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Vorsicht beim Gebrauch von Verneinungen: sie werden oft falsch erinnert

Wir nutzen häufig Verneinungen, um Personen zu beschreiben. Die Forschung zeigt jedoch, dass Verneinungen riskant sind: in vielen Fällen erinnern wir uns an das genaue Gegenteil der eigentlichen Botschaft.

Wir nutzen häufig Verneinungen, um Personen zu beschreiben. Die Forschung zeigt jedoch, dass Verneinungen riskant sind: in vielen Fällen erinnern wir uns an das genaue Gegenteil der eigentlichen Botschaft.

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Stellen Sie sich vor, ein Kollege erzählt Ihnen: „Herr Müller ist nicht besonders fleißig.“ An welches Verhalten würden Sie denken: an fleißiges Arbeitsverhalten, wie z.B. lange, konzentrierte Arbeitsphasen, genaue Überprüfung aller Arbeitsschritte oder freiwillige Überstunden? Oder denken Sie eher an faules Verhalten, wie z.B. häufige Pausen, Abwälzen von unbeliebten Tätigkeiten auf Kolleg:innen, oder vorgeschobene Krankmeldungen?

Häufig nutzen wir Verneinungen, um Aussagen abzumildern oder uns zu distanzieren. Eine Verneinung ist in manchen Fällen höflicher (z.B. im Vergleich zu „er ist faul“), lässt mehr Möglichkeiten offen (Herr Müller kann nach der obigen Aussage immer noch weder fleißig noch faul sein) oder ironisch-lustig (in diesem Fall wäre Herr Müller offenkundig faul). Dabei zeigt die Forschung aber, dass die menschliche Erinnerung dem Inhalt der Botschaft bei Verneinungen häufig nicht gerecht wird.

Wir erinnern häufig das Gegenteil

Die Forschung ist der Frage nachgegangen, welche Assoziation im Gedächtnis gebildet wird, wenn wir Verneinungen nutzen: „Herr Müller – fleißig“ oder „Herr Müller – faul“? In einer Studienserie wurden Menschen anhand von Adjektiven beschrieben, die zur Hälfte verneint wurden (z.B. „Tim ist ordentlich“ oder „Tim ist nicht ordentlich“). Im Anschluss sollten die Teilnehmenden so schnell wie möglich entscheiden, ob eine bestimmte Verhaltensweise (z.B. „Tim macht jeden Morgen sein Bett“ oder „Tim vergisst häufig, wo er seinen Autoschlüssel hingelegt hat“) zu der Beschreibung passen oder nicht. Dabei wurde gefunden, dass bei Verneinungen die Entscheidung nicht nur länger dauert, sondern auch fehlerhafter ist. Auch die Erinnerung an verneinte Aussagen ist fehlerhaft: fünf Minuten nach dem Lesen von verneinten Aussagen haben die Studienteilnehmenden bereits 14 Prozent der Aussagen gegenteilig erinnert. Bei Adjektiven, die kein klar definiertes Gegenteil haben (z.B. charismatisch), stieg der Anteil der verkehrten Erinnerungen sogar auf 38 Prozent! Woran liegt das?

Falsche Bilder im Kopf

Bei Verneinungen werden offenbar Verhaltensweisen im Gedächtnis aktiviert, die zu der verneinten Eigenschaft passen (z.B. fleißig), statt Verhaltensweisen, die zur Person eigentlich passen sollten (z.B. faul). Wenn eine Person mit einer Eigenschaft gepaart genannt, aber verneint wird, dann werden im Gedächtnis erstmal die Person und die Eigenschaft als Einheit gespeichert, die dann erst im Nachhinein verneint wird. „Herr Müller“ würde also zuerst im Gedächtnis mit der Eigenschaft „fleißig“ im Gedächtnis verknüpft werden, dann erst wird zusätzlich die Verneinung zu dieser Einheit erinnert. Eine Konsequenz dieser zeitlichen Verzögerung ist, dass falsche Folge-Assoziationen geweckt werden: Wenn man einmal an „Herrn Müller“ und „fleißig“ denkt, dann werden automatisch andere Bilder im Kopf aktiviert, die mit „Fleiß“ zusammenhängen: z.B. Überstunden oder Genauigkeit. Wenn dann die Verneinung zeitlich nachgelagert im Kopf aktiviert wird, steckt der Kopf bereits voller Bilder zum Thema „Fleiß“, die sich ungewollt um Herrn Müller ranken. Mit anderen Worten: statt bei Herrn Müller an Faulheit zu denken, denken wir ungewollt an Fleiß. Je länger die Botschaft her ist und je weniger die Eigenschaft ein gut definiertes Gegenteil hat, desto stärker wird dieser unerwünschte Effekt. Die Konsequenz: wir verknüpfen im Gedächtnis zwei Dinge, die überhaupt nicht zusammengehören und erinnern uns genau an das Gegenteil der eigentlichen Botschaft.

Tipps zum Umgang mit Verneinungen
– Beschreiben Sie, das konkrete Verhalten einer Person, statt sie mit Eigenschaften zu labeln.
– Wenn Eigenschafts-Beschreibungen unvermeidbar sind: nutzen Sie zutreffende Attribute und verzichten Sie auf Verneinungen.
– Machen Sie sich bei Geboten den Effekt zunutze: Formulieren Sie Gebote statt Verbote! Sagen Sie, was getan werden soll, und schweigen Sie über das, was unterlassen werden soll.

Bei dem nicht fleißigen Herrn Müller mag dieser Effekt keinen größeren Schaden anrichten, aber stellen Sie sich vor, Sie hören den Satz „Herr Müller ist nicht verlogen“. Nun werden vermutlich Ihre Gedanken um Herrn Müller und Intrigen kreisen und die Assoziation ist perfekt. Vielleicht begegnen Sie Ihrem völlig unschuldigen Kollegen in Zukunft mit Vorbehalt. Als Führungskraft sollten Sie deshalb bei Ihrer Wortwahl daran denken, dass Verneinungen zu Fehlern in der Eindrucksbildung führen können und verantwortungsvoll formulieren (siehe Kasten).

Und wissen Sie was? Fast hätte ich diesen Wissensblitz mit „Warum Verneinungen nicht funktionieren“ tituliert.


Literatur:
Mayo, R., Schul, Y., & Bernstein, E. (2004). ‘‘I am not guilty’’ vs ‘‘I am innocent’’: Successful negation may depend on the schema used for its encoding. Journal of Experimental Social Psychology, 40, 433–449.

Bitte zitieren als:
Matschke, C. (2021). Das traurige Los von Verneinungen. wissens.blitz (216). https://wissensdialoge.de/verneinungen