Eine Learning Experience Plattform passt sich in Echtzeit an den Lernstand und die Bedürfnisse der Lernenden an und ermöglicht auf diese Weise ein individuelles Lernerlebnis. Doch wie genau funktioniert eine solche Plattform und welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?
Das Leben ist so viel leichter mit dem passenden Werkzeug
Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Seifenkiste bauen und stehen in einer Werkstatt voller Werkzeuge. Da gibt es große und kleine Sägen, Feilen, Bohrer, Schleifer und vieles mehr. Da Sie noch nie eine Seifenkiste gebaut haben, sind Sie ratlos, wie Sie vorgehen und welches Werkzeug Sie benutzen sollen. Was Sie nun bräuchten, wären gezielte Hinweise, welches Tool sich eignet – sowohl für das Werkstück, aber auch für Sie und ihre handwerklichen Fähigkeiten. Wenn Sie beispielsweise Linkshänder sind, empfiehlt sich die Säge für Linkshänder und wenn Sie noch nie mit einer elektrischen Säge gearbeitet haben, sollten sie nicht gleich mit der Standkreissäge starten. Die zentrale Stärke von Learning Experience Plattformen sind genau diese gezielten Empfehlungen – dabei geht es allerdings nicht um Werkzeuge, sondern um Lerneinheiten, die zu Ihnen und Ihrem Lernziel passen.
Was ist eine Learning Experience Plattform?
Eine Learning Experience Plattform (LXP) ist eine Lernumgebung, die sich in Echtzeit an die Benutzer*innen und ihren Lernstand anpasst – also adaptiert. Deshalb wird hier auch von adaptivem Lernen gesprochen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) werden die angebotenen Lerninhalte an das Lernziel, den individuellen Lernstand, die Lernpräferenzen und das Umfeld des Lernenden angepasst. Die KI analysiert das eigene, aber auch das Lernverhalten von anderen Nutzer*innen. Basierend auf diesen riesigen Datenmengen werden mit Hilfe von komplexen Algorithmen automatisiert individuelle Lernpfade erstellt.
Somit kann sichergestellt werden, dass ein Neuling nicht mit schwierigen Lerninhalten konfrontiert wird und sich gleichzeitig ein Experte nicht durch für ihn langweilige Inhalte durchklicken muss. Wenn sich also der Auszubildende Paul auf der Plattform einloggt, bekommt er ganz andere Videos, Kurse und Hinweise angezeigt, als Melissa, die bereits ein Team leitet und sich zu Führungsthemen weiterbilden möchte. Basierend auf ihrem definierten Lernziel, etwas über virtuelles Führen zu lernen, ihren bereits absolvierten Kursen, aber auch dem Verhalten ihrer Kolleg*innen werden Melissa ganz gezielt passende Inhalte vorgeschlagen.
Learning Experience in Unternehmen
So wie bei der User Experience (UX) der User im Mittelpunkt steht, steht bei der Learning Experience der Lernende im Mittelpunkt. Dabei steht das „Learning Experience“ für Lernerlebnis oder Lernreise. Ein solches Lernerlebnis kann das Anschauen eines Videos sein, das Absolvieren eines ganzen Kurses oder eine andere Erfahrung, in der Lernen stattfindet. Wichtig ist, dass hier der Fokus auf dem Lernenden ist, während in klassischen Learning Management Systemen (LMS) der Fokus eher auf dem Verwalten von Lerninhalten liegt. Dabei haben beide Systeme ihre Berechtigung. Ein LMS wird in erster Linie genutzt, um Weiterbildung zu organisieren, nachvollziehbar abzuwickeln und allen Mitarbeiter*innen Zugang zu Lerninhalten zu ermöglichen, die auf Basis gesetzlicher Grundlagen geschult und nachgewiesen werden müssen. Der LXP Markt ist sehr unübersichtlich und die Zahl der Anbieter wie Degreed, LinkedIn Learning, Valamis, usw. wächst stetig.
Welche Funktionen haben LXPs?
Learning Experience Plattformen zeichnen sich durch eine Reihe von Funktionen aus, die auch von anderen Plattformen oder Apps bekannt sind.
Verschmelzung von Arbeiten und Lernen
- Die Benutzeroberfläche (wie bei Netflix) ist attraktiv gestaltet und orientiert sich an den Design Erwartungen der Nutzer*innen. Die Inhalte sind auf allen Endgeräten und Bildschirmformaten verfügbar und lassen sich downloaden und offline bearbeiten.
