Machtpositionen in Organisationen (z.B. eine Teamleitungs- oder Führungsrolle) bieten einerseits viele Freiräume. Diese könnten mächtige Personen dazu verleiten, vor allem nach ihren eigenen Interessen zu schauen und hin und wieder moralische „Grundregeln“ zu missachten (wie z.B. Ressourcen fair zu verteilen). Solche Positionen beinhalten andererseits jedoch auch ein hohes Ausmaß an Verantwortung – was womöglich gerade mächtige Personen besonders moralisch und fair handeln lässt. Ein aktuell erschienener Artikel fasst die Forschung zu Macht und Moral zusammen.
Die psychologische Forschung betrachtet Macht als „asymmetrische Kontrolle über Ergebnisse“ zwischen mindestens zwei Personen. Das heißt eine mächtige Person hat Einfluss auf die Situation einer weniger mächtigen, indem sie die weniger mächtige Person z.B. bewertet, über Entlohnungen oder Beförderungen entscheiden kann oder wichtige Informationen zurückhalten oder teilen kann. Demnach haben Personen in Leitungs- und Führungspositionen in der Regel Macht inne. Unabhängig von der eigenen Position können aber auch bestimmte Situationen Macht mit sich bringen, z.B. wenn man in einer Gruppe von Freunden eine Entscheidung fällt, die die anderen mit betrifft, oder die Aufgabe hat, die Arbeit eines/r KollegIn zu bewerten.
Mächtige Personen sind so relativ unabhängig von anderen; weniger Mächtige hängen hingegen stärker von den Entscheidungen anderer ab. Eine klassische Annahme (in der früheren Forschung sowie vielleicht auch in der Arbeitswelt) ist, dass Macht vor allem zu eigennützigerem Verhalten und weniger Fairness führen sollte – kurz gesagt, zu weniger moralischem Handeln. Die neuere Forschung zeigt aber: Macht kann auch moralisches Handeln fördern. Wann und warum ist das so? In ihrem aktuellen Artikel fassen Joris Lammers und seine Kollegen (2015) die bisherigen Annahmen und Ergebnisse der Forschung dazu zusammen:
1. Annahme: Macht wirkt „enthemmend“
Da Mächtige unabhängiger von anderen sind, sind sie weniger „gehemmt“ als wenig Mächtige. Macht bewirkt also eine sogenannte „Disinhibition“ (Enthemmung). Ergebnisse zeigen: Das kann sich z.B. in schnellerem Handeln und einer höheren Bereitschaft, Risiken einzugehen und auch einmal Regeln zu überschreiten, äußern (z.B. beim Parken oder in Gesprächen mit anderen). Kurz gesagt, Macht kann bewirken, dass man eigenen Impulsen eher nachgibt – womöglich im moralischen wie unmoralischen Sinne.
2. Annahme: Macht fördert einen Fokus auf sich selbst
Durch ihre Unabhängigkeit von anderen achten Mächtige stärker auf sich selbst. Weniger Mächtige fokussieren stattdessen womöglich vermehrt darauf, wie andere sie wahrnehmen. Die Forschung zeigt: Dieser Fokus auf sich selbst kann z.B. mehr eigennützige Entscheidungen oder weniger Mitgefühl anderen gegenüber beinhalten. Andererseits lassen sich Mächtige dadurch in der Regel weniger von anderen beeinflussen und äußern eher ihre eigene Meinung – womöglich auch zum Wohle anderer, wenn ihnen dies wichtig ist.
3. Annahme: Je nach Situation & Person kann Macht zu mehr oder zu weniger moralischem Handeln führen
Personen in mächtigen Positionen passen sich also vermutlich stärker an eigene Handlungsimpulse – oder an diejenigen Impulse, die die Situation ihnen nahelegt – an. Das bedeutet: Bietet eine Situation z.B. das Potential, sich selbst Vorteile zu sichern, könnte Macht zu mehr unmoralischem Verhalten verleiten. Zum Beispiel zeigt die Forschung, dass mächtige Personen sich mehr Ressourcen (z.B. Geld) aus einem gemeinsamen Pool nehmen als weniger Mächtige, wenn sie Gelegenheit dazu haben. Allerdings zeigen einige Ergebnisse auch: Wenn einer Person moralisches Handeln prinzipiell wichtig ist, oder wenn die aktuelle Situation den Wert von Moral betont (also gewissermaßen moralische Impulse aktiv sind), dann kann Macht moralisches Handeln fördern. Kurz gesagt: Macht kann förderliche Einflüsse der handelnden Person (z.B. eigene moralische Grundsätze) bzw. der Situation (z.B. Aufgaben, die ein faires Teilen mit anderen verlangen) noch verstärken.
4. Annahme: Instabile Machtpositionen vermindern diese Einflüsse
All diese Annahmen basieren auf einem Gefühl von Unabhängigkeit von anderen, das eine machtvolle Position mit sich bringt. Wenn eine Machtposition hingegen nicht stabil ist (z.B. eine Führungsposition neu vergeben werden kann oder nur auf Zeit besteht), als nicht legitimiert erlebt wird (z.B. man die eigene Kompetenz in Frage stellt), oder mächtige Personen sich vor eigenen Vorgesetzten rechtfertigen müssen, vermindert sich dieses Gefühl von Unabhängigkeit. Hier verschwindet der Einfluss von Macht auf moralisches Verhalten oder kann sich u.U. sogar umdrehen.
Fazit: Wie lenkt Macht also unser moralisches Handeln?
Macht und Moral hängen zusammen – allerdings ist dieser Zusammenhang vielleicht nicht so einfach, wie anfangs angenommen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen: Ob und inwieweit sich mächtige & weniger mächtige Personen moralisch und fair verhalten, hängt auch von der Person selbst und von der aktuellen Arbeitssituation oder –Aufgabe ab. Um die Fairness und Moral manchmal nicht „aus den Augen zu verlieren“, wenn wir selbst in einer Führungsrolle sind, könnte es also nützlich sein, sich selbst moralische Ziele zu setzen und sich diese regelmäßig bewusst zu machen. Einige Unternehmen betonen z.B. die Wichtigkeit von Fairness in den eigenen Unternehmenspraktiken oder vergeben gemeinsam zu bewältigende Aufgaben an ihre Mitarbeitenden, was ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Fairness sein könnte.
Lammers, J., Dubois, D., Rucker, D. D., & Galinsky, A. D. (in press). Power and morality. Current Opinion in Psychology, Issue on Morality and Ethics. doi: 10.1016/j.copsyc.2015.03.018