Ursprünglich hatte ich geplant, das dritte Posting in der Serie „Verzerrte Studien“ (Teil 1 und Teil 2) über die Analyse von Studien zu schreiben. Allerdings hat sich ein eigentlich kleiner Punkt der Analysecheckliste — die Vorbedingungen für eine Diskussion — zu einem eigenständigen Posting entwickelt.
Offline habe ich positives Feedback zu der Serie bekommen, allerdings auch Aussagen wie „ich hoffe, du weißt, was du tust“. Entsprechend denke ich, es ist Zeit für einen kleinen Abstecher zum Thema „telling truth to power“ [grob übersetzt: „Mächtigen die Wahrheit sagen“].
Das ist ein häufiges Problem in Organisationen, über das andere Wissenswerker/innen schon geschrieben haben. Aber in diesem Dialog möchte ich kurz etwas persönlicher schreiben.
Wenn Vorgesetzte paraphrasiert werden mit:
„Ich schätze diejenigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die den Mut haben, mir die Wahrheit zu sagen — obwohl sie wissen, dass ich sie dafür feuern werde.“
dann mögen wir lachen. Aber zum Teil lachen wir auch deswegen, weil dieser Witz nicht so weit von der Realität entfernt ist. Wer kennt keine Situation, in der ein/e Vorgesetzte/r offensichtlich Fehler macht, aber keine Person es wagt, ihn/sie zu kritisieren.
Ein „schönes“ Beispiel, das ich einmal als Praktikant in einem … großen multinationalen Unternehmen miterlebt hatte, war eine Vorgesetzte, die sich in einer Runde von 8-10 Mitarbeitern bei „3 * 6“ verrechnet hat. Eigentlich kein Problem und nur eine Kleinigkeit. Aber, es ging um die Planung eines großen Events und ein falsches Ergebnis hat Konsequenzen für die weitere Planung. Und während diese Vorgesetzte mit dem falschen Ergebnis munter weiter gerechnet hat, sahen sich diverse gestandene Mitarbeiter/innen vereint in der Hoffnung an, dass jemand endlich über die Klippe springt und sie korrigiert.
Solche Reaktionen mögen zum Teil in der Person liegen, da einige Personen jegliche Art von Feedback als direkten Angriff auf ihre Person sehen und insbesondere öffentlich nicht „belehrt“ oder „in Frage gestellt“ werden wollen. Eigentlich sollte man so ziemlich alles sagen können, sofern der grundlegende Respekt gewahrt wird. Eigentlich. Zum Teil liegen die Reaktionen aber auch in der Situation. Wir haben hier eine typische Form von Verantwortungsdiffusion. Jede Person schaut auf die anderen und wartet darauf, dass eine andere Person etwas unternimmt, also passiert nichts (falls so etwas einmal bei einem Unfall passiert, dieses Posting könnte interessant sein).
Das man ohne Feedback und gute Argumentationen zu schlechteren Entscheidungen kommt, sollte nicht weiter überraschen.
Das interessante ist, dass man ein ähnliches Phänomen auch bei Diskussionen über fragwürdige Studien findet. Es ist schwer, öffentlich für etwas Stellung zu beziehen, an das man zwar glaubt (und sei es auch nur, dass andere Positionen Gehör finden sollten), wenn man gleichzeitig annimmt, dass eine solche Stellungnahme negative Konsequenzen mit sich bringt. Insbesondere wenn es nicht „nur“ eine Person mit viel Macht (und mangelndem Verstand, diese zu nutzen) ist, sondern ein diffuser Mob von öffentlicher Meinung.
Will man wirklich diesen Ärger? Dieses Risiko? Reicht es nicht, wenn andere das machen, die vielleicht mehr Spaß daran oder weniger zu verlieren haben?
Das Lustige an dieser Einstellung ist, dass man leicht in eine „pluralistische Ignoranz“ kommen kann. Wenn die Mehrheit so denkt, dann kann es durchaus sein, dass kleine aber recht extreme Gruppe die öffentliche Meinung dominieren. Das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ ist hier ganz illustrativ.
In Diskussionen über Studien mit kontroversen Ergebnissen ist das ziemlich relevant. Oft werden solche Studien unkritisch verbreitet weil niemand widerspricht. Weil Personen hoffen, dass andere widersprechen werden. Schließlich sind die Fehler offensichtlich, oder?
Wenn es nur so einfach wäre.
Bevor wir also zu einer Checkliste kommen, mit der wir Studien auf Herz und Nieren prüfen können, kommen wir erst einmal zu einer notwendigen Vorbedingung. Wie müsste eine gute Diskussion aussehen, in der eine solche Prüfung stattfinden kann? Was muss gegeben sein, damit man offen über kontroverse Themen diskutieren kann um der Realität etwas näher zu kommen und Entscheidungen zu treffen, die nicht nur fair sondern auch in der Realität verankert sind.
Auf den verlinkten 3 Seiten sind eine Reihe von Anregungen.
Viel Spaß beim lesen.