„Das haben wir schon immer so gemacht!“ Warum es so schwer ist, etabliertes Verhalten zu ändern

Wer Veränderungen im eigenen Unternehmen oder in der Gesellschaft herbeiführen möchte, muss viele einzelne Menschen dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Jeder der das versucht hat, weiß, wie schwer es ist. Aber warum eigentlich?

Gewohnheiten und Routinen

Wer Veränderungen im eigenen Unternehmen oder in der Gesellschaft herbeiführen möchte, muss viele einzelne Menschen dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Jeder der das versucht hat, weiß, wie schwer es ist. Aber warum eigentlich?

Der Großteil der Verhaltensweisen, die wir täglich in unserem beruflichen und privaten Leben an den Tag legen, geschieht ohne bewusste Entscheidung. Beispielsweise entscheiden wir nicht jeden Tag aufs Neue, welchen Weg wir zur Arbeit nehmen oder welche Sorte Milch wir im Supermarkt kaufen – wir handeln aus Gewohnheit. (Manchmal führt man gewohnte Handlungen so unbewusst aus, dass man sich danach nicht einmal mehr ganz sicher ist, ob man es eigentlich gemacht hat.) Wenn wir mit Kolleg*innen zusammenarbeiten, haben wir oft viele gemeinsam etablierte Routinen, die gut eingespielt sind und nicht jedes Mal neu ausgehandelt werden müssen. Solche nahezu automatisch ablaufenden (individuellen) Gewohnheiten und (gemeinsamen) Routinen haben den Vorteil, dass sie effizient sind: Unser Gehirn hat Kapazitäten für andere Themen frei und wir müssen uns über Routineprozesse nicht ständig abstimmen, sondern sie funktionieren einfach.

Hierin liegt aber genau die Krux für Veränderungen: Dadurch, dass Gewohnheiten und Routine-Verhalten nahezu ohne Nachdenken initiiert und ausgeführt werden können, muss Extra-Aufwand darauf investiert werden, neues Verhalten zu etablieren. Beispielsweise muss man sich, wenn man seine Gewohnheiten ändern und einen gesünderen Lebensstil pflegen möchte, am Anfang immer wieder bewusst dafür entscheiden, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren statt – wie gewohnt – mit dem Auto. Möglicherweise findet man sich sogar manchmal schon auf dem Weg zum Auto wieder, wenn man sich daran erinnert, dass man eigentlich mit dem Fahrrad fahren wollte. Oder wenn in einem Büro bestimmte Abläufe in Zukunft „papierlos“ umgesetzt werden sollen, muss zunächst ein gewisser Aufwand betrieben werden, um sich Alternativen zu überlegen, sich entsprechend abzustimmen und trotzdem zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Dann kann es am Anfang schon mal passieren, dass Informationen nicht auffindbar oder Zuständigkeiten unklar sind.

Wie diese Beispiele verdeutlichen, führen am Anfang Veränderungen von Routinen und Gewohnheiten oft zu Verzögerungen, Fehlern oder erhöhtem Kommunikationsaufwand. Deshalb sind solche Veränderungen oft unangenehm und die meisten würden lieber bei einer etablierten Routine bleiben statt sie zu ändern, auch wenn sie eigentlich längst überholt ist.

Mentale Modelle

Neben automatisch ablaufenden Gewohnheiten ist unser Verhalten davon geprägt, was wir als „normal“ und „üblich“ erachten. Wir haben beispielsweise als Konsument*innen mentale Modelle davon, wie öffentliche Transportsysteme funktionieren (können), was „Lebensmittel“ sind und was nicht (z.B. Insekten), was „Wohnen“ bedeutet (z.B. Einfamilienhaus mit Garten), welche Produkte und Dienstleistungen für einen gewissen Lebensstandard notwendig sind und so weiter.

In unserem beruflichen Leben haben wir beispielsweise Vorstellungen davon, „wie die Branche funktioniert“, wie Meetings ablaufen sollen (z.B. online vs. live) oder wie man zu Kooperation und Wettbewerb steht. Dinge werden gemacht, wie sie schon immer gemacht wurden—das hat ja schließlich in der Vergangenheit auch zum Erfolg geführt!

