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ChatGPT: Hat die Kulturtechnik „Texte schreiben“ ausgedient?

Ende November hat OpenAI ChatGPT gelauncht. Fünf Tagen später hatten sich bereits über 1 Million Nutzerinnen und Nutzer angemeldet und den Chatbot getestet. Der Bot basiert auf einem Sprachmodell, das er sich mithilfe künstlicher Intelligenz „selbst beigebracht“ hat, mit bestärkendem Lernen auf Basis von Trainingsdaten.

Die technologischen Grundlagen für ChatGPT sind bereits seit einigen Jahren veröffentlicht und auch schon in Prototypen und Produkten im Einsatz. Dass die Technologie über einen Chatbot jetzt greifbar und erlebbar wird, führt zu einer hohen Aufmerksamkeit und stößt gesellschaftliche Diskussionen an.

ChatGPT, genauer gesagt die dahinterliegende Technologie, wird die Art und Weise revolutionieren, wie wir Texte produzieren und rezipieren. Ich illustriere das an drei Beispielen und nutze dabei den Begriff ChatGDT als Platzhalter für vergleichbare Technologien.

  • ChatGPT ersetzt Suchmaschinen: Wieso sollte ich nach der Eingabe einer Suchanfrage anschließend zahlreiche Treffer durchsehen, um eine gute Antwort zu finden – wenn ich stattdessen auch direkt eine Antwort auf die formulierte Frage erhalten kann?
  • ChatGPT ersetzt Journalismus: Welchen Wert hat es, eine Pressemitteilung, die Ergebnisse einer Wahl oder die Bewertung einer Opernpremiere mit viel handwerklichem Geschick in einen Text umzuwandeln – wenn stattdessen einige Stichworte oder Fragen genügen, auf deren Basis ein gut lesbarer Text erzeugt wird?
  • ChatGPT ersetzt Vorlesungen: Warum muss ich mich mit vielen anderen in einen vollen Raum setzen, um mir von einer Person mit viel Wissen etwas erklären zu lassen – wenn ich stattdessen auf Basis eines bestehenden Textkorpus (in dem alles Wissen steckt) im Dialog lernen kann.

Eine aufgeklärte Gesellschaft braucht kompetente Mitglieder

Klar ist: Es gibt zahlreiche kritische Punkte, die wir diskutieren müssen. Eine aufgeklärte Gesellschaft braucht Mitglieder mit Informationskompetenz (die Suchmaschinen verstehen und Inhalte bewerten könnten), mit Kommunikationskompetenz (die auch nicht eindeutige Sachverhalte differenziert erklären und diskutieren können), mit Lernkompetenz (die wissen, dass Lernen nicht nur das Wiedergeben des Wissens anderer ist).

ChatGPT stellt aber die etablierte Kulturtechnik „Texte schreiben“ infrage und entlarvt einen Teil der textbasierten Kommunikation als unangemessen für eine digitale Gesellschaft.

Eine Idee, ein Konzept, eine Aussage in einen möglichst plagiatsfreien linearen Text zu verpacken, damit dieser von anderen Personen gelesen werden kann, ist in vielen Fällen weder notwendig noch sinnvoll.

Für mich hat das Schreiben eines linearen Textes eine wichtige „kognitive“ Funktion. Es hilft mir dabei, Gedanken zu sortieren, zentrale Ideen zu fokussieren, eine Argumentation zu durchdenken. Aus einer kognitionspsychologischen Perspektive ist ein Text dann zunächst die externale Repräsentation eines mentalen Inhalts. Damit wird für mich und andere greifbar – lesbar – was ich denke und meine. Und damit ist ein geschriebener Text immer auch Kommunikation.

Im Vergleich zu anderen Repräsentationsformen, z. B. ein Gespräch, eine Grafik, ein Kunstwerk oder nonverbale Kommunikation, kann ein Text eindeutiger sein. Was ich schwarz auf weiß habe … kann ich nachher nicht mehr ungesagt machen.

Wir nutzen geschriebenen Text aber inflationär.

  • Wer eine Suchmaschine bedienen kann, wird im Netz zu jedem Thema Informationen finden, die in vielen Fällen von hoher Qualität sind. Welchen Mehrwert hat es, einen Text zu erstellen, der so oder so ähnlich bereits tausendfach existiert?
  • Grundlage für viele Zeitungsartikel sind Pressemitteilungen und Agenturmeldungen, die umgeschrieben und neu zusammengesetzt werden, damit im Ideal-Fall ein interessanter und gut lesbarer Text entsteht. Unterscheiden sich die vielen (Online-)Zeitungen noch voneinander?
  • Studierende schreiben Hausarbeiten zu einem vorgegebenen Thema, in denen sie wiedergeben, was sie gelernt, gelesen oder recherchiert haben. Fördert das die persönliche Weiterentwicklung? Welche Kompetenz messen wir damit?

Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wann das Erstellen eines linearen Textes sinnvoll ist und welche Funktion ein Text im Vergleich zu anderen Repräsentationsformen. Wo sind Stichworte, Aufzählungen, eine tabellarische Darstellung, ein Pattern, ein Hypertext, eine Mindmap, eine Flowchart, eine Skizze zielführender. Wo ein direkter Austausch im Gespräch?

Einerseits hat ChatGPT vielleicht ein ähnlich disruptives Potenzial wie der Buchdruck. Der Buchdruck war eine Voraussetzung dafür, dass breitere Teile der Gesellschaft geschriebene Texte rezipieren können. Auch ChatGPT wird die Kulturtechnik „Texte schreiben“ langfristig radikal verändern. Anderseits ist ChatGPT aber nur ein Werkzeug. Wir werden es möglicherweise wie Stift und Papier (oder ein Computerprogramm zur Textverarbeitung) als ein selbstverständliches Hilfsmittel zur Produktion von Text nutzen.

Für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem disruptiven Potenzial von ChatGPT sollten wir die technologischen Möglichkeiten nutzen und auch den Lernenden in unseren Schulen und Hochschulen zeigen, was möglich ist. Dann haben wir die Chance, gemeinsam den Wert der Kulturtechnik „Texte schreiben“ zu reflektieren und sie gemeinsam für eine digitale Welt weiterzuentwickeln.

Der Text wurde ohne Unterstützung durch KI erstellt. Die Rechtschreibkorrektur erfolgt mit LanguageTool. Das Artikel-Bild wurde mit DALL-E 2 erstellt.

Ende November hat OpenAI ChatGPT gelauncht. Fünf Tagen später hatten sich bereits über 1 Million Nutzerinnen und Nutzer angemeldet und den Chatbot getestet. Der Bot basiert auf einem Sprachmodell, das er sich mithilfe künstlicher Intelligenz „selbst beigebracht“ hat, mit bestärkendem Lernen auf Basis von Trainingsdaten.