Reflexion eigener (Arbeits-) Erfahrungen ist unerlässlich für eine Explikation von „stillem Wissen“ und für den Austausch von Erfahrungswissen.
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Erfahrungswissen als wertvolle Wissensressource
Der Umgang mit schwierigen Kunden, die Steuerung komplexer Projekte, die erste Führungsverantwortung – heutige Berufe stellen Angestellte immer wieder vor Herausforderungen, für die in der Regel keine Routinen und deshalb auch eher selten systematische Qualifizierungsmaß nahmen i.S. von Trainings zur Verfügung stehen. Bei der Entwicklung von Expertise am Arbeitsplatz spielen hier persönliche (Arbeits-)Erfahrungen eine zentrale Rolle (s. wissens.blitz (8)). Dabei ergeben sich Änderungen im Handeln, Wissen und Denken durch unmittelbare Erfahrungen und eigenständiges Handeln im natürlichen Arbeitsumfeld (in der angloamerikanischen Literatur als experiential learning bezeichnet, bspw. Kolb, 1984). Eindrückliche Erfahrungen werden dabei zu sog. Erfahrungswissen verdichtet. Dieses Erfahrungswissen ist oft sogenanntes “stilles Wissen” (s. wissens.blitz (3)), das eher ein intuitives als ein theoriegeleitetes Handeln ermöglicht.
Reflexion als Zugang zum „stillen“ Wissen
Wir können anstehende Arbeitsaufgaben mit Hilfe unseres Erfahrungsschatzes kompetent und effizient bewältigen, gleichzeitig ist es uns in der Regel jedoch kaum möglich, das dafür notwendige Wissen konkret zu benennen und sein Erfahrungswissen für andere verfügbar zu machen. Wie man Projekte erfolgreich umsetzt, wie man mit schwierigen Kunden umgeht, oder wie man seine MitarbeiterInnen nach Rückschlägen wieder motiviert – das alles ist nicht in „wenn, dann“ – Regeln zu formulieren. Erst die Reflexion über den Erfahrungsschatz, also das (distanzierte und bewusste) Nachdenken über die gemachten Erfahrungen, kann zur Konstruktion von systematischem Wissen, i.S. von Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Systemzusammenhängen führen und erlaubt damit den Transfer des Gelernten auf neue, zukünftige Situationen (Boud, Keogh & Walker, 1985).
Der Reflexionsprozess
Die Reflexion der eigenen Arbeitspraxis und arbeitsbezogener Erfahrungen zur Generierung von persönlichem Erfahrungswissen erfordert dabei mehrere Schritte: Die MitarbeiterInnen müssen sich der eigenen Handlungspraxis zunächst bewusst werden, das eigene Handeln und zugrunde liegendes Wissen analytisch betrachten, die eigenen Handlungsroutinen systematisch hinterfragen und ggf. mit Handlungsalternativen experimentieren, um Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Weiterhin betont die Forschung die bewusste Verarbeitung von Emotionen im Zuge des Reflexionsprozesses (Boud, 1993). Aus der Reflexion kann dann eine Neubewertung eigener Arbeitspraxis und die Generierung von neuen, (besseren?) Handlungsalternativen resultieren. Reflexion spielt dabei nicht nur bei individuellen sondern auch bei Lernprozessen in Teams eine zentrale Rolle (s. wissens.blitz (7)).
Bedingungen und Förderung von Reflexion
Wir müssen davon ausgehen, dass eine solch „reflexive Praxis“ nicht automatisch im Arbeitsalltag auftritt. Generell geht die Forschung davon aus, dass es eine persönliche Disposition zur Selbstreflexion gibt – d.h. manche MitarbeiterInnen zeigen generell eine höhere Selbstaufmerksamkeit und setzen sich häufig mit ihren Arbeitserfahrungen auseinander, wohingegen andere ohne externe Anlässe nur wenig Selbstreflexion zeigen. In der Regel gibt es in beiden Fällen konkrete Auslöser für Reflexionsprozesse: Misserfolge und Fehler, kritische Situationen, in denen Handlungsroutinen nicht (mehr) funktionieren, oder organisationale Veränderungen, die neue Arbeitspraxis notwendig machen. Gelegenheiten für Reflexion sind neben diesen eher spontanen Anlässen auch Projekt Review – Meetings, Mitarbeitergespräche, Mentoring oder Coaching etc. Hilfreich für Reflexionsprozesse in beiden Fällen ist regelmäßiges, verhaltensnahes Feedback, die Möglichkeit, selbstbestimmt und möglichst autonom mit Handlungsalternativen zu „experimentieren“ und der kontinuierliche, offene Austausch zwischen MitarbeiterInnen, um eine gemeinsame Reflexion geteilter Arbeitspraxis und den Aufbau von gemeinsamer Best Practice zu fördern. Reflexion bietet damit auch die Chance, gut funktionierende Routinen weiter zu optimieren und zu flexibilisieren und ist damit die Voraussetzung für eine ständige Weiterentwicklung von Best Practices.
Konsequenzen für das Wissensmanagement
Reflexion erst ermöglicht die Generierung und Explikation von systematischem Wissen. Reflexion ist damit eine Voraussetzung für ein Wissensmanagement, das den Austausch von persönlichem Erfahrungswissen und dessen Verdichtung zu gemeinsamer Best Practice im Blick hat. Wissensmanagement bedarf also mehr als die Identifikation und Archivierung von Daten und Informationen – im Mittelpunkt des Interesses muss vielmehr die Frage stehen, wie das Erfahrungswissen der MitarbeiterInnen als zentrale Ressource einer Organisation geteilt und weiterentwickelt werden kann.
Literaturnachweis:
Boud, D. (1993). Experience as the Base for Learning. Higher Education Research & Development, 12(1), 33-44.
Boud D., Keogh, R., Walker, D. (1985). Reflection: Turning Experience into Learning. London, New York: Routledge.
Kolb, D. A. 1984. Experiential Learning: Experience as the Source of Learning and Development. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
Zitieren als: Knipfer, K. (2011). Erfahrung macht klug! wissens.blitz (24). https://wissensdialoge.de/Reflexion