Michael Westerhoff hat mich in einem Podcast zur Digitalisierung der Hochschule und dem Lernen der Zukunft befragt. Wir sprechen über den corona-bedingte Umstieg von Präsenzunterricht zu E-Learning, über Mehrwerte der Online-Lehre, Change-Prozesse, Technologie und Datenschutz. Ich fasse in diesem Beitrag drei Argumente zur Digitalisierung der Hochschule zusammen, auf die ich im Podcast eingehe und die meine Erfahrungen aus dem digitalen Sommersemester der letzten Wochen zusammenfassen.
(1) Nachhaltige Digitalisierung der Lehre sieht anders aus.
Äußere Faktoren beschleunigen Change-Prozesse. Das gilt auch für die Corona-Pandemie. Die Frage nach dem Warum, nach Kosten und Risiken von digitaler Lehre wurden in den letzten Wochen leiser gestellt als sonst. Weil klar war: Digital ist unsere einzige Chance.
Die letzten Wochen haben gezeigt: Wir fangen nicht bei null an. Es gibt erprobte und tragfähige Konzepte. Die Technologien sind da und funktionieren. Ich hatte in einem anderen Beitrag schon beschrieben, wie wir an der ISM vorgegangen sind. Es gibt viele andere Beispiele, die die Expertise sichtbar machen, auf die wir an deutschen Hochschulen zugreifen können: Vom Quickstarter Onlinelehre auf e-teaching.org bis hin zur Sonderseite Corona des Hochschulforum Digitalisierung.
Was wir im Sommersemester 2020 an Hochschulen in der ganzen Welt gesehen haben, war keine nachhaltige Digitalisierung der Lehre. Aber vielleicht hilft es, die vergangenen Wochen als großangelegtes Feldexperiment zu verstehen, aus dem wir lernen können, was funktioniert und was nicht.
(2) Präsenz ist keine Garantie für gute Lehre.
Mittelweile über 5.000 Kollegen, haben einen offenen Brief zur „Zur Verteidigung der Präsenzlehre“ unterschrieben. Darin wird die „Präsenzlehre als Grundlage eines universitären Lebens in all seinen Aspekten“ verteidigt.
Aus meiner Perspektive hängt gute Lehre nicht vom Medium ab. Wenn ich 500 Leute in einen Hörsaal sperre, und eine Person vorne steht und vorliest – dann ist das zwar ein Ort der Begegnung. Aber ein kritischer, kooperativer und vertrauensvoller Austausch findet nicht statt.
Die letzten Wochen haben gezeigt: Digitale Medien sind zunächst nur ein Werkzeug, das unterschiedlich genutzt werden kann.
Ich kann ein virtuelles Klassenzimmer und die verfügbaren kollaborativen Werkzeuge für interaktive Lehre nutzen, Studierende und Personen aus der Praxis ins Gespräch bringen, gemeinsam diskutieren und Neues entwickeln, Kreativität und Innovation fördern.
Es kommt digital wie anlog auf die Lehrperson an, ihre impliziten Theorien vom Lernen Erwachsener und letztlich auch vom Menschenbild.
(3) Lebenslanges Lernen geht nur digital.
Was fehlt, wenn alle zuhause lernen und arbeiten? Das digitale Sommersemester 2020 hat einen großen Nachteil digitaler Kommunikation erfahrbar gemacht: Informelle Kommunikation fällt weg. Die Fragen, die vor und nach einer Lehrveranstaltung besprochen werden, der Austausch auf dem Gang, die Idee der „Open-Door-Policy“ – das funktioniert digital nicht so gut. Das betrifft nicht nur die Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Studierenden, Studierende fehlt der unkomplizierte Austausch, der gemeinsame Gang in die Mensa. Das ist ein großer Nachteil.
Gleichzeitig liegt in digitalen Angeboten die Chance für echtes lebenslanges Lernen. Weil ich nicht mehr an Raum und Ort gebunden bin, kann ich Lernen und Leben einfacher verbinden. Das kann die Zugänglichkeit von Hochschulbildung steigern. Wer Kinder versorgt, Angehörige pflegt, mit Behinderungen lebt oder berufsbegleitend studiert wird davon profitieren.
Dann geht es nicht mehr um die Frage nach Vorteilen oder Risiken Nachteile digitaler Lehre. Dann geht es um die Frage, welche Kompetenzen Studierende brauchen, um in einer digitalen Gesellschaft zu lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich weiterzuentwickeln. Und es geht um die Frage, was eine Hochschule tun muss, um diese Kompetenzen zu fördern, welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind, und welche Technologien.