Vorreiter, Mitläufer oder Blockierer? Reaktionen auf Veränderungen hängen von der Konstellation der „Feldkräfte“ ab

Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Veränderungen ist, ob es gelingt, Menschen für die Veränderung zu bewegen. Lewin’s Feldtheorie hilft zu verstehen, unter welchen Umständen Menschen Veränderungsinitiativen anstoßen, mittragen oder eher blockieren werden.

Egal ob kleine organisationale Veränderungen wie die Einführung einer neuen Software, größere Initiativen wie Merger oder Umstrukturierungen, oder die globale Nachhaltigkeitstransformation – eine der zentralsten Fragen in Veränderungsprozessen lautet: Wie werden Menschen darauf reagieren? Wer wird die Veränderung mittragen oder sogar Vorreiter*in sein, wer wird sie eher blockieren (und warum)? Während viele der existierenden psychologischen Theorien oft einzelne Faktoren (z.B. Persönlichkeitsmerkmale, erwartete Auswirkungen der Veränderung) separat betrachten, richtet Lewin’s Feldtheorie (Lewin, 1951) den Blick auf die Konstellation aller beteiligten Faktoren (in Lewin‘s Worten: Feldkräfte). Ähnlich wie bei einem Segelboot, bei dem die Konstellation unterschiedlichster Faktoren (Wind, Segelstellung, etc.) den Kurs und die Geschwindigkeit bestimmt, nimmt die Feldtheorie an, dass alles menschliche Verhalten eine Funktion dieser Feldkräfte ist. Auch wenn Lewin’s Theorie mehr als 70 Jahre alt ist, liefert sie viele hilfreiche Einsichten für das Verständnis von Reaktionen in Veränderungsprozessen (siehe dazu auch Kump, 2023).

Grundannahmen von Kurt Lewin‘s Feld Theorie

Kurt Lewin ging in seiner Feldtheorie davon aus, dass Individuen aus einem „psychologisches Feld“ heraus agieren. Dieses psychologische Feld umfasst die Gesamtheit der subjektiv wahrgenommenen „Fakten“ zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es beinhaltet sowohl Eigenschaften des Individuums (z. B. Persönlichkeit, Wissen) als auch Merkmale der Umwelt wie sie vom Individuum wahrgenommen werden (z. B. wahrgenommene physische Umwelt, relevantes soziales Umfeld).

Aus Sicht der Feldtheorie wirken in diesem psychologischen Feld zu jedem Zeitpunkt unterschiedliche Feldkräfte, also Motivatoren oder Treiber, die mit konkreten Verhaltensalternativen verbunden sind. Diese Feldkräfte können sowohl innere (d.h. intrinsische) als auch äußere (d.h. extrinsische) Kräfte sein. Zu den intrinsischen Feldkräften gehören persönliche Werte (z. B. umweltbezogene Werte, der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit), Bedürfnisse (z. B. Nahrung, Sicherheit) oder Wünsche (z. B. der Wunsch, belohnt oder akzeptiert zu werden). Extrinsische Kräfte können alle Arten von erwarteten externen Belohnungen (z. B. Gehalt, Beförderung) oder Bestrafungen (z. B. Geldstrafen, sozialer Ausschluss) sowie wahrgenommene soziale Erwartungen anderer sein. Jede der Kräfte ist mit bestimmten Verhaltensalternativen verbunden, die helfen, die gewünschten Ergebnisse zu erreichen. Die Akteure müssen sich dieser Kräfte nicht unbedingt bewusst sein oder über sie nachdenken, damit die Kräfte wirksam werden. Die Stärke der Kräfte kann sich im Laufe der Zeit ändern kann, z. B. aufgrund von Veränderungen der Situation.

Konflikte zwischen Kräften

In der Regel sind in einem psychologischen Feld immer mehrere Kräfte gleichzeitig vorhanden. Kräfte von annähernd gleicher Stärke in entgegengesetzten Richtungen verursachen Konflikte; je stärker diese entgegengesetzten Kräfte sind, desto stärker sind die Konflikte (dieses Phänomen ist als „kognitive Dissonanz“ bekannt). Lewin identifizierte verschiedene Konflikt-Arten. Um diese zu erklären, verwende ich das Beispiel einer Restaurant-Managerin, die mit dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich konfrontiert ist.

