Gute Beziehungen sind ein entscheidender Faktor für den Arbeitserfolg: Durch sie erhalten wir von anderen Unterstützung bei anstehenden Aufgaben, können die relevanten Verhandlungspartner für ein Projekt gewinnen und erfahren an entscheidender Stelle Loyalität durch das eigene Team. Dies ist nicht mehr nur für Mitarbeitende relevant, sondern auch für Personen in Machtpositionen. Wie leicht aber fällt es uns, Arbeitsbeziehungen zu anderen richtig einzuschätzen und angemessen zu pflegen, wenn wir erst einmal eine mächtige Position erlangt haben? Und ist es gefährlich, wenn gerade unter dem Einfluss von Macht Beziehungen überschätzt werden?
Auch „ganz oben angekommen“ können gerade Führungskräfte oder CEOs ihre Position heute schnell verlieren, wenn sie das Vertrauen ihrer Kooperationspartner oder Mitarbeitenden verlieren. Die beiden Forscher Sebastien Brion und Cameron Anderson (2013) beschäftigten sich daher mit der Frage, welchen Einfluss Macht auf unsere Wahrnehmung von Beziehungen im Arbeitsumfeld hat. Macht über andere zu haben, bringt eine höhere Unabhängigkeit mit sich und verleitet so dazu, vor allem auf positive statt negative Aspekte einer Situation (z.B. in der Zusammenarbeit mit anderen) zu fokussieren. Sie nahmen daher an, dass Personen die Qualität ihrer Arbeitsbeziehungen unter dem Einfluss von Macht eher überschätzen, deshalb weniger Ressourcen in die Beziehungspflege investieren und somit auf längere Sicht weniger Loyalität und Unterstützung durch ihre Kooperationspartner zurück erhalten.
Eine Reihe von fünf Studien, in der die Teilnehmenden bis zu 15 Wochen am Stück zusammen arbeiteten, konnte diese Annahmen bestätigen:
1.) Macht verleitet dazu, Illusionen guter Arbeitsbeziehungen zu entwickeln:
Im Vergleich zu weniger Mächtigen schätzten Mächtige ihre Beziehung zu Teammitgliedern deutlich positiver ein als die Teammitglieder diese umgekehrt beurteilten. Diese Verzerrung zeigte sich dabei nicht nur in Hinblick auf bereits bestehende Beziehungen, sondern auch für noch bevorstehende, neue Kooperationen mit anderen.
2.) Solche Illusionen gefährden die eigene Machtposition:
Diese Überschätzung hat Folgen für die Zusammenarbeit: Ganz besonders mächtige Personen, die ihre Beziehungsqualität überschätzten, erzielten weniger hohe Gewinne in Verhandlungen, wurden öfter als Kooperationspartner ausgeschlossen und verloren über die Zeit hinweg an Einfluss. Diese Illusion bedeutete somit eine Gefahr für die eigene Position.
Macht kann also dazu verleiten, den Austausch und die Beziehungen zu anderen zu sehr durch die „rosa Brille“ zu sehen. In gewisser Weise könnte man diesen Effekt zwar auch als Optimismus bezeichnen; es kann aber in jedem Fall nicht schaden, wenn wir gerade in Leitungs- oder Führungssituationen die Beziehungen zu anderen hin und wieder einem kritischeren Blick unterziehen und uns aktiv dafür einsetzen, um diese zu verbessern – z.B. durch Unterstützung des Gegenübers, positives Feedback oder Kompromissbereitschaft. Für die Seite der „weniger Mächtigen“ können die Befunde aufzeigen, warum die Wahrnehmung von Arbeitsbeziehungen über Hierarchien hinweg manchmal auseinander gehen kann und vielleicht dazu ermutigen, fehlende(s) Unterstützung, Feedback etc. in der Zusammenarbeit wenn nötig aktiv einzufordern.
Zum Weiterlesen:
Brion, S., & Anderson, C. (2013). The loss of power: How illusions of alliance contribute to powerholders’ downfall. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 121, 129-139. Doi: 10.1016/j.obhdp.2013.01.005
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