Es gibt etwas zu feiern! Wir sind stolz auf das 10-jährige Bestehen von wissensdialoge.de. Seit 10 Jahren engagieren wir uns nun mit Leidenschaft in der Wissenschaftskommunikation und verfolgen hier stetig weiter unser Ziel, Wissenschaft und Praxis besser zu vernetzen.
Zu diesem Anlass haben wir uns Gedanken zum Thema “Gelingendes Lernen” gemacht (nachdem wir in vergangenen Jubiläumsbeiträgen bereits Impulse u.a. zu den Themen Neuanfang, Achtsamkeit und gute Arbeitspraxis zusammengestellt hatten). Selbstgesteuertes Lernen wird immer wichtiger – insbesondere im Kontext von lebenslangem Lernen. Doch wie kann selbstgesteuertes Lernen verbessert werden? Wie können wir dazu beitragen, dass die Lernenden mehr Verantwortung für ihre eigene Entwicklung übernehmen und ihren Lernprozess selber aktiv gestalten?
Bei dieser Reflektionsübung, die wir im Folgenden präsentieren, haben sich Lernende selbst darüber Gedanken gemacht und ihre Erfahrungen geteilt, was für sie selbst gutes Lernen bedeutet. Dabei wird die eigene Haltung zum Lernen reflektiert: “Wann kann ich besonders gut lernen?”. Es geht darum, ein Bild zu finden, das einen oder mehrere Aspekte von gelingendem Lernen für uns selbst zeigt: Mit welchem Bild assoziiere ich eine gute Lernerfahrung?
Hier sind 10 Impulse von uns, was gelingendes Lernen für uns selbst bedeutet:
Dr. Barbara Kump: Neue Verhaltensweisen verändern das Denken
Die gängige Meinung, wie Lernen funktioniert ist, dass wir zuerst Wissen aufbauen müssen, um dann unser Verhalten zu ändern. Wenn wir beispielsweise genug über neue Kommunikationstechnologien wissen, können wir diese in Meetings oder Seminaren einsetzen. Oder wenn wir genug Wissen über den Klimawandel haben, wird das zu Änderungen in unserem Wirtschaften und unserem Konsumverhalten führen.
Das Spannende ist für mich, dass es aber oft umgekehrt ist! Wenn wir gezwungen sind, neue Dinge auszuprobieren, wie beispielsweise durch Covid-19, ist nicht nur die Lernkurve enorm steil (oder hätten Sie sich vor einem Jahr zugetraut, Zoom-Meetings abzuhalten – etwas, das jetzt völlig normal und alltäglich ist?), sondern es verändert sich auch die Einstellung zu den neuen Verhaltensweisen. Was zunächst mühsam und “unmöglich” erscheint, fühlt sich bald selbstverständlich an. Man kann durch die gemachten Erfahrungen neue Chancen erkennen und möchte oft gar nicht mehr auf das Neue verzichten. Also einfach mal tun und sehen, was sich daraus an neuen Erkenntnissen und Möglichkeiten ergibt – das ist für mich eine gute Lernerfahrung.
