Ein großes Thema auf diesem Blog ist Personalentwicklung, und eine Stärke dieses Blogs ist, dass wir unterschiedliche Sichtweisen haben. Das betrifft auch, aus welchen Gründen Personen gefördert werden sollten.
Persönlich sehe ich es als einen bedenklichen Trend, wenn Personen nicht als Individuen gesehen werden, sondern als Repräsentanten von Gruppen. Gruppen, die aufgrund unveränderlicher Merkmale gebildet wurden.
Diese gruppenspezifische Sichtweise — oder anders gesagt: Kollektivismus — wird von einigen Personen propagiert. Zum Beispiel wenn (auf-)gefordert wird, Personen aufgrund ihres Geschlechts spezifisch zu fördern (auf diesem Blog, siehe dieses Posting).
Die Motivation mag gut gemeint sein und der Fürsorge Ethik («Care Ethic») folgen (vgl. diesen Blitz). Und ja, es fühlt sich gut an, sich für vermeintlich schwächere Personen einzusetzen. Und einige Personen haben direkte, selbstdienliche Vorteile davon (z. B. wenn sie selbst zu der Gruppe gehören, oder mit gruppenspezifischen Fördermaßnahmen Geld verdienen).
Letztlich ist es allerdings eine kollektivistische Sichtweise, bei der das Individuum ignoriert wird — indem es der Kategorie «Gruppenzugehörigkeit» untergeordnet wird.
Und ich vermute, das führt langfristig v.a. zu eher negativen Konsequenzen.
Die Argumente für eine gruppenspezifische Förderung klingen erst einmal positiv — aber sind sie es auch?
Argumente sind z. B.:
Eine Abweichung von 50:50 (oder der Basisrate) wird als Problem gesehen
Eine oft implizit gemachte Annahme ist, dass Abweichungen von einer Gleichverteilung als Hinweis für ungerechtfertigte Diskriminierung gesehen wird. Zumindest bei gesellschaftlich hoch angesehenen Positionen (es trifft z. B. bei Arbeitsunfällen, Selbstmorden, oder Obdachlosigkeit nicht zu). In dem Zusammenhang wird oft einfach der Wunsch nach einer Gleichverteilung von Gruppenmerkmalen in Führungspositionen unterstellt.
Persönlich wünsche ich mir allerdings kompetente Führungskräfte — zumindest wenn ich mit den Zielen der Organisation übereinstimme. Dabei ist mir z. B. das Geschlecht üblicherweise egal — weder Mann noch Frau zu sein ist eine Qualifikation. Die wenigen Ausnahmen (z. B. Ammen, Eizellen-/Samenspender, Sexarbeiter) werden unmittelbar über Marktmechanismen gelöst.
Natürlich ist es schön in einer Spitzenposition zu sein, zumindest so lange man sich z. B. über die Verantwortung für die Mitarbeiter keine Gedanken machen muss. Oder für die Opfer, die man auf dem Weg dahin bringen muss. Die Kosten — und seien es auch «nur» Opportunitätskosten wie Zeit, die man nicht mit der Familie verbringt, sind nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt das hohe Risiko, fast die ganze Lebenszeit und Energie in die Karriere zu investieren — und das kann schief gehen. Einen Erfolg auf die Gruppenzugehörigkeit (wie z. B. dem Geschlecht) zu reduzieren verkennt die Situation und ist ungerecht den erfolgreichen — wie den gescheiterten — Personen gegenüber.
Und kein Wunder, wenn bei der Entscheidung für oder gegen eine hoch-risikoreiche Karriere Interessen eine Rolle spielen. Und Erfolg in der Karriere keine alleinige Frage von «können» ist, sondern auch von «wollen». Von «ist es einem das wert»? Und diese Entscheidung liegt beim Individuum — Erfolg ist für niemanden garantiert.
Kurz: Chancengleichheit heißt nicht Ergebnisgleichheit. Im Gegenteil. Es erlaubt Raum für individuelle Freiheiten — und damit auch für Unterschiede. Personen aufgrund irrelevanter Gruppenzugehörigkeit von Karrierewegen auszuschließen ist ebenso falsch wie sie aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu bestimmten Karrierewegen zu drängen. Das individuelle Leben ist mehr als die Teilösung eines wahrgenommenen Quotenproblems und Planwirtschaft ist selten eine gute Strategie.