Veränderungen, die nicht zu den eigenen mentalen Modellen passen, sind im wahrsten Sinne des Wortes „undenkbar“ – man kann es sich einfach nicht vorstellen. Zum Beispiel konnte man sich zu Beginn der Covid-Pandemie nicht vorstellen, was alles online möglich ist (z.B. ganze Konferenzen oder Theaterbesuche). Es liegt sozusagen in der Natur des menschlichen Gehirns, auf „Undenkbares“ zunächst skeptisch und mit Widerstand zu reagieren und zu versuchen, den Status Quo zu erhalten. In vielen Fällen liegt diesem Widerstand die Angst zugrunde, dass „das sicher alles nicht funktioniert“ oder zumindest viel schlechter werden wird.

Wann und wie gelingt es, Verhalten zu ändern?

Damit Menschen ihre etablierten Verhaltensweisen ändern, ist deshalb ein gewisses Maß an „Veränderungsenergie“ und Motivation erforderlich. Diese Motivation kann aus einem selbst kommen (intrinsische Motivation), beispielsweise, wenn man sich für das Fahrrad statt des Autos entscheidet, weil man gesünder und umweltbewusster leben möchte. Die Motivation kann aber auch von außen kommen (extrinsische Motivation), wenn zum Beispiel Anreize dafür gesetzt werden, dass man als Mitarbeiter*in mit dem Fahrrad statt dem Auto zur Arbeit fährt. Im unternehmerischen Kontext braucht es meist ein kollektives „Gefühl der Dringlichkeit“, um Veränderungsenergie freizusetzen. Ein solches Gefühl der Dringlichkeit kann sowohl durch ein Bedrohungsszenario (z.B. „Wenn wir nicht nachhaltiger agieren, verlieren wir viele Kund*innen!“) als auch eine positive Unternehmens-Vision (z.B. „Wir wollen die Pioniere in nachhaltiger Produktion von xy sein!“) hervorgerufen werden. Idealerweise handelt es sich dabei um ein sehr wünschenswertes neues Zukunftsbild, das sogar attraktiver erscheint als „das Alte“.

Trotzdem bleibt noch das Problem mit den Gewohnheiten und Routinen, in die man immer wieder gerne zurückfällt. Hier gilt es, dran zu bleiben und die Phase zu überwinden, wo Fehler passieren und das Neue noch nicht gut eingeübt ist. Insbesondere als Führungskraft ist hier Konsequenz gefragt. Es muss klar sein, dass „das Alte“ keine Option mehr ist. Je eindeutiger das ist und je weniger Möglichkeiten gegeben werden, in das Alte zurückzufallen, desto schneller wird es gelingen, aus dem „ungewollten Neuen“ das „neue Normal“ zu machen.

Das wichtigste ist: Machen Sie es als Führungskraft und Entscheidungsträger*in den Menschen möglichst leicht, das neue, gewünschte Verhalten zu zeigen. Erhöhen Sie Anreize (z.B. soziale Anerkennung), Räumen Sie Hindernisse aus dem Weg (z.B. Eintrittsbarrieren, Aufwand) und bauen Sie das notwendige Wissen und die notwendigen Kompetenzen auf (z.B. Schulungen, Peer-Groups), um das neue gewünschte Verhalten zu zeigen. Beobachten Sie den Fortschritt. Finden Sie immer weiter heraus, wo die Schwierigkeiten liegen und räumen Sie diese aus dem Weg. Berücksichtigen Sie dabei die unterschiedliche Situationen und Bedürfnisse von unterschiedlichen Personengruppen. Bleiben Sie dran und achten Sie darauf, dass Personen in dieser heiklen Veränderungsphase nicht zurück in die alten Verhaltensweisen fallen.    

An einem bestimmten Punkt setzt dann ein Lerneffekt ein: Die neuen Verhaltensweisen gehen leichter von der Hand und etablieren sich als neue Gewohnheiten. Die neuen Routinen „spielen sich ein“, es ist keine Abstimmung mit den Kolleg*innen mehr erforderlich. Das neue Verhalten hat das alte abgelöst. Irgendwann führen diese Verhaltensänderungen dann auch zu neuen mentalen Modellen – anders ausgedrückt: Das vormals Undenkbare wird dann nicht nur denkbar, sondern sogar ganz normal.