Am 10. Oktober war „World Mental Health Day“. Ein Grund näher auf das Thema zu schauen. Was bedeutet psychische Gesundheit, was bedingt sie und wie kann sie gefördert werden – insbesondere am Arbeitsplatz? Eine organisationspsychologische Betrachtung.
Psychische Gesundheit – ein Thema, das in der Vergangenheit lange Zeit nur sehr stiefmütterlich behandelt wurde, aber nun (glücklicherweise) immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Auch, weil die Zahlen alarmierend sind. Schon seit geraumer Zeit zeigt sich innerhalb der Reporte der Krankenkassen ein Aufwärtstrend hinsichtlich der gemeldeten Beeinträchtigung durch psychische Störungen.
In den Fokus rückt die psychische Gesundheit aber auch, weil insbesondere Personen des öffentlichen Lebens beginnen, darüber zu sprechen. Die Liste ist lang: Lady Gaga, Adele, Selena Gomez, aber auch in Deutschland äußern sich viele zu eigenen Erfahrungen und Problemen mit der Psychischen Gesundheit. Angststörungen, Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen werden damit zu Themen, die jede:n betreffen können.
Was genau ist psychische Gesundheit?
Genau genommen handelt es sich um einen relativ weit gefassten Begriff. Nach der WHO wird unter psychischer Gesundheit ein Zustand des Wohlbefindens verstanden, in dem der:die Einzelne seine:ihre eigenen Fähigkeiten erkennt, die normalen Belastungen des Lebens bewältigen, produktiv und erfolgreich arbeiten kann und in der Lage ist, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Es geht also nicht nur um vorhandene bzw. nicht vorhandene psychische Krankheiten, aber eben auch.
Welche Faktoren bedingen psychische Gesundheit?
Insgesamt kann man zwischen der Person selbst und ihrer Umwelt unterscheiden. Welche Vorerkrankungen gab es innerhalb der Familie? Für einige Psychische Störungen wie z. B. der Depression steigt die Auftretenswahrscheinlichkeit, wenn bereits Angehörige betroffen waren. Neben der genetischen Vorbelastung spielen aber auch noch andere Faktoren eine Rolle: Wie ist die Person aufgewachsen, welche Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten hat sie im Laufe des Lebens entwickelt? Vor allem gute Bewältigungsstrategien können helfen, mit schwierigen Situationen umzugehen. Und schließlich ist auch die Umwelt von Bedeutung: Inwieweit bildet diese ein Risiko für die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit?
Ein weit verbreitetes Modell aus dem Bereich der Organisations- und Wirtschaftspsychologie, welches Mechanismen zur Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit aufgreift, ist das Arbeitsanforderungs-Arbeitsressourcen-Modell. In diesem wird zwischen verschiedenen förderlichen (Ressourcen) und beanspruchenden Faktoren (Anforderungen) unterschieden. Vereinfacht gesagt, führt ein dauerhaftes Überwiegen negativer Anforderungen zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit, zu Erschöpfung und Burnout.
Welche Ressourcen können psychische Gesundheit stärken?
Unter Ressourcen werden diejenigen Aspekte der Arbeit verstanden, die funktional für das Erreichen von Arbeitszielen sind, die Arbeitsanforderungen und die damit verbundenen physiologischen und psychologischen Kosten reduzieren und/oder persönliches Wachstum, Lernen und Entwicklung fördern (Bakker & Demerouti, 2007). Zum einen gibt es soziale Ressourcen wie z. B. Unterstützung durch die Führungskraft oder die Kolleg:innen. Zum anderen auch organisationale wie z. B. Autonomie oder ein Tätigkeitsspielraum. Und zuletzt gibt es auch persönliche Ressourcen, das heißt, was die Person selbst an Fähigkeiten oder Eigenschaften mitbringt. Förderlich sind hierbei z. B. Selbstwirksamkeit, Optimismus oder Resilienz. Es können aber auch hilfreiche Bewältigungsstrategien sein, mit schwierigen Bedingungen gut umzugehen oder auch sich gut abzugrenzen.