- Mit der inhaltlichen Suche (wie bei Google) können gezielt Artikel, Podcasts, Videos, Kurse, aber auch Links auf externe Websites und Blogs zu einem Thema gesucht werden. Dies wird möglich durch Schnittstellen zu unternehmensinternen, aber auch zu externen Quellen.
- Mit der Personensuche (wie bei LinkedIn oder Xing) können andere Nutzer*innen identifiziert werden, die Wissen zu einem bestimmten Thema haben bzw. sich dafür interessieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, als Experte für bestimmte Themen sichtbar zu werden.
- Mit Endorsements (wie bei LinkedIn) erfolgt eine Validierung der angegeben Kompetenzen. Endorsement bedeutet Bestätigung, d.h. andere Nutzer*innen der Plattform können bestätigen, dass jemand tatsächlich über die dort angegebenen Kompetenzen verfügt. Diese Art der Validierung kann eine wertvolle Ergänzung zu Zertifikaten darstellen.
- Durch Empfehlungen (wie bei amazon) werden gezielt Hinweise auf weitere Lerninhalte platziert. Das bekannte Prinzip von Shopping Plattformen „Kunden, die diesen Artikel angesehen haben, haben auch angesehen…“ lässt sich prima auf den Lernkontext übertragen: „Lernende, die dieses Video angeschaut haben, haben auch dies angeklickt…“. Das Konzept vonSponsored Articleskommt auch hier zum Tragen, denn im Unternehmenskontext gibt es auch Lerninhalte, für die Lernende mal mehr oder weniger Interesse mitbringen, die aber trotzdem geschult werden müssen. Solche Inhalte können somit gezielt platziert werden.
- Die Möglichkeit User Generated Content (wie bei YouTube) zu erstellen und hochzuladen motiviert die Mitarbeitenden ihr Wissen zu teilen. Jeder kann eigene Inhalte erstellen und hochladen, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz automatisch kuratiert werden. Das heißt, wenn beispielsweise ein Video hochgeladen wird, wird es automatisch transkribiert und einem Thema oder Cluster zugeordnet.
- Durch Bewertungen anderer Nutzer*innen(wie bei facebook) erhält man schnell einen guten Überblick über die Qualität der Inhalte. Jeder kann Beiträge kommentieren, empfehlen und bewerten. In diesem Kontext ist ein „Hat mir etwas gebracht“ Button oder ein Rating der Frage „Lohnt es sich, Zeit in diesen Kurs zu investieren?“ vermutlich sinnvoller als ein „Like“ Button.
- Personalisierte Dashboards zeigen den Lernenden auf, wo sie aktuell stehen. Man kann beispielsweise wöchentliche Lernziele von 30, 60 oder mehr Minuten festlegen und sieht den eigenen Fortschritt graphisch anschaulich aufbereitet. Die Visualisierung der eigenen Lerndaten ist wichtig, um den eigenen Lernprozess zu verstehen und verbessern zu können. Das Erreichen von Zertifikaten und Badges motiviert, dranzubleiben.
- Aber auch soziales Lernen ist ein wesentlicher didaktischer Schwerpunkt von LXP. Lernende werden entsprechend ihrer individuellen Lernprofile gezielt miteinander vernetzt, indem aufgezeigt wird, wer ein ähnliches Profil hat oder wer was zuletzt angesehen hat. Manche Plattformen bieten einen Community Bereich für Austausch an.
Aus meiner Sicht sind Learning Experience Plattformen ein guter und wichtiger Schritt, um das Lernen in Unternehmen attraktiver und nachhaltiger zu gestalten. Allerdings macht der Einsatz von solchen Plattformen nur dann Sinn, wenn die richtige Lernkultur vorhanden ist. Ist beispielsweise geklärt, wie viel Arbeitszeit für das Lernen verwendet werden darf? Nur wenn Arbeiten und Lernen eine akzeptierte Selbstverständlichkeit sind, können sie miteinander verschmelzen. Beim Lernen mit einer LXP werden Arbeiten und Lernen zwar besser miteinander verzahnt, aber ein Verschmelzen findet eben doch noch nicht so ganz statt. Denn nach wie vor, muss man sich in getrennte Systeme einloggen – wie das Intranet und die Lernplattform. Einen Schritt weitergedacht, würden diese und weitere Systeme integriert werden, so dass Arbeiten und Lernen noch weiter miteinander verschmelzen können.
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Kompetenz für selbstgesteuertes Lernen auf Seiten der Lernenden. Auch wenn die Plattform durch den Einsatz von Nudging Techniken den Lernprozess gezielt unterstützt, brauchen die Lernenden gerade zu Beginn Unterstützung und Begleitung bei ihrer individuellen Lernreise, um motiviert am Ball zu bleiben.