Bestehende Ungleichbehandlung soll kompensiert werden
Eine weitere Annahme ist, dass gruppenspezifische Förderung nur bestehende Ungleichbehandlung kompensieren soll. Hierbei werden sowohl auf der Seite der Gruppenmitglieder als auch der gewünschten Förderer interessante Sachverhalte postuliert.
Bezüglich der Gruppenmitglieder wird z. B. oft unterstellt, dass z. B. Männer oft automatisch aufgrund ihres Geschlechts gefördert werden. Der Blick ist dabei aber nur auf die erfolgreichen Personen (hier: die erfolgreichen Männer) fokussiert — und ignoriert die vielen Personen, die ebenfalls versucht haben, Karriere zu machen … und gescheitert sind (hier: die vielen nicht erfolgreichen Männer). Diese selektive Sichtweise kann auch leicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden — zumal es selbstwertdienlicher ist, als den Fehler bei sich, bei der Situation, oder beim Zufall zu suchen. Im Prinzip ersetzt es eine unkritisch angenommene (und in der subjektiven Sichtweise vielleicht tatsächlich wahrgenommene) Ungleichbehandlung durch eine tatsächliche Ungleichbehandlung.
Bezüglich der gewünschten Förderer — die auch z. B. Frauen sind — wird implizit unterstellt, dass diese ihre Mitarbeiter aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit (z. B. Geschlecht, Hautfarbe, Migrationshintergrund) unfair behandeln. Kurz: Es wird Sexismus oder Rassismus unterstellt. Zwar verlieren diese Anschuldigungen aufgrund ihres inflationären Gebrauchs langsam an Wirkung, aber diese Anschuldigungen sind etwas, was die wenigsten Personen auf sich sitzen lassen wollen. Diese Scham-Taktik ist noch sehr effektiv, grade wenn im Berufsleben viel über Reputation läuft. Die erste Reaktion ist dann meist, diese Anschuldigung über eine besonders wohlwollende Behandlung der entsprechenden Gruppe entkräften zu wollen. Eine vielleicht bessere Vorgehensweise ist, diese unbegründete Anschuldigung einfach als ekelhafte Unterstellung zurückzuweisen. Zumal sie oft unreflektiert gebracht wird, ohne besondere Kenntnis oder Bezug zur beschuldigten Person.
Neben diesen oft impliziten Annahmen haben gruppenspezifische Förderungen auch ihre eigenen negativen Konsequenzen, z. B.:
Die Gruppenzugehörigkeit ist oft eine dreckige Variable, welche die großen Überlappungen zwischen den Gruppen ignoriert
Stereotype werden verwendet, weil sie oft nützliche Heuristiken sind — Daumenregeln, die oft gut genug sind, da nicht unbegrenzt Ressourcen zum Nachdenken zur Verfügung stehen. Aber sie bilden die Realität nur unscharf ab — und sind unfair dem Individuum gegenüber. Sie unterstellen eine Homogenität, die in vielen Fällen schlicht nicht gegeben ist. Einzelne Personen auf Basis ihrer Gruppenzugehörigkeit zu beurteilen ist oft eine sexistische oder rassistische Sichtweise — aber im Bereich gruppenspezifische Förderung merkwürdigerweise auch eine, die Sexismus oder Rassismus wieder salonfähig gemacht hat. Vermutlich, weil es angeblich zum Wohl der betreffenden Gruppen ist.
Im Arbeitskontext haben wir es allerdings mit Individuen zu tun — und die verdienen mehr, als aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit behandelt zu werden.
Nehmen wir eine Analogie zur Verdeutlichung. Angenommen wir würden statt von «souveränen Auftreten», in denen sich Männer und Frauen unterscheiden (sollen), von Körpergröße sprechen. Männer und Frauen unterscheiden sich in der durchschnittlichen Körpergröße. Nehmen wir weiterhin an, wir haben ein Regal, bei dem man mindestens 173 cm groß sein muss, um die oberste Ablage erreichen zu können. Graphisch dargestellt:
(rot = Frauen, blau = Männer)
Wer sollte eine Förderung (d.h., eine «Leiter») bekommen?
Man kann einen großen Teil der üblichen Argumentation für gruppenspezifische Förderung auf dieses Beispiel übertragen. Es kommen ohne Förderung mehr Männer an die oberste Ablage als Frauen. Frauen sind unterrepräsentiert. Aber was würde eine gruppenspezifische Förderung (hier: nach Geschlecht, Frauen werden gefördert) bewirken?