Prof. Dr. Nele Graf: Lernen als buntes Puzzle
Ich habe einfach mal in Bilddatenbanken gestöbert und mich treiben lassen – Lernen ohne konkretes Ziel. Das mache ich viel zu selten. Gleichzeitig hat dieser andere Weg (erst Bild suchen, dann schauen, warum es mein Verständnis von Lernen widerspiegelt) auch neue Assoziationen ausgelöst. Dieses Foto zum Thema Lernen hat mich sofort angesprochen sehr an, weil
- Es aufgeräumt wirkt – und Klarheit (über Ziele und Vorgehen) mir beim Lernen hilft
- Ich gerne alleine denke, aber mich auch gerne mit anderen austausche
- Lernen immer ein Puzzle ist – an welche Erfahrungen kann ich anknüpfen
- Zeit ein wichtiger Faktor ist – sowohl im Sinne des Biorhythmus als auch die „Muße“ zu haben, sich in neue Materie einzuarbeiten
- Es bunt ist, was ich mit Spaß und Leichtigkeit assoziiere
Dr. Nicole Behringer: Gutes Lernen ist eine Fahrt im richtigen Boot
Für mich gelingt Lernen dann am besten, wenn das zu Erlernende zu dem passt, wo ich gerade stehe oder was ich mitbringe. Das Neue muss anschlussfähig sein, d.h. es sollte weder zu leicht noch zu schwer sein. Die Vielfalt an unterschiedlichen Booten drückt für mich diese Vielfalt an Lernformaten und -inhalten aus. Es gibt z.B. große Boote, da passen viele Menschen rein und sie gehen zusammen auf eine Lernreise und tauschen sich aus. Es gibt aber auch Einer-Auslegerboote, da kann jeder individuell entscheiden, wie genau die Route aussehen soll. Es gibt Boote mit Motor, aber auch Ruderboote, in denen man selbst rudern muss. Dann kommt man nicht so schnell voran, sieht unterwegs aber auch mehr Details wie kleine Fische oder Vögel am Himmel. Einige Boote haben ein Dach, das vor Sonne oder Regen schützt. Die äußeren Umstände oder die unterschiedliche Tagesform spielen also auch eine wichtige Rolle. Gelingendes Lernen ist, wenn ich das Boot finde, das zu mir und meinem Lernthema passt. Allerdings ist ein ganzer Hafen mit Booten nicht immer hilfreich – manchmal kann eine zu große Auswahl lähmend wirken.
Saskia Dreßler, Studierende: Lernen als Spiel
Wenn ich daran denke, wie mir als Kind lernen vermittelt wurde, dann war das immer eine sehr steife Ansicht vom Lernen. Man muss still an einem Tisch sitzen und dort seine Aufgaben erledigen, Dinge auswendig lernen oder wiederholen. Heute weiß ich, dass ich so zwar auf Prüfungen lernen kann, aber das Wissen oftmals schnell wieder aus meinem Gedächtnis ist. Stattdessen bleiben für mich Fakten in Erinnerung, wenn sie mit einem besonderen Lernerlebnis verknüpft sind. Damit meine ich nicht, dass ich einen Berg besteigen und nebenbei Japanisch Vokabeln lernen muss. Es ist manchmal für mich einfach gut, wenn ich das Lernen zu einem Spielerlebnis mache. So lassen sich Vokabeln oder Kanji leichter merken, wenn ich daraus ein Memory mache. Gamification spielt bei mir also eine große Rolle und ich merke, dass das nicht nur mir hilft, sondern auch anderen. In dem Tutorium, was ich betreue, bringen wir den Erstsemestern die Grundlagen im wissenschaftlichen Arbeiten bei. Das ist für die meisten wohl sehr trocken, aber am Ende jedes Semester machen wir ein Exitgame, in dem die Studierenden ihr gelerntes Wissen anwenden müssen, um ihre Noten wieder zu bekommen. Die Rückmeldungen zu diesem Spiel waren durchgängig positiv, was mich wieder bestärkt, dass lernen nicht trocken sein muss. Vielleicht können wir versuchen mehr Lernbereiche spielerisch uns zu erschließen.