  1. Die erste Art der Konflikte sind Konflikte zwischen mehreren treibenden Kräften. Nehmen wir zum Beispiel an, dass die Managerin selbst einige der bestehenden Praktiken eigentlich für „falsch“ oder veraltet hält (z. B. zu starke Konzentration auf Fleisch; zu geringe Berücksichtigung lokaler und saisonaler Produktion), aber trotzdem bisher – so wie alle Restaurants – eine sehr Fleisch-lastige, wenig nachhaltige Küche angeboten hat, weil externe Kräfte (z. B. hohe Nachfrage von Gästen, niedrigere Kosten im Vergleich zu Bio-Lebensmitteln) diese inneren Kräfte überwogen haben. Die Managerin steht also derzeit in einem Konflikt zwischen dem „Handeln nach ihren Werten“ und dem „Handeln im Einklang mit kulturellen Normen und extrinsischen Kräften“.
  2. Eine zweite verbreitete Form des Konflikts besteht zwischen einer positiven und einer negativen Valenz, z. B. wenn eine unangenehme Verhaltensweise eine attraktive Belohnung verspricht oder eine angenehme Verhaltensweise „bestraft“ wird. Nehmen wir also stattdessen an, dass die Restaurant-Managerin von der Küche ihres Restaurants überzeugt ist, aber immer mehr Gäste andere Restaurants besuchen, weil sie mehr vegetarische Gerichte wollen oder Wert auf Nachhaltigkeit bei ihrer Ernährung legen. In diesem Fall steht die Restaurant-Managerin vor einem Konflikt zwischen dem „Wunsch, im Einklang mit ihren Normen zu handeln“ und der „Gefahr, Gäste zu verlieren“.

Außerdem können Konflikte zwischen treibenden und hemmenden Kräften (d. h. Barrieren) bestehen. Beispiele für solche Barrieren sind fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten (z.B. vegetarisch zu kochen), zu hohe Kosten, technologische Einschränkungen oder rechtliche Auflagen. Solche Barrieren können einzelne Akteure daran hindern, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, obwohl eine starke Kraft mit diesem Ziel verbunden ist.

Reaktionen auf Veränderungen verstehen

Folgt man Lewin’s Annahmen und kennt man die zugrunde liegenden Feldkräfte, lassen sich daraus die Reaktionen von Akteuren auf Veränderungen vorhersagen. Kehren wir dazu zurück zu Beispiel 1.) in dem die Restaurant-Managerin hauptsächlich aufgrund externer Kräfte (z. B. bestehende Esskultur, Kosten) im Einklang mit bestehenden Konventionen (z.B. Fleisch-lastig…) handelt, sie aber eigentlich starke Werte in Bezug auf nachhaltige Lebensmittel hat. Wenn es nun einen allgemeinen Trend (z.B. durch geänderte Regulationen, veränderte Nachfrage) hin zu nachhaltigeren Praktiken gibt, würden die Konflikte im Kräftefeld der Managerin abnehmen, weil sie dann mehr in Übereinstimmung mit ihren Werten handeln könnte. Es kann also erwartet werden, dass die Managerin die Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit bereitwillig mitträgt und unterstützt.

Betrachten wir im Gegensatz dazu den Fall, dass  wie oben unter 2.) beschrieben, die Managerin „nicht nachhaltig“ kocht, weil ihre Werte, Normen und Überzeugungen mit der bisherigen Nachfrage der Gäste übereingestimmt haben. In diesem zweiten Fall würde eine Veränderung hin zu nachhaltigeren Praktiken im Gastgewerbe die Konflikte im Kräftefeld der Managerin erhöhen. Je nach Stärke dieser Konflikte kann es dazu führen, dass die Restaurantmanagerin mit Widerstand auf die Veränderung reagiert, um den Konflikt zu verringern.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass ein Fokus auf Konflikte zwischen Kräften dazu beitragen kann, die unterschiedlichen Reaktionen von Menschen auf Veränderungen zu verstehen.

Fazit

Kurz zusammengefasst hängen die Reaktionen von Individuen auf Veränderungen davon ab, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf das Kräfteverhältnis im Feld haben: Wenn die angestrebte Veränderung die Konflikte in ihrem Kräftefeld verringert, werden Menschen höchstwahrscheinlich positiv auf die Veränderung reagieren und vielleicht sogar Vorreiter*innen werden (wie im Fall 1). Wenn jedoch die Veränderungen Konflikte zwischen Feldkräften herbeiführen oder verstärken (wie in Fall 2), werden die betroffenen Akteure mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Widerstand reagieren und versuchen, ihre Interessen zu schützen bzw. den Status quo zu erhalten.

Quellen:

Lewin, K. (1951). Field theory in social science. Harper & Row.

Kump, B. (2023). Lewin’s field theory as a lens for understanding incumbent actors’ agency in sustainability transitions. Environmental Innovation and Societal Transitions, 46, 100683, https://doi.org/10.1016/j.eist.2022.11.008