Ein Teil der Männer (blaue Verteilung, links von der 173 cm Linie) würde ignoriert werden. Diese Personen kommen ebenfalls nicht an die oberste Ablage. Diese gescheiterten Personen sind egal. Vielleicht noch schlimmer — Frauen die an die Ablage kommen (rote Verteilung, rechts der 173 cm Linie) werden als defizitär dargestellt. Ihnen wird unterstellt, dass sie Unterstützung benötigen. Das erweist kompetenten Frauen einen Bärendienst. Liegt ihr Erfolg an ihren Fertigkeiten, oder an einer Förderung, die sie nur aufgrund ihres Geschlechtes erhalten haben, ihre männlichen Kollegen aber nicht?
Das ist ein Rezept für — nachvollziehbare — Konflikte unter den Gruppen.
Das Beispiel macht deutlich, dass es bessere Kriterien als dreckige Gruppenmerkmale (wie hier das Geschlecht) gibt: Direkt auf Personen mit den betreffenden Eigenschaften zu schauen, d.h. hier Personen, die kleiner als 173 cm sind — egal welches Geschlecht. Übertragen auf den Berufskontext: Personen, die nicht souverän genug für ihre Fertigkeiten auftreten — egal welches Geschlecht. Egal welche Hautfarbe. Egal welcher Hintergrund.
Und klar, wenn man nur auf die Gruppenzugehörigkeit (wie das Geschlecht) schaut, ist das alles, was man sieht. Man liegt ja oft genug richtig. Aber man ist ungenau — und es geht besser. Wie heißt es so schön: Wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles aus wie ein Nagel.
Gruppen werden zu Parteien in einem Nullsummenspiel
Noch ein Punkt zu den Konflikten: Indem Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit gesehen werden, werden Konflikte geschürt und die Arbeitswelt wird zu einem Nullsummenspiel zwischen den gebildeten Gruppen.
Man kann z. B. die häufig verwendete Formulierung «Frauen in Führung bringen» übertragen sehen, aber die Nähe zu einem Wettkampf (z. B. einem Wettrennen) kommt nicht von ungefähr. Und ja, Konflikte zwischen Gruppen zu fördern kann stimulierend sein, es kann aber auch zu einem Verlust der Zusammenarbeit durch Konflikte innerhalb der Organisation kommen. Von einer «teile und herrsche» Perspektive clever gedacht, d.h. v.a. Vorteilhaft für die Arbeitgeber, welche die Kohäsion unter den Arbeitnehmern aufbrechen wollen.
Kooperatives arbeiten — alle ziehen an einem Strang — sieht anders aus.
Ein besseres Vorgehen: Individuelle statt gruppenspezifische Förderungen
Die bei gruppenspezifischer Förderung häufig genannten Tips (z. B. konstruktives Feedback zu geben) sind generell sinnvoll — egal welche Gruppenzugehörigkeit die Person hat. Es sollte aber nicht mit der Gruppenzugehörigkeit beginnen — diese ist schlichtweg egal. Man sollte Personen fördern, die Potenzial haben — u.a. Interesse verbunden mit der Anlage (oder ersten Schritten) zu kompetenten Verhaltensweisen. Und es kann bei dieser Betrachtungsweise durchaus vorkommen, dass je nach Bereich z. B. mehr Frauen als Männer gefördert werden (vergleichbar mit dem Regal-Beispiel). Aber nicht, weil diese Personen Frauen sind (Männer mit den entsprechenden Eigenschaften würden ja ebenfalls gefördert werden). Sondern weil sie Individuen sind, denen zum kompetenten Fertigkeitsset etwas fehlt. Dieses Vorgehen würde Potenziale (und letztendlich Stärke) fördern, ohne bestimmten Gruppen per se Defizite zu unterstellen.
Und der Markt ist da — es wird immer Personen geben, die Unterstützung benötigen. Aber das sollte auf Basis von individuellen Eigenschaften wie Potenzial, Interessen und Fertigkeiten geschehen — und nicht auf Basis von unveränderlichen Gruppenmerkmalen. Das ist Kollektivismus, das ist Sippenhaft, das ist rückwärtsgewandtes Kategoriendenken.
Offen gesagt, wir waren mal weiter — und wir sind besser als das.