wissens.dialoge

Wir sind unterschiedlich – und das ist auch gut so!

Seit ich in Göttingen lebe und arbeite, bin ich häufig begeistert vom inspirierenden internationalen Umfeld hier. An meinen Veranstaltungen nehmen NachwuchswissenschafterlerInnen aus vielen verschiedenen Ländern teil. Am deutlichsten wurde dies bei einem Workshop mit 12 TeilnehmerInnen aus neun verschiedenen Ländern. So entstehen interessante Diskussionen über die Fehlerkultur in Deutschland im Vergleich zu Kalifornien, USA. Oder es zeigt sich, wie unterschiedliche Stärken jeder und jede Einzelne entwickelt hatte, geprägt durch kulturelle Einflüsse ebenso wie durch individuelle Lebensläufe, kritische Ereignisse und die Familie, in die sie geboren wurden.

Ich finde es so spannend, immer wieder höchst unterschiedliche Persönlichkeiten kennenzulernen und – durch meine Arbeit – ihre Entwicklung für eine Weile beobachten zu können. Ich suche sehr bewusst TrainerInnen aus, die das Individuum in den Vordergrund stellen und es in seiner individuellen Entwicklung unterstützen. Wenn ich sehe, wie Menschen aufblühen, wenn sie mit ihren individuellen Stärken in den Vordergrund gestellt werden, dann wünsche ich mir,

•       dass wir alle unsere Augen für Diversität öffnen,
•       dass wir versuchen, Menschen nicht in Schablonen zu pressen und Stereotype zu hinterfragen,
•       dass wir lernen, diese Unterschiedlichkeit (noch mehr) produktiv zu nutzen.

Natürlich sind wir alle nicht ganz frei davon, Stereotype zu nutzen. Sie helfen uns – oft auch erfolgreich – die Welt zu ordnen und schneller zu reagieren. Wir haben nicht immer die Zeit, eine Person erst besser kennenzulernen und dann mit ihr zu interagieren. Das ist auch nicht immer notwendig.

Mitunter lohnt sich jedoch ein genaueres Hinschauen. Insbesondere dann, wenn wir voneinander mittel- oder langfristig abhängig sind. Durch das Wissen um die wechselseitigen Stärken (und Schwächen) lässt sich die Zusammenarbeit optimieren. Auch die Entwicklung von Menschen können wir positiv beeinflussen, wenn wir sie kennen. Zudem ist Unterschiedlichkeit – insbesondere in kreativen Prozessen – sehr produktiv. Nur so entsteht Reibung, die Neues hervorbringt. Deshalb lohnt sich auch ein genaueres Hinschauen bei der Einstellung von Personal: Welche Stärke fehlt uns im Team und würde das Team produktiv bereichern?

Langfristig kann aus meiner Sicht mehr Respekt vor Unterschiedlichkeit dazu beitragen, dass alle sozialen Gruppen ähnliche Chancen in unserer Gesellschaft erhalten – ähnliche Chancen sich zu entwickeln, Teil von Netzwerken zu werden und an vorhandenen Ressourcen zu partizipieren.

Dass wir nur langsame Fortschritte im Bereich Chancengleichheit machen, liegt meiner Meinung auch daran, dass wir allen und jedem die gleichen Bewertungsmaßstäbe überstülpen, ohne echten Respekt vor unserer Unterschiedlichkeit zu haben. Die Persönlichkeitspsychologie hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass man mit Typologien nicht weit kommt – auch wenn sie in der Populärliteratur nach wie vor häufig auftauchen. Wie gesagt, Kategorien (seien es Stereotype oder Typen) bieten eine einfache Orientierung an. Aber auch in Kategorien gibt es Varianz. Dadurch lassen sich individuelle Unterschiede – lässt sich Diversität – vermutlich nie vollständig systematisch abbilden. Die Psychologie kann immer nur einen bestimmten Anteil an Varianz erklären und benennen.

Aus meiner Sicht lohnt es sich an vielen Stellen, seine Augen für die Einzigartigkeit und die individuellen Stärken eines Menschen zu öffnen. Ich persönlich habe dadurch auch viel über mich selbst gelernt.