Werden wir in Zukunft nicht mehr „nur“ virtuell trainieren, sonder auch virtuell leben? Auf der ISVRI Konferenz in Singapur an der ich gerade teilnehme, bekommt man zunehmend den Eindruck, dass Realität in Zukunft rar werden wird. Ganz unterschiedliche Forschungsansätze verfolgen alle die Idee, unsere Realität mit virtuellen Objekten zu füllen oder ganz in virtuelle Welten einzutauchen. Sei es durch Brillen, die automatisch beim Stadtbummel Werbung durch Kunstwerke ersetzen, oder durch CAVES (also Räume zur Projektion von 3D-Welten), in denen man ganze Städte durchwandern kann.
Ein sehr interessanter Ansatz ist die Nutzung von Gerüchen in virtuellen Welten. Daran arbeitet eine Forschergruppe der Meijo University in Japan. Können wir also in Zukunft Gerüche zum Beispiel auch im virtuellen Training einsetzen, um bspw. gefährliche Situationen nachzustellen und zu trainieren? Ich denke da an Unfälle, bei denen Geruch eine wichtige und warnende Rolle spielt, wie zum Beispiel bei dem Austritt von Gas oder bei anderen chemischen Substanzen. Aber Geruch könnte auch noch eine viel wichtigere Rolle spielen beim Wissenserwerb. Denn genauso wie uns Musik an bestimmte Erlebnisse erinnert oder bestimmte Gerichte uns in unsere Heimat zurück versetzen, können auch Gerüche stark mit Erinnerungen und somit auch mit Wissen verbunden sein und so Lernen und Abruf erleichtern.
Lernen in virtuellen Realitäten wird also zu einem realitätsnahen Gesamterlebnis, die Lernenden machen eigene Erfahrungen, erwerben aktives, anwendbares Wissen. Auch wenn Lernen oder Training in der Realität zu gefährlich oder zu aufwändig wäre, ermöglichen virtuelle Realitäten ganzheitliches Lernen – ein wichtiger Baustein für organisationales Lernen und Wissensmanagement.
Eine weitere Vision, die eine Forschergruppe des MIRALab der University of Geneva in der Schweiz zusammen mit Forschern des Institute for Media Innovation der Nanyang Technological University in Singapore verfolgt, ist die virtuelle, realistische Anprobe von Kleidung. Dabei geht es vor allem darum, die Kleidung möglichst realistisch darzustellen, mit all ihren Eigenschaft, also wie sehr liegt der Stoff am Körper an, wo zeichnet er sich ab, wie weich, fest, fließend usw. fühlt er sich an. Dabei geht es nicht nur darum die Kleidung einem virtuellen Avatar anzuprobieren, sondern auch gleichzeitig die Kleidung anfassen zu können. Dazu werden Geräte entwickelt, die über haptisches Feedback an den Händen das gleiche Gefühl erzeugen, wie es der entsprechende Stoff beim Angreifen tun würde. Können wir also in Zukunft unsere Kleidung virtuell anfassen und anprobieren? Diese Idee hört sich abgehoben und evtl. auch überflüssig an, verfolgt aber ein wichtiges Ziel: Umweltschutz. Denn die Kleidung soll nicht nur virtuell anprobiert werden, sondern auch dann erst angefertigt werden, wenn man sich als Kunde verbindlich entschieden hat, das Kleidungsstück zu kaufen. In enger Zusammenarbeit mit mehreren großen Kleidungsfirmen entwickeln die Forscher Möglichkeiten, den großen Rücklauf und auch Abfall bei der Kleiderproduktion einzudämmen. Umweltschutz der etwas anderen Art also.
Und wenn wir dann in Zukunft im virtuellen Kaufhaus herumspazieren, können wir also ganz wie gewohnt (und mittlerweile auch schon längere Zeit sehr verbreitet in vielen Kaufhäusern) auch wieder mit kauffreudigkeits-anregenden Gerüchen eingeduftet werden. Und außerdem ist unser persönliches Avatar-Ich dann auch gleich noch gut angezogen und könnte vielleicht sogar die virtuelle Variante unseres Lieblingsparfüms benutzen. So kann man dann auch beim virtuellen Training eine gute Figur machen.
In diesem Sinne, viele Grüße aus Singapur.