Komplexe Entscheidungssituationen: Intuitiv beurteilen, rational begründen

Häufig sind Führungskräfte mit komplexen Entscheidungssituationen konfrontiert. Auch wenn erfahrene Personen Entscheidungen oft „aus dem Bauch“ treffen, fordern Aufsichtsräte, Mitarbeitende und andere Stakeholder ein möglichst analytisches, rationales Vorgehen. Welche Strategie soll gewählt werden?

Häufig sind Führungskräfte mit komplexen Entscheidungssituationen konfrontiert. Auch wenn erfahrene Personen Entscheidungen oft „aus dem Bauch“ treffen, fordern Aufsichtsräte, Mitarbeitende und andere Stakeholder ein möglichst analytisches, rationales Vorgehen. Welche Strategie soll gewählt werden?

Download: wissens.blitz(178)

Im Jahr 2011 verfasste der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann den Bestseller „Thinking, fast and slow“. Er beschrieb darin zwei Denkarten, eben „schnelles“ und „langsames Denken“, die in Entscheidungssituationen zum Einsatz kommen können. „Langsames Denken“ bezieht sich dabei auf eher analytisches, rationales Denken (z.B. das systematische Diagnostizieren eines Softwarefehlers in einem Programm durch eine Informatikerin). Schnelles Denken umfasst alle kognitiven Vorgänge, die intuitiv und automatisch ablaufen und zu blitzschnell getroffenen Schlussfolgerungen und Urteilen führen (z.B. das unbestimmte „Gefühl“ eines Buchhalters, dass eine Bilanz falsch ist). Seit Erscheinen des Buches wurde eine Reihe von Unterschieden zwischen dem intuitiven und dem rationalen Denken identifiziert (siehe Tabelle).

 

(„Langsames“) rationales Denken(„Schnelles“) intuitives Denken
bewusst/schlussfolgerndautomatisch/unbewusst
affektfreiemotionsbasiert
verbalnonverbal
analytisch/zerteilendganzheitlich
„aktives“ Denken, wird als kontrollierbar erlebt„passive“, spontane Gedanken/Eingebungen

 

Im Vergleich zum rationalen Denken findet intuitives Denken automatisch und unbewusst statt. Es hat einen starken Bezug zu Emotionen (z.B. etwas fühlt sich „nicht richtig an“) und äußert sich oft in nonverbalen „Denkergebnissen“ (z.B. Emotionen, aber auch Analogien oder Metaphern). Intuitives Denken betrachtet eine Situation als Ganzes, statt sie in ihre Einzelteile zu zerlegen und wird oft auch als passive „Eingebung“ erlebt, statt als aktiver Analyse-Prozess. Das Ergebnis intuitiver Informationsverarbeitung sind gesamtheitliche Urteile („Die Bilanz sieht richtig aus“), die mit Bildern und Gefühlen verknüpft sein können.

Kann man der Intuition trauen?

Eine Vielzahl von Studien hat ergeben, dass intuitives Denken unter bestimmten Umständen zu erstaunlich akkuraten Urteilen führen kann. Dennoch ist es für Führungskräfte häufig schwer, sich rein auf intuitive Urteile zu verlassen und diese zu rechtfertigen. Denn: (1) Die intuitiven Schlussfolgerungen lassen sich rational nicht erklären, weil sie eben „an der Ratio vorbei“ und somit unbewusst ablaufen. (2) die ganzheitliche Analyse eines Problems (ohne es in die Einzelteile zu zerlegen) ist schwer zu validieren.

Studien haben aber gezeigt, dass mittels intuitiver Informationsverarbeitung eine sehr große (bewusst nicht annähernd bewältigbare) Menge an Informationen gleichzeitig verarbeitet werden kann.

Zwei wichtige Mechanismen sind dabei das Vergleichen der vorgefundenen Informationen mit Vorerfahrungen und das Wiedererkennen bekannter Situationen.  Intuition in diesem wissenschaftlichen Sinn können daher nur Personen mit umfassender Vorerfahrung entwickeln.

Intuitive Verarbeitung führt zum Erkennen von kohärenten, in sich stimmigen Mustern in den Informationen, also einem schlüssigen Gesamtbild. Hierin liegt gleichzeitig die Stärke und die Gefahr des schnellen Denkens: Informationen, die „nicht zum Gesamtbild passen“ werden automatisch ausgeblendet, wodurch die Informationsverarbeitung effizient, aber – insbesondere bei weniger erfahrenen Personen – fehleranfällig werden kann.

Fazit: Intuition und Ratio kombinieren

Mit einer rein analytischen Strategie wird also die kognitive Verarbeitungsfähigkeit nicht optimal genutzt. Für gewisse komplexe Entscheidungssituationen (siehe dazu auch wissens.blitz (173) zur FIRSt-Matrix) lässt sich daher folgendes Vorgehen für Führungskräfte ableiten: Zunächst (1) „unbewusst“ viele Informationen zur Entscheidungssituation „konsumieren“ (und ignorieren, dass man sie nicht bewusst verarbeiten kann), (2) intuitiv ein „stimmiges, kohärentes Gesamtbild“ entstehen lassen, d.h. ein intuitives Urteil bilden und (3) dieses Urteil analytisch überprüfen. Insbesondere sollte man beim letzten Schritt explizit nach möglichen widersprüchlichen Evidenzen suchen, um Urteilsverzerrungen und Entscheidungsfehler zu vermeiden.

Literaturnachweis:

Betsch, T., & Glöckner, A. (2010). Intuition in judgment and deci-sion making: Extensive thinking without effort. Psychological Inquiry, 21(4), 279–294.
Epstein, S. (2010). Demystifying intuition: What it is, what it does, and how it does it. Psychological Inquiry, 21(4), 295–312.
Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. Ney York: Farrar. Straus and Giroux.

 

Zitieren als: Kump, B. (2017). Komplexe Entscheidungssituationen: Intuitiv beurteilen, rational begründen. wissens.blitz (178). https://wissensdialoge.de/ komplexe-entscheidungssituationen-intuition

Barbara Kump

Barbara Kump ist Assistant Professor am Institut für KMU-Management an der WU Wien, Expertin für Veränderungsprozesse, sowie ausgebildete Supervisorin und Business-Coach. Als promovierte Organisations- und Kognitionspsychologin publiziert sie regelmäßig in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und Branchenmagazinen und hält Vorträge auf internationalen Konferenzen. Auf wissensdialoge.de schreibt sie vor allem über die Themen organisationales Lernen und Change Management, insbesondere in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit.

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