Letzte Woche hat in Tübingen ein Workshop mit dem Titel Mass Collaboration und Education stattgefunden. Ein ganze Reihe von spannenden Vorträgen beleuchtete das Thema aus unterschiedlichen Richtung.
Was ist Mass Collaboration?
Die Tools des Web 2.0 ermöglichen neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit. Dabei ist die Menge der Menschen, die sich am Austausch von Wissen, dem Erstellen von Inhalten und der Kommunikation miteinander beteiligen, beinahe unbegrenzt. Auch wenn das Thema in Zeiten von Wikipedia und Massive Open Online Courses breit diskutiert wird, gibt im Bereich Learning Science (Lehr-/Lernforschung) nur wenige WissenschaftlerInnen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Eine spannende Frage ist zum Beispiel, ob die Gruppenprozesse, die in Kleingruppen gut untersucht sind, in ähnlicher Weise auch bei Mass Collaboration auftauchen, also in Situationen in denen eine Gruppe von hunderten oder tausenden Menschen zusammenarbeiten. Außerdem stellt sich die Frage, mit welchen Methoden Mass Collaboration wissenschaftlich untersucht werden kann. Bei dem Workshop in Tübingen haben sich deshalb eine Reihe von WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Disziplinen getroffen, um über dieses Thema zu diskutieren.
Cooperation vs. Collaboration
Ich möchte hier eine Idee aufgreifen, die Stephen Downes in seinem Vortrag in die Diskussion eingebracht hat: Die Unterscheidung zwischen Collaboration und Cooperation. In der deutschen Sprache gibt es für den Begriff „Collaboration“ keine gute Entsprechung, ich verwende deshalb weiter die englischen Begriffe.
Stephen Downes beschreibt mit dem Begriff Collaboration die gemeinsame Arbeit an einem geteilten Ziel. Wie ein Orchester, das aus einer gemeinsamen Partitur spielt oder ein Fussball-Team, das gegen einen gemeinsamen Gegner spiel, ergibt sich hier eine mehr oder wenig klare und zentralisierte Struktur der Zusammenarbeit. Bei der Cooperation stehen die eigene Ziele eines Individuums im Mittelpunkt, die Zusammenarbeit mit der Gruppe ist eher Mittel zum Zweck. Die Gruppenmitglieder unterstützten sich dabei gegenseitig beim Erreichen der jeweils eigenen Ziele.
Stephen Downes konstruiert daraus im nächsten Schritt auf der einen Seite Collectives, als Gruppen von Menschen, die gemeinsam an einem Ziel arbeiten, mit einer gemeinsamen Identität und einer zentralierten Organisation. Hier nennt er z.B. Wikipedia als Beispiel. Auf der anderen Seite stehen Cooperatives, als Netzwerke von Individuuen mit unterschiedlichen Ziele und Werten. Cooperatives sind durch die Beziehungen der Mitgelieder zueinander definiert, das Netzwerk verändert sich wie ein Ökosystem ständig und wird immer diverser.
Es lassen sich jeweils einige Begriffspaare bilden, die Collectives und Connectives beschreiben:
Gruppe vs. Netzwerk
Ähnlichkeit vs. Diversität
Zentralisiert vs. Dezentralisiert
Koordination vs. Autonomie
Geschlossenheit vs. Offenheit
Borders vs. Boundaries
Die Zuordnung der Begriffe Collaboration und Cooperation könnte man als willkürlich bezeichnen. Ich selbst verwende z.B. den Begriff Collaboration mit einem starken Fokus auf die Selbststeuerung der Zusammenarbeit, während ich Kooperation eher als strukturiert, arbeitsteilig und sehr auf ein gemeinsames Ziel orientierte Zusammenarbeit beschreibe. Außerdem gibt es in der Sozialpsychologie (Prentice, Miller & Lightdale, 1994) die Unterscheidung zwischen common bond Guppen (Beziehung zwischen den Gruppenmitgliedern als zentrales Element) und common identity Gruppen (Gemeinsame Identität oder gemeinsames Ziel als zentrales Element), die auf eine ähnliche Unterscheidung referenziert. Diese Unterscheidung steht im Zusammenhang mit der Unterscheidung Collectives vs. Cooperatives, hier gibt es auch schon einiges an Forschung zu.
Was bedeutet das für Organisationales Lernen?
Aus meiner Sicht ist das Thema Mass Collaboration auch für Unternehmen und Organisationen interessant. Offene Fragen sind für mich z.B.
- Welche Rolle spielt eine unternehmensinterne Wissensdatenbank in einem Intranet, wenn gleichzeitig das Web voll von hochwertigen Informationen ist.
- Wie gehen Mitarbeitende mit der ständig wachsenden Flut an Informationen um?
- Wie können Unternehmen Abteilungs- / Standordübergreifende Zusammenarbeit großer Gruppen fördern?
- Wie können Kunden und andere Stakeholder sinnvoll in Entscheidungsprozesse integriert werden.
Dabei hat die Unterscheidung zwischen Collaboration und Cooperation einen großen Mehrwert für die Praxis. Ich nenne drei Beispiele:
- Cooperatives brauchen andere technologische Unterstützung als Connectives. So wird ein Wiki sich z.B. eher für Collaboration (im Sinne Downes) eignen, ein Soziales Netzwerk eher für Kooperation.
- Cooperatives brauchen andere Führungsstrukturen als Connectives. Möglicherweise verhindert eine hierarchische Führungstruktur Kooperation und fördert Kollaboration.
- Cooperation braucht eher ein heterogenes Team, Collaboration eher ein homogenes Team.
Fazit: Es gibt eine wachsenende Community von WissenschaftlerInnen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Mass Collaboration beschäftigen und dabei insbesondere individuelle Lernprozesse und Lernprozesse einer Community in den Blick nehmen. Daraus ergeben sich interessante Impulse für die Praxis. Die Unterscheidung von Cooperation und Collaboration hat dabei einen großen Mehrwert.