Noch immer sind die Führungsetagen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft von Männern dominiert. Noch immer bekommen Frauen nicht das gleiche Gehalt für gleiche Arbeit. Viele Betrachtungen gibt es zu diesem Thema. Keine hat in letzter Zeit so viel Aufsehen erregt wie das Buch Lean In. Frauen und der Wille zum Erfolg von Sheryl Sandberg. Warum greife ich das Buch hier auf und kommentiere es?
Mir gefällt die Kombination aus persönlichen Erfahrungen und fundierten wissenschaftlichen Studien, die Grundlage von Sheryl Sandbergs Überlegungen sind. Mir gefällt die Perspektive des Buches, die auf die Frau und ihre unmittelbare Umgebung konzentriert – und damit den Aktionsradius ausleuchtet, den jede und jeder hat zu einer Veränderung beizutragen.
Sheryl Sandberg beleuchtet die psychologischen Mechanismen, durch die sich Frauen selbst im Weg stehen, ebenso wie die psychologischen Mechanismen, die hinderliche Reaktionen der Umwelt auslösen. Sie zeigt auf, dass berufliche Gleichstellung auch mit häuslicher Gleichstellung zu tun hat.
In den Artikeln über das Buch, die ich gelesen habe, kommt vor allem eine Kritik an Sheryl Sandbergs Überlegungen vor: Das Buch gehe an den gesellschaftlich-strukturellen Realitäten – wie beispielsweise zu kurzen Öffnungszeiten von Kitas – vorbei. Es sei aus der Perspektive der privilegierten Oberschicht geschrieben, die über ausreichend Geld verfügt, um sich Unterstützung bei der Erziehung und im Haushalt einzukaufen.
Die soziale Herkunft ist in vielerlei Hinsicht förderlich, nicht nur weil sie ein gewisses Ausgangsbudget mit sich bringt. Noch viel entscheidender sind wohl die Netzwerke, in die man hineingeboren wird. Das wertet jedoch nicht die vielen Anstöße ab, die das Buch jeder Frau und jedem Mann an die Hand gibt, die eigenen Wahrnehmungen, Bewertungen und Handlungen zu hinterfragen. Sheryl Sandberg macht zu Beginn ihres Buches außerdem klar, dass ihre Überlegungen gesellschaftlich-strukturelle Veränderungen nicht überflüssig machen.
Sheryl Sandberg fordert dazu auf, sich beruflich richtig reinzuhängen. Sie macht gleichzeitig klar, dass dies auch bedeutet private Abstriche zu machen. Sie thematisiert den „Mythos, alles haben zu können“. Sie will gleichzeitig nicht über unterschiedliche Lebensentwürfe werten.
Mein persönliches Fazit: Das Buch kann sowohl Frauen als auch Männern die Augen für die alltäglichen Wahrnehmungen, Bewertungen und Handlungen öffnen, die dazu beitragen, dass Frauen beruflich nicht so erfolgreich sind wie Männer. Es motiviert so dazu, gegen die eigenen Wahrnehmungsverzerrungen anzukämpfen, und gibt Ideen an die Hand, wie man unterschiedliche Bewertungsmuster produktiv für sich nutzen kann. Diese Erkenntnisse werden nicht ausreichen, um die Gleichstellung der Frau zu erreichen. Sie werden jedoch einen Beitrag leisten. Im besten Fall wird es einen Anstoß für den Dialog zwischen Frauen und Männern, beruflich wie privat, geben – vor allem wenn sich auch mehr Männer mit den Inhalten des Buchs auseinandersetzen.