Dr. Christina Matschke: Lernen ist für mich Streiten mit offenem Visier
Ich liebe streiten. Beim Streiten um eine Sache zieht mir, im besten Fall, jemand meine Grundannahmen unter den Füßen weg und ich muss mir auf Glatteis erstmal neuen Griff suchen, auf alle Viere gehen und mich neu umsehen. Auf diese Weise lerne ich, Dinge anders zu bewerten, einzuordnen oder andere Perspektiven gelten zu lassen. Das alles funktioniert aber nur, wenn der Streit nicht gleich die Beziehung zum Streitenden in Frage stellt. Wenn ich vor einem soliden Hintergrund an Sicherheit streiten darf, der bedeutet: ich darf hier ehrlich sein. Ich darf sagen, wenn ich etwas nicht verstehe, wenn ich Zweifel habe, wenn ich etwas für Quatsch halte. Wenn von der Art oder des Ergebnisses des Streits der Fortbestand der Freundschaft, mein Anstellungsverhältnis oder mein Status in einer Gruppe abhängt, dann unterliegt alles, was ich sage, einer Zensur. Und die ist streng! Wenn alles erstmal durch den Bewertungs-filter läuft, bleibt manches darin hängen, was in einer guten Diskussion dazu führen würde, dass ich lerne. Zum ehrlichen Lernen gehört für mich Sicherheit in der Streitbeziehung. Dann öffne ich das Visier, kann meinem „Gegner“ zuzwinkern und auf geht’s.
Simon, 7 Jahre: Bewegung und Konzentration
Bei mir ist es ganz gut, wenn ich an einem ganz ruhigen Ort bin. Es darf nichts sein, sonst mache ich Fehler. Dabei finde ich es gut, wenn ich zwischen meinen Freunden bin, aber ich will leise arbeiten. Ich muss nur jemanden haben, der kontrolliert. Ohne jemanden, der kontrolliert mache ich meine Aufgaben nie. Wenn wir uns bewegen dürfen in den Pausen, am besten draußen, dann kann ich danach wieder gut lernen. Am liebsten Fangi spielen oder Zombie-Ball oder Fußball!
Dr. Katrin Wodzicki: Lernen in der Interaktion mit anderen Menschen
Lernen geschieht, wenn wir mit anderen Menschen aufgeschlossen und neugierig interagieren: Wenn wir aktiv zuhören. Wenn wir erklären. Wenn wir Argumente austauschen. Wenn wir Erfahrungen teilen. Wenn wir andere beobachten. Wenn wir zusammen Dinge ausprobieren oder gestalten. Wenn wir spielen. Und wenn wir über erlebte Interaktionen alleine reflektieren. Andere Menschen sind – direkt oder indirekt, in strukturierten oder unstrukturierten Settings – eine der wichtigsten Quellen für Lernerfahrungen. Für mich wurde das mit zunehmender (Berufs-)Erfahrung immer wichtiger und ich bin unendlich dankbar für die großartigen Kolleg*innen, “Lehrer*innen”, “Schüler*innen” und Vorbilder in meiner Umgebung.
Dr. Annika Scholl: Lernen entsteht für mich durch den Austausch mit anderen
Ich kann ‘lernen’, indem ich Wissen konsumiere und z.B. ein Buch oder Forschungsbefunde lese – und doch ertappe ich mich hier oft dabei, dass ich dieses Wissen vor allem auswendig lerne. ‘Echtes’ Lernen entsteht daher für mich persönlich vor allem dadurch, dass ich mich in einen ganz anderen Kontext begebe und das Gelernte reflektiere (z.B. bei Spaziergang) und/oder mit einer anderen Person darüber austausche. Am besten funktioniert das beides zusammen: Ich tausche mich deshalb sehr gerne zusammen mit ein paar Menschen aus (z.B. meinen Freunden), mit denen ich spazieren gehe, meine Informationen und Perspektiven mitteile und von ihnen Rückfragen, kritische Punkte oder auch ihre ganze eigene Perspektive dazu höre. Das regt bei mir eine deutlich tiefere Verarbeitung des gelernten Wissens an und ich lerne dabei noch einmal etwas ganz Neues: Meine eigene Position zu konkretisieren oder zu verändern, aber auch, an welchen Stellen ich vielleicht noch Wissenslücken habe, mit welchen Themen ich mich noch weiter beschäftigen möchte usw. Durch die Kombination aus Gespräch und gemeinsamer Bewegung ermöglichen sich mir immer wieder ganz neue und spannende Perspektiven – sei es in Bezug auf Wissen, zu privaten Themen oder auch in Bezug auf Forschungsfragen.