Welche Anforderungen können psychische Gesundheit beeinträchtigen?
Als Anforderungen werden alle jene Aspekte der Arbeit verstanden, die Anstrengungen oder Fähigkeiten erfordern und daher mit physiologischen und/oder psychologischen Kosten verbunden sind (Bakker & Demerouti, 2007). Dazu zählen z. B. ein hoher Zeitdruck oder eine hohe Arbeitsbelastung. Insgesamt geht es auch nicht darum, „mal“ Zeitdruck zu haben, sondern es geht eher um eine länger andauernde Belastung, die dann zur Beanspruchung wird.
Warum sollte Mental Health auch für Arbeitgeber ein Thema sein?
Einige der Einflussfaktoren psychischer Gesundheit finden sich in der direkten Arbeitsumgebung. Und wir verbringen ziemlich viel Zeit mit unserer Arbeit. Laut des Statistischen Bundesamts lag 2019 die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Deutschland bei 34,8 Stunden pro Woche.
Für den Arbeitgeber macht es neben der Verantwortung, die er für die Gesundheit der Mitarbeitenden trägt, auch finanziell Sinn, die psychische Gesundheit seiner Mitarbeitenden im Blick zu behalten. Im Jahr 2019 ist die Zahl der Arbeitsausfälle aufgrund von psychischen Erkrankungen in Deutschland auf über 830 Millionen gestiegen[1] (Fladerer, Kugler & Kunze, 2021). Damit sind sie der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeiten (Techniker Krankenkasse, 2020). Und Arbeitsausfälle kosten sehr viel Geld.
Wie kann psychische Gesundheit am Arbeitsplatz gefördert werden?
Das Thema ernst und wichtig nehmen ist zentral. Wichtig nehmen heißt, als Organisation ehrlich daran interessiert sein, was die Mitarbeitenden belastet. Darüber hinaus gibt es beispielsweile folgende Möglichkeiten:
- Frühzeitig kritische Arbeitsanforderungen identifizieren. Hier können Beanspruchungsanalysen helfen, aber auch Kennzahlen wie Krankheitstage oder eine hohe Fluktuation sind Indikatoren für Beanspruchung. Im Anschluss geht es dann vor allem darum zu schauen, wie Belastungsfaktoren reduziert werden können.
- Sensibilisierung von Führungskräften sowie Mitarbeitenden selbst. So dass diese sowohl bei sich als auch bei anderen Warnsignale identifizieren können, aber auch Strategien haben wie sie damit gut umgehen können.
- Ein Unterstützungsangebot für Mitarbeitende schaffen, an das sie sich wenden können. Auch das Angebot von z.B. Kursen zum Aufbau von Strategien zur Bewältigung von Anforderungen im Alltag, Resilienz oder Sensibilisierung zu psychischer Gesundheit.
Weitere Informationen zu dem Thema psychische Gesundheit finden sich zum Beispiel in folgendem Praxisartikel. Einen Überblick zur Forschung zum Arbeitsanforderungs und -ressourcen Modell in folgendem Forschungsartikel.
Dr. Sonja Kugler ist Learning & Development Expert am TUM Institute for Life Long Learning der TU München. Während ihrer Promotion beschäftigte sie sich mit persönlichen Ressourcen am Arbeitsplatz. Nebenberuflich ist sie als zertifizierte Trainerin und systemische Beraterin, unter anderem im Bereich positive Psychologie, mentale Gesundheit und Kommunikation, tätig.
[1] Diese Statistik basiert auf der durchschnittlichen Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2019 (41,2 Millionen; Statistisches Bundesamt, 2020), die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit (7 Stunden) und die durchschnittliche Anzahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen (2,89 Tage; Techniker Krankenkasse, 2020) in Deutschland.