nicht möglich sind, betonen Sie den Besitz der „alten Dinge“, dann können Mitarbeitende auch mit dem zufrieden sein, was noch da ist.
  • Trauen Sie bei der Einschätzung von Wert niemals den Besitzer:innen! Lassen Sie unabhängige Dritte den Wert einschätzen.
  • Wenn Güter neu verteilt werden: Schätzen Sie zuerst den Wert der Güter mit allen Beteiligten ab (z.B. Welche Vor- und Nachteile hat das Büro? Womit könnte man die Nachteile ausgleichen?) und verteilen erst danach (z.B. durch Los).

Literatur: Kahneman, D., Knetsch, J. L., & Thaler, R. H. (1990). Experimental tests of the endowment effect and the coase theorem. Journal of Political Economy, 98, 1325–1348. Peck, J. & Shu, S. B. (2009). The effect of mere touch on perceived ownership. Journal of Consumer Research, 36, 434-447.

Bitte zitieren als: Matschke, C. (2022). Besitztumseffekt. wissens.blitz (222). https://wissensdialoge.de/besitztumseffekt