Johannes Moskaliuk: Lernen ist Zufall
Information sind verknüpfte Daten, die in einen bestimmten Kontext gesetzt werden. Wissen ist die Interpretation dieser Informationen. Das ist die Voraussetzung dafür, Wissen im nächsten Schritt auch aktiv nutzen zu können, um Probleme und Herausforderungen in der Praxis zu lösen.
Für Lernen bedeutet das: Informationen kann lernen. Damit Wissen entsteht, braucht es mehr – in einem konstruktivistischen Verständnis von Lernen die aktive Nutzung und Anwendung von Informationen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Neues Wissen, Ideen, Lösungsansätze entstehen oft dann, wenn ich mich offenen Augen „durch die Welt“ gehe und neues lerne, obwohl ich das gar nicht vorhatte. Das ist das Serendipity-Prinzip. Ich finde eine Lösung für ein Problem dort, wo ich gar nicht nach der Lösung gesucht habe.
Im Tagesgeschäft fehlt mir oft die Zeit, mich mit Ideen, Themen und Inhalten zu beschäftigen, die keinen direkten Bezug zu aktuellen Anforderungen haben. Damit verschenke ich die Chance auf unerwartete Lösungen. Deshalb nehme ich mir für 2021 vor, dem Zufall wieder mehr Raum zu geben, was mein persönliches Lernen angeht.
Angefangen habe ich mit dem Roman „Ein Gentleman in Moskau“ von Amor Towles. Das Buch erzählt von Graf Rostov, der zum lebenslangen Hausarrest verurteilt wird, und diesen im Jahr 1922 im Hotel Metropol verbringt, das erste Haus am Platz. Lockdown mit Stil also. Ich bin gespannt.
Dr. Kristin Knipfer: Lernen durch Lehren
Seit 15 Jahren forsche und lehre ich an – zunächst am IWM in Tübingen, seit 2012 an der TU München. Teil meines Jobs als Wissenschaftlerin ist es, mir ständig neue Inhalte anzueignen, sei es zum Thema Führung, Wissensaustausch oder Fragen der Führungskräfteentwicklung. Ich lese viel – Fachartikel in erster Linie, aber auch praktisch orientierte Fachmagazine. Da ich hauptsächlich empirisch arbeite, muss ich mich außerdem ständig in neue Methoden einfuchsen. Klar, man hat das “schnell lesen und schnell verstehen” über die Jahre perfektioniert – als Wissenschaftler*in erfasst man neue Inhalte schnell und kann sie schnell mit bestehendem Wissen verknüpfen.
Und doch ist es definitiv so, dass ich Inhalte dann am besten durchdringe, wenn ich sie unterrichten muss: Klar, die vier Dimensionen der transformationalen Führung kann man schnell memorieren; ich hatte fast den Eindruck, da gibts nicht viel zu verstehen…seit 2014 unterrichte ich das Führungsmodell in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichsten Zielgruppen. Und ich muss sagen: Jedes Mal, wenn ich das Modell aufs Neue erkläre, mit den Führungskräften diskutiere (wo liegt der Unterschied zwischen Vision und Zielen? Ist ‘Empowerment’ nicht auch ähnlich zu laissez-faire-Führung?) und auf konkrete Führungssituationen anwende, entdeckte ich einen neuen Aspekt, etwas, das ich bisher nicht “richtig” verstanden hatte.
Deshalb würde ich sagen: Ich lerne am besten, wenn ich lehre!
Wie ist das bei Ihnen? Konnten Sie sich in dem einen oder anderen Aspekt wiederfinden? Oder spielt für Sie vielleicht (noch) etwas anderes eine wichtige Rolle? Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Reflektieren und lassen Sie sich nicht entmutigen, etwas Neues zu lernen.
Ihr wissensdialoge.de Team