11 Jahre ist es jetzt her, dass wir noch als Nachwuchswissenschaftler*innen zusammensaßen und die Idee von wissensdialoge.de ausbrüteten. Wir waren unzufrieden damit, dass Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung kaum den Weg in die Praxis finden. Mit dem Blog wollten wir einen Beitrag leisten, Wissenschaft und Praxis besser miteinander zu vernetzen. Wir sind sehr stolz auf die über mehr als 590 Beiträge, die wir in dieser Zeit auf www.wissensdialoge.de. gepostet haben und freuen uns sehr über die zahlreichen Leser:innen, die uns dabei begleiten!
Wie jedes Jahr um diese Zeit haben wir wieder einen ganz besonderen Jubiläumsbeitrag gestaltet. Wir halten inne nach fast zwei Jahren Pandemie und fragen: Wie nachhaltig sind die Veränderungen, die durch die Pandemie angestoßen wurden? Was davon ist gekommen, um zu bleiben?
Wir wünschen Ihnen ein freudvolles neues Jahr und viel Spaß beim Lesen!
Dr. Christina Matschke: Vereinbarkeit von Gesundheit und Arbeit
Ich kann keinen allgemeinen Trend prognostizieren, aber ich verrate etwas, was bislang mein Geheimnis war: Während Online Präsentationen und Meetings mache ich oft Sport oder koche! Ich höre zu und denke mit, aber dabei trainiere ich die Rückenmuskulatur, mache Hampelmänner oder schnippele Gemüse. Auf diese Weise hat meine Gesundheit, zumindest während der Meetings, von der Online-Kultur profitiert. Natürlich tue ich das nur, wenn ich selbst nicht präsentiere oder aktiv alle mitdiskutieren. Da bei uns die Kameras aber normalerweise aus sind, wenn jemand anderes präsentiert, störe ich niemanden. Wenn ich etwas im Meeting beitrage, dann setze ich mich manierlich an den Schreibtisch, und keiner ahnt, dass ich Sporthosen trage oder es nach Zwiebeln riecht. Diesen Vorteil der Online-Kultur werde ich sicher beibehalten, denn er macht mich gesünder und zufriedener als das Rumsitzen und die Asia-box to go aus der Stadt. Und wer weiß? Vielleicht wird es irgendwann salonfähig, auch in Präsenz-Meetings auf dem Laufband zu gehen oder sich auf der Yogamatte zu dehnen.
Dr. Katrin Wodzicki: Online-Meetings – nur mit welcher Qualität?
Ich bin sicher, dass Online-Meetings auf einem deutlich höheren Niveau bleiben als vor der Pandemie. Gespannt bin ich darauf, wie viele Menschen auch neue Online-Tools zur Unterstützung von Online-Meetings entdeckt haben. Online-Meetings benötigen aus meiner Sicht noch mehr als physische Meetings eine gute Organisation und Vorbereitung, für alle sichtbare Visualisierungen zum Besprochenen und aktive Beteiligungsformate. Andernfalls ist bei ihnen das Risiko noch höher, dass kein echtes gemeinsames Verständnis hergestellt wurde und die Expertise und Perspektive der Zurückhaltenden unberücksichtigt bleibt. Dann laufen Online-Meetings – noch mehr als physische – Gefahr, dass schlechte Entscheidungen getroffen werden und anschließend unklar ist, wer nun für was verantwortlich zeichnet. Jene, die sich mit unterstützend-strukturierenden Methoden und entsprechenden Tools beschäftigt haben, werden davon sicher auch profitieren, wenn es an der ein oder anderen Stelle zurück zu physischen Meetings geht.
Dr. Barbara Kump: Improvisation und “Dinge nehmen, wie sie kommen”
In den letzten zwei Jahren mussten wir uns daran gewöhnen, dass nichts planbar ist. Können wir in zwei Wochen noch ins Ausland reisen? Wird eine bestimmte Veranstaltung stattfinden und wenn ja, live oder online? Werden Lieferengpässe überwunden werden, sodass die Nichte die neue Playstation zu Weihnachten bekommen kann? Viele Verabredungen wurden mit dem Zusatz “sofern es wegen Covid möglich ist” getroffen (ähnlich dem berühmten “InshAllah” im arabischen Raum). Auch wenn diese Unsicherheit sehr oft frustrierend ist und es zu vielen Enttäuschungen kommt, erlebe ich in meinem Umfeld gleichzeitig eine steigende Gelassenheit und Improvisationsfähigkeit: Wir wissen nicht, ob die Konferenz live stattfinden kann? Dann verlegen wir sie eben in den virtuellen Raum. Wir können uns vielleicht nicht in einem Lokal treffen? Dann lassen wir uns alle testen und machen die Weihnachtsfeier im Büro. Das funktioniert natürlich nicht immer und viele Dinge, auf die wir uns gefreut haben, können nicht einfach ersetzt werden. Aber dafür haben die Ereignisse, wenn sie stattfinden können, einen höheren Wert und werden oft auch bewusster gelebt (“Wir wissen nicht, ob wir morgen noch tanzen können, also tanzen wir heute!”). Ich denke, dass wir gelernt haben, unter Unsicherheit zu agieren und die Dinge zu nehmen wie sie sind – sozusagen “auf der Welle zu surfen”. Ich gehe davon aus, dass uns diese Bereitschaft zur Improvisation auch in Zukunft erhalten bleiben wird.
