In diesem wissens.blitz (12) erfahren Sie, warum wir Kollegen oft falsch einschätzen, dass dies negative Auswirkungen auf das Wissensmanagement haben kann und wie man diese Fehleinschätzung verhindert.
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Beim Wissensmanagement geht es vor allem um Menschen – es sind oft die Kollegen die Wissen besitzen. Was aber, wenn der Kollege selbst zum Problem wird – wenn man ihm nichts zutraut?
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einer Besprechung. Ein Ihnen unbekannter Kollege präsentiert etwas, aber beim sprechen stockt er häufig, er verwechselt Wörter, verschüttet Wasser über sein Notebook und stolpert beim Gehen. Sie sind froh, dass die Präsentation vorbei ist, da erfahren Sie, dass Sie mit dem Vortragenden zusammen eine neue Produktlinie entwickeln und vorstellen sollen. Sie wären vermutlich entsetzt, mit dem Kollegen zusammenzuarbeiten und hätten keine positiven Erwartungen. Begründen würden Sie es vielleicht mit seiner Schusseligkeit, Ungeschicktheit, und Inkompetenz. Aber in vielen Fällen wäre diese Unterstellung falsch.
Verhalten vs. Persönlichkeitseigenschaften
Das Problem hierbei ist die direkte Gleichsetzung von Verhalten mit überdauernden Persönlichkeitseigenschaften (Dispositionen). Der Kollege mag Verhaltensweisen gezeigt haben, die eine solche Interpretation nahelegen, aber eine Zuschreibung auf überdauernde Eigenschaften vernachlässigt einen zweiten, gleich wichtigen Einflussfaktor: Die Situation.
Um auf die Disposition zu schließen, muss man von dem Verhalten die situationalen Einflussfaktoren „abziehen“. Hieraus folgt, dass man nicht vom Verhalten auf die Disposition schließen darf, wenn das Verhalten genau das ist, was die Situation erfordert. Oft machen wir aber genau das – wir erklären Verhalten mit einer Disposition, obwohl es genau so gut durch die Situation bedingt sein kann.
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Menschen dieses Verhalten zeigen: Zum Beispiel erscheint die Interaktion mit anderen einfacher, weil wir auf weniger achten müssen. Auch glauben wir, ihr Verhalten gut vorhersagen zu können, was uns ein Gefühl der Kontrolle und Vorausberechenbarkeit gibt. Problematisch ist dies jedoch dann, wenn wir fälschlicherweise den Einfluss der Situation vernachlässigen, unterschätzen oder falsch interpretieren.
Der Einfluss der Situation
Die Situation ist oft nicht sichtbar, es ist der Hintergrund, vor dem die Person auftritt. Der Vortragende kann zum Beispiel bereits seit 24 Stunden auf den Beinen sein, er kann neue Schuhe tragen, die ihm Schmerzen bereiten und sein Vater kann im Sterben liegen. Das alles sind starke Einflussfaktoren, die wir als Außenstehende weder direkt wahrnehmen noch im beruflichen Kontext erfahren würden. Der Einfluss der Situation wird oft unterschätzt, nicht nur in der Stärke, sondern auch in der Bewertung. Für jemanden mit viel Präsentationserfahrung kann ein Vortrag Spaß machen, anderen ist die Situation unangenehm. Schließlich wird Verhalten nicht wahrgenommen, sondern interpretiert. Zum Beispiel sieht man in der oft gequälten Mimik des Vortragen eher Unsicherheit und Abneigung, während dieses Verhalten vielleicht nur an den drückenden Schuhen lag.
Wie wir Kollegen genauer einschätzen können:
- Rahmenbedingung schaffen: Habe ich die notwendigen Zeit, Konzentration und Informationen um ein akkurates Urteil zu fällen?
- Bewusst auf die Situation achten: Was können situationale Einflussfaktoren sein? Unterschätze ich sie vielleicht? Interpretiere ich das Verhalten richtig?
- Situationen vergleichen: Verhält sich die Person in diesen Situationen immer so? Würden sich andere Personen in der gleichen Situation ebenso verhalten? Verhält sich die Person in anderen Situationen genau so?
- Eigenen Einfluss bedenken: Was ist mein eigener Beitrag zu ihrem Verhalten? Was müsste sie konkret machen um mein Urteil zu ändern? Sind die Anforderungen realistisch und der Person bekannt?
Warum ein zweiter Blick oft wichtig ist
Gerade wenn man mit Kollegen wiederholt zusammen arbeiten muss und auf ihr Wissen angewiesen ist, lohnt sich oft ein zweiter, kritischer Blick auf die Person um vielleicht vernachlässigte situationale Einflüsse zu identifizieren (siehe Kasten). Dies muss bewusst gemacht werden, denn leider verschwinden solche Fehleinschätzung nur selten von alleine: Es gibt viele Prozesse, welche die erste Einschätzung – unabhängig von ihrer Richtigkeit – aufrecht erhalten. Zum Beispiel rufen wir durch unsere eigenen Verhaltensweisen passende Verhaltensweisen bei unserem Gegenüber hervor: Wenn ich dem Kollegen nichts zutraue, gebe ich ihm auch keine Aufgaben, an denen er sein Können beweisen kann. Auch haben wir die Angewohnheit, eher nach bestätigenden Informationen zu suchen und Abweichungen davon zu ignorieren.
Man wird nicht in allen Fällen ein negatives Bild korrigieren können, aber wenn dies möglich ist, wird die Interaktion wesentlich angenehmer und der Wissensaustausch extrem erleichtert.
Literaturnachweis: Gilbert, D. T. (1995). Attribution and interpersonal perception. In A. Tesser (Ed.) Advanced Social Psychology. New York: McGraw Hill.
Bildnachweis: By Inside_my_head.jpg: Andrew Mason from London, UK derivative work: — Jtneill – Talk (Inside_my_head.jpg) [CC-BY-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Zitieren als: Wessel, D. (2011). Warum wir Kollegen oft falsch einschätzen. wissens.block (12). https://wissensdialoge.de/kollegen_falsch_einschaetzen