Oft wissen wir nicht genau, wie sich andere wirklich in einer Situation fühlen (z.B. der Vorgesetzte, dessen Projekt abgelehnt wurde) oder welche Meinung sie zu einem Thema haben (z.B. wie unser Mitarbeiter den Veränderungen in der Organisation gegenübersteht). Deshalb treffen wir häufig Annahmen darüber, indem wir von uns selbst auf andere schließen. Dieses Schlussfolgern von uns auf andere findet besonders dann statt, wenn wir uns einflussreich und mächtig fühlen: Warum ist das so – und treffen diese Annahmen dann auch zu?
Macht innezuhaben oder zu erleben verändert unser Verhalten und Erleben in Arbeitssituationen – z.B. inwiefern wir Rat von anderen annehmen und wie wir Beziehungen zu anderen wahrnehmen.
Darüber hinausgehend zeigten Jennifer R. Overbeck und Vitalia Droutman (2013) in einer aktuellen Studienreihe, wie eine Machtposition (im Vergleich zu einer weniger mächtigen oder gleichberechtigten Position) das Schlussfolgern von sich auf andere beeinflusst: Sie ließen u.a. Personen ihre persönlichen Merkmale und Einstellungen sowie die ihrer Gruppe bewerten. Dabei zeigte sich, dass mächtige (aber nicht weniger mächtige) Personen deutlich von ihren Meinungen und Merkmalen auf die anderer Personen schlossen – ihre eigenen Einstellungen also als „Anker“ verwendeten und den Teammitgliedern dieselben Meinungen, Merkmale und Einstellungen unterstellten.
Aber ist das nicht auch oftmals zutreffend? Eine Macht- oder Leitungsposition erhalten tatsächlich häufig diejenigen Personen, die auch die vorherrschenden Meinungen und Eigenschaften eines Teams repräsentieren (z.B. die politischen Einstellungen der Partei oder die in einem konkreten Berufsfeld relevanten Kompetenzen und Arbeitsweisen). Allerdings zeigte sich dieser Effekt auch dann, wenn die Mächtigen „ihr Team“ gar nicht vorher kannten und nicht wirklich mit diesem zusammenarbeiteten. Ebenso bewirkte Macht, dass die Personen in den Studien ihre aktuellen eigenen Emotionen auf völlig Unbeteiligte (hier die Fotos anderer Personen, bei denen ausschließlich deren Augen zu sehen waren) übertrugen.
Fazit also: Wenn wir uns mächtig fühlen (bzw. Macht innehaben), gehen wir stärker davon aus, dass andere unsere Meinung teilen (z.B. einem neuen Projekt auch negativ gegenüber stehen), ähnliche Merkmale aufweisen (z.B. genauso engagiert sind wie wir) und sich gerade genauso (z.B. freudig oder nervös) fühlen wie wir.
Was bedeutet das für die Zusammenarbeit? Machtpositionen beinhalten das Privileg, aber auch die Verantwortung Entscheidungen über ein Team zu treffen (z.B. an welchen Trainings das Team teilnimmt, wer den schwierigen Kunden betreut etc.) – und das oft, ohne dass genügend Zeit bleibt, die Interessen, aktuelle Arbeitsbelastung etc. der einzelnen Mitarbeitenden vorher zu prüfen.
Das schnelle Schlussfolgern von sich auf andere kann also eine nützliche Denkweise für Mächtige darstellen, die schnelles Handeln im gemeinsamen Interesse erleichtert – wenn die Interessen wirklich übereinstimmen. Vorsicht mag jedoch geboten sein, wenn diese Schlussfolgerungen nicht zutreffen und die Interessen Mitarbeiter – Führungskraft auseinandergehen. Hier mag es also Aufgabe der Machtinhaber sein, Ihre Annahmen zur Ähnlichkeit Ihrer Mitarbeiter hin und wieder zu hinterfragen; und es mag auch an den Mitarbeitenden liegen, ihre abweichenden Einstellungen im Zweifelsfall möglichst offen und direkt zu kommunizieren.
Zum Weiterlesen:
Overbeck, J. R., & Droutman, V. (in press). One for all: Social power increases self-anchoring of traits, attitudes, and emotions. Psychological Science. doi: 10.1177/0956797612474671
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