wissens.dialoge

Wellness für Führungskräfte – Luxus oder notwendige Voraussetzung für gute Führung? Thesen einer Studie zum Führungsverständnis

Heute werde ich Thesen aus der Studie „Jeder für sich und keiner fürs Ganze? Warum wir ein neues Führungsverständnis in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft brauchen“ vorstellen und diskutieren. Diese Studie setzt sich mit den Herausforderungen an Führung heute auseinander und leitet daraus u.a. Maßnahmen für eine reflektierte individuelle Führungspraxis und für vernetzendes Führen von Organisationen ab (Leipprand, Allmendinger, Baumanns & Ritter, 2012). Basis der Studie waren Expertengespräche mit Spitzenführungskräften in Deutschland, darunter Minister, Staatssekretäre, Vorstandsmitglieder führender deutscher Unternehmen, Präsidenten von Forschungseinrichtungen, aber auch junge Führungskräfte aus Zivilgesellschaft und Netzcommunity.

Insgesamt finden sich ähnliche Aussagen wie in der PAC & Hays-Studie wieder – wie bspw. eine geringer werdende Akzeptanz eines hierarchisch-autoritären Führungsstiles aufgrund größerer Mitsprachebedürfnisse – aber auch einige neue Perspektiven tauchen auf. Eine große Herausforderung sehen die Autoren in zu wenig Zeit und Raum für Reflexion für Führungskräfte. Erfolgsentscheidend ist aus ihrer Sicht „die eigene Führungspraxis permanent kritisch zu reflektieren. Nur so können Führungskräfte Aktionismus und häufige Richtungswechsel vermeiden und zu durchdachten Entschlüssen gelangen, die eine konsequente Linie verfolgen.“ Sie empfehlen u.a. „monatliche Treffen mit Sparringspartnern“ und „hochwertiges Coaching“.

Sie fordern weiterhin zur Entwicklung einer „intelligenten Entscheidungspraxis, die auch auf Intuition beruht“ auf. „Grundlegend hierfür sind die Bereitschaft und die Fähigkeit, in Sitzungen aufmerksam zuzuhören, um die eigenen Annahmen zu hinterfragen und sich anschließend eine Meinung zu bilden.“ Die psychologische Forschung (siehe z.B. wissens.blitz Nr. 16) zeigt, dass Menschen eher dazu neigen, nach Informationen zu suchen, die ihre eigene Ansicht bestätigen. Noch ein Grund mehr für Führungskräfte wachsam und kritisch zu bleiben! Eine Maßnahme sehen die Autoren in der Förderung von Diversität und der bewussten Suche „nach Mitarbeitern mit unterschiedlichen Hintergründen, fachlichen Ausbildungen und Sektorerfahrungen.“

Interessant finde ich die starke Argumentation der Autoren für Regeneration: „Führungskräfte müssen vorleben, dass Erfolg ohne exzessive Arbeitszeiten möglich ist und dass Familie und Beruf vereinbar sind.“ Ganz gegen den Zeitgeist im Arbeitsalltag.

Auf organisationaler Ebene sollte aus der Sicht der Autoren eine „Vertrauens-, Wertschätzungs- und Teilhabekultur [gefördert werden], um die Leistungsfähigkeit der Organisation und deren Attraktivität zu steigern.“ Diese setzt klar definierte gemeinsame Ziele voraus – und ermöglicht so selbstorganisiertes Handeln der Mitarbeitenden. Wieder findet sich also auch das „Orientierung geben“, gepaart mit „und so Zuversicht und Kohärenz schaffen in Zeiten hoher Unsicherheit und schneller Taktung.“ So sagt ein befragter Oberbürgermeister einer Universitätsstadt: „Die Leute wollen gar nicht mehr ‚geführt’ werden – sie wollen Orientierung: klare Werthaltungen und Zielvorstellungen. Aber bitteschön mit ausführlicher Diskussion und Begründung. Als Führungskraft muss man also überzeugen, einladen, gute Ideen vermitteln.“

Letztlich – und auch nicht unwichtig für das Thema Wertschätzung – fordern die Autoren „eine lebendige Fehler- und Lernkultur“. Fehler passieren; wichtig ist es, aus ihnen zu lernen! Konstruktives Feedback spielt dabei eine zentrale Rolle.

Auf das Thema wertschätzende Führung angewendet, heißt das für mich: Es geht weniger um ein Das-hast-Du-gut-gemacht – ein Lob ist nichts wert, wenn es nicht aus vollster Überzeugung ausgesprochen wird. Im Buch „Erfolgsfaktor Menschlichkeit: Wertschätzend führen – wirksam kommunizieren“ von Lindemann und Heim heißt es, dass sich ein gutes Lob immer auf den Wert eines bestimmten Verhaltens und Ergebnisses für den Lobenden bezieht. Hier sind wir wieder bei der Bedeutung des Einzelnen im Gesamtsystem Organisation. Die Einsicht in den Wert jeder einzelnen Mitarbeiterin, jedes einzelnen Wissensarbeiters legt aus meiner Sicht den Grundstein für Wertschätzung. Nur so kann der Wert glaubhaft vermittelt werden. Es gilt Räume zu schaffen, in denen jeder Einzelne seine Potentiale voll entfalten, in denen er seinen Beitrag zum Erfolg der Organisation leisten kann. Dazu ist es unabdingbar, dass jeder weiß, was den Erfolg der Organisation überhaupt ausmacht, auf welche gemeinsamen Ziele Aktivitäten ausgerichtet werden sollen. Genau um diesen Rahmen abzustecken, brauchen Führungskräfte Zeit zum Innehalten und Reflektieren. Anstatt sich von der Schnelligkeit des Alltags hetzen zu lassen, sollten sie regelmäßig Pausen einlegen, den Alltag hinter sich lassen – ja, vielleicht ein bisschen Wellness machen – und die Ziele ihrer Organisation und ihres Handelns reflektieren – und dabei den unverwechselbaren Beitrag eines jeden Wissensarbeiters nicht aus den Augen verlieren!

Bildnachweis: Karl-Ernst Wodzicki