Kritisches Denken ist eine viel gewünschte Eigenschaft und „Schlüsselqualifikation“. In diesem wissens.blitz erfahren Sie, was es eigentlich heißt, kritisch zu denken.
Download: wissens.blitz (45)
Kritisches Denken wird oft als wichtige „Schlüsselqualifikation“ in Organisationen gesehen, um bessere Entscheidungen bezüglich der Prozesse und Produkte zu treffen und sich damit weiterhin am Markt zu behaupten. Oft wird zwar kritisches Denken verlangt, es wird aber selten definiert, was kritisches Denken überhaupt ist bzw. dafür notwendig ist.
Kritisches Denken als Fertigkeit
In der Literatur wird kritisches Denken häufig als Fertigkeit gesehen. Diese beinhaltet z.B. die “bewusste, selbstregulative Urteilsbildung, welche Interpretation, Analyse, Bewertung und Schlussfolgerung beinhaltet” (Facione, 1990, siehe auch die Zusammenstellung im Kasten rechts). Hierbei ist v.a. das selbständige Nachforschen (Informationssuche, Analyse, Schlussfolgerungen) ohne Verzerrungen wichtig – d.h. ohne dass man zum Beispiel Informationen bevorzugt, die der eigenen Meinung entsprechen (confirmation bias, ich versuche zu bestätigen, was ich schon für richtig halte, anstatt nach möglichen Widerlegungen aktiv zu suchen) oder Gegenposition vernachlässigt oder abwertet (myside bias, ich bin nicht objektiv, sondern argumentiere für meine Position).
Kritisches Denken als Persönlichkeitseigenschaft
Kritisches Denken geht aber auch über die reinen Fertigkeiten hinaus. Ein Mitarbeiter muss kritisches Denken für notwendig halten. Hier sind die sogenannten epistemologischen Überzeugungen wichtig (Kuhn, 1999). Für Personen die der Überzeugung sind, es gäbe nur eine absolute Wahrheit (Absolutisten) oder dass alle Positionen gleichwertig sind (Multiplisten) macht kritisches Denken keinen Sinn. Wichtig ist hier die Erkenntnis, dass man zwar nie sicher wissen kann, was „wahr“ ist, dass unterschiedliche Positionen aber dennoch eine unterschiedliche Wertigkeit haben („Evaluatisten“).
Wichtig in diesem Zusammenhang sind ebenfalls die Sensibilität und die Neigung zum kritischen Denken einer Person (Ritchhart & Perkins, 2005). Mitarbeiter müssen nicht nur fähig sein, kritisch zu denken, sondern auch im oft komplexen und schnelllebigen Alltag die Gelegenheiten zum kritischen Denken erkennen, also dafür sensibel sein. Haben sie eine solche Gelegenheit erkannt, müssen sie dazu geneigt sein, den oft erheblichen Denk- und Zeitaufwand für kritisches Denken zu leisten.
Auch wenn es sich hierbei um Persönlichkeitseigenschaften handelt, heißt dies nicht, dass kritisches Denken nicht extern beeinflusst oder gefördert werden kann. Ob kritisches Denken sinnvoll ist, hängt z.B. auch davon ab, ob die Organisation sich kritisch denkende Mitarbeiter wünscht oder nicht. Dies zeigt sich v.a. in den Reaktionen auf Vorschläge – d.h. wenn respektvolle Kritik auch belohnt wird und die Ergebnisse in organisationale Entscheidungen einfließen.
Kriterien für kritisches Denken
- umfassende Suche nach Informationen unabhängig von der favorisierten Position
- kreative Generierung von möglichen Hypothesen
- sorgfältige Bewertung und Evaluation der Informationen/Belege
- Identifikation von möglichen (Gegen-)Belegen für unterschiedliche Hypothesen
- Bewertung der Hypothesen durch eine unverzerrte Integration der verfügbaren Informationen
- Gewichtung von möglichen Hypothesen nach ihrer Stärke basierend auf den verfügbaren Belegen und Gegenbelegen
- Respekt/Wertschätzung? für andere Sichtweisen (auch wenn man diesen nicht zustimmt)
- Wissen um die Vorläufigkeit einer jeden Position und die Bereitschaft, diese bei neuen Informationen zu verändern
Punkte aus einem noch unveröffentlichten Artikel von Knipfer & Wessel
Kritisches Denken muss trainiert werden
Die Fertigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften zum kritischen Denken entwickeln sich nicht automatisch mit der Zeit. Selbst Universitätsstudenten können oft nicht oder nur unzureichend kritisch denken. Dabei ist kritisches Denken erlernbar und bereichsübergreifend einsetzbar. D.h. auch wenn sich das Wissen einer Person von einem zum anderen Bereichunterscheidet, kann sie kritisches Denken gut auf andere Bereiche übertragen.
Literaturnachweis:
Facione, P. A. (1990). Critical Thinking: A Statement of Expert Consensus for Purposes of Educational Assessment and Instruction. Executive Summary. The California Academic Press: Millbrae, California.
Kuhn, D. (1999). A Developmental Model of Critical Thinking. Educational Researcher, 28(2), p. 16-46.
Ritchhart, R. & Perkins, D. N. (2005). Learning to think: the challenges of teaching thinking. In K. J. Holyoak & R. G. Morrison (Eds.), The Cambridge handbook of thinking and reasoning (pp. 775-802). New York: Cambridge University Press.
Zitieren als: Wessel, D. (2011). Was ist eigentlich kritisches Denken? wissens.blitz (45). https://wissensdialoge.de/was_ist_kritisches_denken