Dr. Nicole Behringer: Ein kraftspendender Arbeitsplatz zu Hause
Aufgrund der Pandemie arbeiten noch immer viele Menschen von zu Hause und ich bin davon überzeugt, dass der Anteil an Homeoffice auch auf lange Sicht höher bleiben wird als zuvor. Entsprechend wichtig ist es, das Augenmerk auf diesen Wirkungsort zu richten. Sitzen Sie noch immer provisorisch am Esstisch, der eigentlich zu hoch ist? Oder auf einem unbequemen Küchenstuhl, der nicht zur Tischhöhe passt? Die wenigsten von uns haben ein extra Bürozimmer zu Hause und müssen mit den Gegebenheiten klarkommen, die der eigene Wohnraum nun mal hergibt. Ich habe tatsächlich mal ein zoom Meeting erlebt, bei dem jemand aus dem Badezimmer zugeschaltet war, weil die Kinder im Homeschooling bereits alle anderen Räume besetzten. Der Duschkopf im Hintergrund sorgte für viele Lacher. Doch was immer die räumlichen Voraussetzungen sind, es lässt sich immer noch was rausholen – zum Beispiel mit zusätzlichen Lichtquellen oder einer Fußstütze. Ich habe mir beispielsweise einen höhenverstellbaren Tischaufsatz besorgt, den ich bei Bedarf auf meinen Schreibtisch stelle und somit problemlos im Stehen arbeiten kann. Das mobile Holzgestell ist im Handumdrehen wieder weg und ich kann im Sitzen weiterarbeiten. Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie Ihren Arbeitsplatz bereits ergonomisch eingerichtet?
Dr. Kristin Knipfer: Aufmerksamkeit für Themen, die bisher nicht “in” waren
Corona hat unsere Aufmerksamkeit auf Themen gelenkt, die meiner Erfahrung nach in den Universitäten bisher nicht sehr “in” oder “trendy” waren. Ich merke das an der Nachfrage nach Vorträgen/Workshops/Materialien von Mitarbeiter*innen der TUM und von extern. Welche Themen das sind? Beispielsweise das Thema “Führung”, eigentlich ein Klassiker, dennoch haben wir immer viel Zeit und Energie ins Marketing unserer Führungstrainings für Professor*innen investieren müssen, um sie für das Thema zu begeistern. Im letzten Jahr war das Thema jedoch stark nachgefragt, denn viele, die vielleicht dachten, Führung a) sei nicht so wichtig oder b) könnten sie schon, wurden quasi über Nacht auf Null zurückgeworfen und vor ganz neue (Führungs-)Herausforderungen gestellt: Wie führe ich von zuhause aus? Wie kann ich ein Onboarding rein virtuell durchführen? Wie stärke ich den Teamgeist? Wir haben also nachgelegt und eine Vielzahl von Workshops erstaunlich erfolgreich angeboten und viele Prof*innen damit erreicht. Außerdem das Thema “Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz”. Das Thema hat durch die Pandemie an Brisanz gewonnen, und unsere Workshops bspw. zum Thema Boundary Management im Home Office waren darum auch stark nachgefragt. Quasi eine positive “Nebenwirkung” der Pandemie, die im Gegensatz zur Pandemie selbst hoffentlich noch lange bleibt, denn Themen wie verantwortungsvolle Führung und die Stärkung mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz sollten immer relevant sein!
Dr. Annika Scholl: Die Sonne & die Pausen besser nutzen!
Schon als ich während meines Studiums drei Monate in Edinburgh verbracht habe, hat mich fasziniert, wie sehr die Leute dort die sonnigen Momente nutzen – kaum schien nachmittags die Sonne, standen viele vor den Pubs und Cafés oder saßen auf den Bänken in den Parks, um eine kleine Pause zu machen. Und gingen danach wieder an ihre Arbeit. Durch das zunehmende Home Office hat sich bei mir ein ähnliches “Muster” etabliert: Statt mir wie früher nachmittags in der Büroküche den nächsten Kaffee zu holen oder auf dem Gang mit jemandem zu sprechen, wenn ich mit einer Idee gerade nicht weiter komme, nutze ich zunehmend die (oft wenigen) Gelegenheiten, wenn die Sonne scheint, eine Runde um den Block zu drehen und frische Luft zu schnappen. Das bringt mich auf andere Gedanken und erleichtert mir das Kreativsein zurück am Schreibtisch. Übrigens muss der soziale Kontakt dabei nicht gänzlich aussetzen: Ich habe auf diesen 15-minütigen Spaziergängen auch schon kurze Videocalls mit KollegInnen oder meinem Chef gemacht, was gut funktioniert und neue Perspektiven ermöglicht hat.