Eine Machtposition (wie eine Führungsrolle) innezuhaben, kann dazu verleiten, nur die eigenen Interessen im Blick zu behalten und die Verantwortung für andere zu übersehen. Das kann der Zusammenarbeit und dem Wissensaustausch schaden. Wird die Aufmerksamkeit allerdings auf andere Personen gerichtet, werden sich Mächtige ihrer Verantwortung bewusst.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Führungskraft in einem großen Unternehmen. Sie und Ihr Team haben gerade einen wichtigen Auftrag abgewickelt und dafür eine Leistungszulage erhalten. Als Führungskraft steht es Ihnen nun zu, über diese zu verfügen. Wie werden Sie mit dem zusätzlichen Geld umgehen?
Manchmal ist man in dieser Position womöglich versucht, den Großteil dieses Geldes dem eigenen Konto gutzuschreiben, beispielsweise weil man selbst auch besonders viel zum Erfolg beigetragen hat und/oder die eigenen Ziele voranbringen möchte. Es gibt aber auch Momente, in denen man sich als Führungskraft für eine beitragsabhängige Aufteilung entscheiden würde – also versucht, das Geld fair unter allen aufzuteilen. Doch wann entscheiden Mächtige eher zu ihren eigenen Gunsten und wann eher im Sinne aller Beteiligten?
Was bedeutet es, „Macht“ innezuhaben?
Wenn Sie Macht innehaben, bedeutet dies im Sinne psychologischer Forschung: Sie sind in einer Situation oder Rolle relativ unabhängig von anderen, während andere wiederum von Ihnen (und Ihren Entscheidungen) abhängig sind. Beispielsweise können Führungskräfte andere bewerten bzw. entscheiden, wie Boni verteilt werden oder wer eine Beförderung erhält. Macht kann, wie in diesem Beispiel, an eine bestimmte Rolle geknüpft sein, sie kann aber auch im Alltag außerhalb der Arbeit immer wieder erlebt werden.
Macht bietet zwar zum einen mehr Freiräume und Gelegenheiten, eigene Ziele zu verfolgen, zum anderen bedeutet sie auch, Verantwortung zu haben.
Zwei Seiten der Macht: Gelegenheit & Verantwortung
Bisherige Forschung deutet daraufhin, dass Mächtige häufig versucht sind, besonders ihre eigenen Ziele zu verfolgen, ohne dabei andere zu berücksichtigen. Während dies kurzfristig erfolgreich sein kann, zeigt sich aber auch: Die Zusammenarbeit in Hierarchien funktioniert langfristig besonders dann, wenn Mächtige sich verantwortungsvoll zeigen und ihre Mitarbeitenden mit einbeziehen.
Es kann daher für Mächtige unabdingbar sein, sich auch ihrer Verantwortung bewusst zu werden. Was trägt nun aber dazu bei, dass Mächtige ihre Verantwortung erkennen und dieser nachkommen?
Wann führt Macht zu Verantwortung?
Wie Menschen Macht verstehen, hängt nicht nur von der Persönlichkeit oder der Situation ab, sondern kann auch davon beeinflusst sein, worauf eine mächtige Person zuvor ihre Aufmerksamkeit gerichtet hat. Also ob sie beispielsweise zuvor eher über sich oder über andere nachgedacht hat. Die Idee ist hier, dass man sich erst dann für andere verantwortlich fühlen kann, wenn man generell erkennt, welche Auswirkungen eigene Handlungen auf andere haben können. Der Fokus also auf anderen, statt auf einem selbst, liegt.
Exemplarische Ergebnisse
In einer Reihe von Studien untersuchten Scholl und Kollegen (2017) dies: Um den Fokus entweder auf sich oder auf andere zu lenken, schilderten die Teilnehmenden eine vergangene positive Erfahrung von sich selbst oder einer anderen Person. Hierbei beantworteten sie Fragen wie: „Welche Konsequenzen hatte dieses Ereignis für den anderen/für Sie?“.
Danach erhielten die Teilnehmenden beispielsweise eine Machtrolle (z. B. als Manager) und gaben an, wieviel Verantwortung sie gegenüber anderen erlebten. Tatsächlich zeigte sich über die Studien hinweg, dass Mächtige (aber nicht Personen in einer weniger mächtigen Rolle) sich dann verantwortlicher fühlten, wenn sie zuvor kurz über andere nachgedacht hatten (anstatt über sich selbst).
Ein paar praktische Tipps:
- Machen Sie sich Ihre Verantwortung anderen gegenüber bewusst.
- Stellen Sie sich Fragen wie: „Welche Konsequenzen hat dies für meine/n Mitarbeiter/in?“
- Machen Sie sich bei wichtigen Entscheidungen ganz konkret bewusst, wie sich Ihre Entscheidung auf Ihr Gegenüber auswirkt
Fazit: Der andere Fokus „Macht(’s)“
Macht scheint also dann zu mehr Verantwortung zu führen, wenn Mächtige z. B. vor einer Entscheidung ihre Aufmerksamkeit auf andere richten bzw. über andere nachdenken – also ihren Fokus auf andere lenken. Diese Ergebnisse zeichnen ein positiveres Bild von Macht, als häufig angenommen.
Was bedeutet dies nun für die Praxis? Für Organisationen kann es sich womöglich lohnen, dass mächtige Personen bei wichtigen Entscheidungen auch die Mitarbeitenden im Blick haben. Stehen beispielsweise Führungskräfte vor wichtigen Entscheidungen und überlegen sich zuvor, was ihre Entscheidung (auch) für ihre Angestellten bedeuten kann, ist es durchaus denkbar, dass sie so in diesem Moment eher die Verantwortung für ihre Angestellten übernehmen und seltener eigene Ziele verfolgen.
Literaturnachweis: Scholl, A., Sassenberg, K., Scheepers, D., Ellemers, N. and de Wit, F. (2017), A matter of focus: Power-holders feel more responsible after adopting a cognitive other-focus, rather than a self-focus. British Journal of Social Psychology, 56, 89–102. doi: 10.1111/bjso.12177
Zitieren als: Zapf, B. (2017). Wenn andere im Fokus stehen: Macht als Verantwortung. wissens.blitz(188). https://wissensdialoge.de/macht_verantwortung