Gut widersprechen und gut zustimmen

Im Alltag werden wir mit unzähligen Ideen und Sichtweisen konfrontiert. Einigen stimmen wir zu, anderen widersprechen wir. Stellenweise lassen wir uns auf Diskussionen über diese Ideen und Sichtweisen ein. Wir zeigen unsere Unterstützung oder versuchen Personen von unserer Position zu überzeugen. Die Qualität dieser Diskussionen kann auf unterschiedlich gutem Niveau stattfinden.

Aber was macht guten Widerspruch oder gute Zustimmung aus?

Wie man widerspricht

Ein sehr gutes Essay zum Thema „Wie man widerspricht“ hat Paul Graham verfasst (englisches Original, deutsche Übersetzung von Jens Meiert). Er unterscheidet verschiedene Ebenen des Widerspruchs, von Beschimpfungen über ad hominem, Kritik des Sprachstils, Widerspruch, Gegenargument, Widerlegung hin zur Widerlegung des zentralen Punktes. Diese verschiedenen Stufen kann man in Pyramidenform darstellen, denn zumindest im Internet scheint es so, als wären die unteren Stufen wesentlich häufiger vertreten als die oberen Stufen.

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„Hierarchie des Widerspruchs“ von Paul Graham (deutsche Übersetzung des Autors), Abbildung basierend auf der Graphik von Paul Graham’s Wikipedia Seite.

Graham argumentiert, dass man alles unterhalb von Gegenargumenten ignorieren kann, da Beschimpfungen, ad hominem, Kritik des Sprachstils, und Widerspruch (ohne Argumente/Belege) keine Aussagekraft haben. Sie belegen nichts. Wenn man eine Position kritisieren will, muss man zumindest Gegenargumente formulieren (und diese entsprechend belegen).

Wie man zustimmt

Graham’s „Hierarchie des Widerspruchs“ lässt sich auch auf Zustimmung übertragen. Ich habe dies einmal versucht und bin auf die folgende „Hierarchie der Zustimmung“ gekommen.

zustimmen
„Hierarchie der Zustimmung“, basierend auf der „Hierarchie des Widerspruchs“ von Paul Graham

Es mag merkwürdig klingen zwischen Formen der Zustimmung zu unterscheiden. Ist nicht jede Form der Zustimmung wünschenswert?

Die Forschung hat gezeigt, dass es unterschiedliche Wege gibt, Personen zu überzeugen. So weist zum Beispiel das „Elaboration Likelihood Model“ der Überzeugung auf die zentrale vs. die periphere Route hin. Bei der zentralen Route wird die Person durch eine Auseinandersetzung mit den Argumenten überzeugt, was zu änderungsresistenteren Einstellungen führt. Die periphere Route basiert auf eher oberflächlichen Aspekten der Nachricht, z.B. Expertenstatus (hier: „Lob der Person“) oder positiven Emotionen (hier: „unspezifisches Lob“). Sie ist „einfacher“, weil sie keinen Denkaufwand benötigt, allerdings wird die Stärke der Argumente dabei weitgehend ignoriert und die veränderten Einstellungen sind weniger änderungsresistent.

In der „Hierarchie der Zustimmung“ findet sich die periphere Route auf den unteren drei Ebenen, während die zentrale Route ab einer Zustimmung zu den Argumenten beginnt.

Bedeutung der „Hierarchie des Widerspruchs“ und der „Hierarchie der Zustimmung“

Graham weist in seinem Essay darauf hin, dass die „Hierarchie des Widerspruchs“ verwendet werden kann, um Beiträge zu bewerten als auch um Beiträge zu schreiben. Wichtig ist hierbei, dass höhere Ebenen zwar besser sind, dies aber nicht heißt, dass die Position auch richtig ist.

In gleicher Weise kann man mit der „Hierarchie der Zustimmung“ die Kommentare von Personen bewerten, die einer Sache zustimmen. Sind sie nur von peripheren Elementen beeinflusst? Oder haben sie sich wirklich mit den Argumenten auseinandergesetzt und entwickeln diese weiter? Gerade im Internet, dem „Marktplatz der Ideen“, ist eine solche Orientierung hilfreich.

Für die Auseinandersetzung mit den Gegnern und Befürwortern einer Position macht es einen Unterschied, auf welcher Ebene sie argumentieren. Die unteren Ebenen können getrost ignoriert werden, auch wenn die Kommentare auf der Zustimmungsseite sehr angenehm sein mögen.

Zu einer Weiterentwicklung von Diskussionen benötigt man Befürworter und Gegner auf höheren Ebenen — d.h. auf hohem Niveau.

 

Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf einem englischsprachigem Posting von mir.