Erfahrungswissen wurde lange Zeit in mehrjährigen Meister-Lehrlings-Beziehungen weitergegeben. Heutzutage müssen Unternehmen kürzere Wege gehen. Ein Überblick über verschiedene Wissens-Transfermethoden.
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„Früher war alles besser“, das stimmt zumindest für die Zeit, die ein Nachfolger hatte, um das Expertenwissen seines zukünftigen Berufes Schritt für Schritt zu erlernen. Und zwar im engen Austausch mit dem Experten und direkt bei der zu lernenden Tätigkeit, so dass durch Beobachten, Nachahmen und dank enger Absprache mit und Feedback durch den Experten auch implizite Wissensanteile und Erfahrungswissen des Experten übertragen werden konnten. Heutzutage sind die Übergabezeiten zwischen Nachfolger und Wissensträger wesentlich kürzer; darüber hinaus ist es oft genug nicht möglich, den Wissenstransfer in der authentischen Umgebung, am Arbeitsplatz selbst also, zu organisieren. Dies wäre aber die beste Art, den Experten und den Nachfolger zusammenzubringen und das Erfahrungswissen des Experten auszutauschen.
Lösungsansätze
Doch welche Möglichkeiten gibt es, auf das Erfahrungswissen des Experten zuzugreifen, wenn der Experte sein Wissen rückblickend, also retrospektiv formulieren soll? Seit Anfang der 90er Jahre sind hierfür einige spezielle Wissenstransfer-Methoden entwickelt worden, die sich grob in zwei Gruppen aufteilen lassen: In solche, die eine individualisierte Herangehensweise, eine Ausrichtung auf den Dialog und auf Reflexionsprozesse bei der Erfassung und der Weitergabe von Wissen haben, sowie solche, die ein standardisiertes, strukturiertes Vorgehen für Erfassung und Transfer heranziehen. Diese beiden Ausprägungen sind aber nur Endpole auf einem Kontinuum und viele Wissenstransfer-Methoden sind nicht eindeutig zuzuordnen, sondern mischen methodische Schritte und Tools aus diesen beiden grundlegen den Herangehensweisen (siehe Kasten).
Personalpolitische Instrumente:
Tandems zur Einarbeitung, Workplace Shadowing, Lernpartnerschaften, Mentoring, Übergabegespräche
Auf Wissenstransfer spezialisierte Ansätze:
a.) Individualisierte Ansätze – Fokus auf Dialog: Wissen durch Erfahrungsgeschichten, Triadengespräche, Interviewmethode
b.) Strukturierte Ansätze – Fokus auf Dokumentation: Wissensstafette, Expert Debriefing
c.) Mischformen: NOVA.PE , „Fach- und Führungskräftewechsel“, Leaving Expert Debriefing-Prozess, Storytelling, Video-Annotationen
Die individualisierten Ansätze legen ein konstruktivistisches Weltbild zugrunde, gehen also davon aus, dass die Bedeutung von Wissensinhalten im sozialen Austausch ausgehandelt wird. Dementsprechend stehen der offene Dialog und Reflexionsprozesse über die Bedeutung „hinter den Worten“ im Vordergrund. Diese Ansätze wenden also eine offen-dialogische Gesprächssituation an, um das Erfahrungswissen des Experten zu fassen. Hierunter fallen auch die narrative Methoden (siehe wissens.blitz (74)), die den Experten offen von seinen Erfahrungen erzählen lassen und nur sehr wenig durch gezielte Wissens-Fragen lenken. Andere Ansätze legen weniger Gewicht auf die offene Gesprächssituation und das Aushandeln von Bedeutung, sondern legen mehr Wert auf eine strukturierte Vorgehensweise und eine übersichtliche Dokumentation des Wissenstransfers. So soll das Wissen auch später noch verfügbar sein, wenn die Fach- oder Führungskraft nicht mehr im Unternehmen ist. Diese Ansätze begehen den Wissenstransfer tendenziell mit geschlossenen Befragungssituationen, die durch Leitfäden, halbstrukturierte Interviews oder Checklisten strukturiert werden. Einige dieser Ansätze legen elaborierte Wissenskategorien zugrunde, die den Interviewer unterstützen, thematisch fokussierte Interviews mit dem ausscheidenden Experten zu führen.
Fazit
Die Vielfalt an Herangehensweisen, das Expertenwissen fassbar zu machen, ist also denkbar groß. Eine Wertung in „besser“ oder „schlechter“ für den Wissenstransfer macht wenig Sinn, denn erst die Synthese dieser verschiedenen Grundausrichtungen wäre die goldene Mitte, wenn es um das Erfassen und Dokumentieren von Expertenwissen geht: das Bereitstellen von offenen Dialogsituationen, die strukturierten Wissenskategorien im Hintergrund der Befragungssituation, die Konzentration auf eine solide Dokumentation – dies sind die Faktoren, die zusammengenommen einen guten Wissenstransfer ausmachen.
Literaturnachweis: Erlach, C., Orians, W. & Reisach, U. (in Druck). Wissenstransfer bei Fach- und Führungskräftewechsel – Erfahrungswissen erfassen und weitergeben. München: Hanser Verlag.
Zitieren als: Erlach, C. (2013). Wissenstransfer-Methoden für Fach- und Führungskräftewechsel. wissens.blitz (98). https://wissensdialoge.de/wissenstransfermethoden