Gestern war ich bei einem Historytainment-Vortrag von Dr. Susanne Buck, einer Kulturanthropologin aus Oppenheim bei Mainz. Der Vortrag trug den Titel „Mademoiselle Coco und Madame Kitmir – eine Geschäftsbeziehung in Paris“ und hatte mich neugierig gemacht.
Coco Chanel hatte, wie viele wissen, 1914 und 1916 erste Boutiquen in Frankreich eröffnet und war mit ihrer Mode schnell erfolgreich. Sie stellte innovative, neue Schnitte vor, die sich an den Alltag ihrer Kundinnen anpassten und im Vergleich zur damaligen Mode sehr praktisch und tragbar waren. Damit erregte sie schnell Aufmerksamkeit und wurde bekannt. Viele Frauen nähten ihre Schnitte nach und genau diese Tatsache nutzte Coco Chanel ganz geschickt für sich. Andere Unternehmer wären daran verzweifelt, dass die Schnitte so simpel waren, dass sie jede Hausfrau nachnähen konnte. Coco Chanel schien das gelassen hinzunehmen und bot zusätzlich zu ihrer Kleidung auch Accessoires an, die sich dann auch die Kundinnen leisten konnten, die sich ihre Schnitte nachgenäht hatten. So war es auch diesen Kundinnen möglich, aus ihrem Kleidungsstück ein Chanel-Teil zu machen.
Die Idee zu den einfachen Schnitten entwickelte Chanel allerdings eher durch Zufall. Sie hatte sehr günstig große Mengen Jerseystoff eingekauft, der sich aber sehr schwer verarbeiten ließ. Aufwändige Designs waren mit diesem Stoff nicht möglich und so entwickelte sie Schnitte mit möglichst wenig Abnähern und Schnickschnack. Und die Frauen liebten sie dafür. Endlich gab es bequeme und praktische Mode für Frauen, da Chanel es geschafft hatte, ein weiches und bequemes Material zu Damenmode zu verarbeiten.
Coco Chanel ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus einem Problem heraus (günstigen Jerseystoff zu Damenmode zu verarbeiten) Innovation entsteht. Nicht aus der Idee heraus, unbedingt etwas Neues zu erschaffen oder aus der Motivation heraus, die Modewelt zu verändern, sondern schlichtweg aus der Idee einen unbändigen Jerseystoff zu verarbeiten, entstanden innovative, neuartige Schnitte und Kleidungsstücke. Coco Chanel war dem Zeitgeist voraus und hatte früh erkannt, dass Frauen keine Kleidung im Püppchen-Stil mehr brauchen, sondern bequeme, alltagstaugliche Mode.
Als Chanel dann bestickte Blusen vertreiben wollte, sprang Marija Pawlowna, die Schwester eines Expartners von Coco Chanel, ein und gründete eine Stickfirma. Pawlowna ließ sich in die Arbeit mit Stickmaschinen einweisen und begann für Chanel bestickte Blusen herzustellen. Schnell konnte sie Ihre Firma Kitmir ausbauen und stellte arbeitslose Exilrussinen als Stickerinnen ein. Ihr Firmenmodell war nicht nur auf Gewinnmaximierung ausgelegt, sondern es war Marija Pawlowna wichtig auch karitative Zwecke zu erfüllen. Ihr Geschäftsmodell war also durchaus vorbildlich und sie hatte die Chance genutzt durch den Erfolg von Chanel auch erfolgreich zu werden. Allerdings war Marija Pawlowna als Prinzessin erzogen worden und hatte sich wenig mit unternehmerischen Ideen auseinandergesetzt. Coco Chanel warf ihr oft vor, dass sie nicht professionell genug auftrete und privates mit geschäftlichem mische. Maria hatte eher naive Vorstellungen davon, Chefin zu sein und machte sich zu wenige Gedanken über ihre wichtigste Kundin Coco Chanel. Während es Chanel wichtig war die bestickten Blusen exklusiv anzubieten, begann Pawlowna damit auch andere Modemacher mit ihrer Stickware zu beliefern. Als Coco Chanel das erfuhr, kündigte sie sämtliche Geschäftsbeziehungen zu Pawlowna. Die Firma Kitmir musste dann einige Zeit später schließen.
Was können wir also von Coco Chanel und Marija Pawlowna lernen?
Als UnternehmerInnen und GründerInnen sollten wir uns vor allem das Beispiel von Marija Pawlowna zu Herzen nehmen. Denn sie hatte durchaus unternehmerisches Gespür und sprang zum richtigen Zeitpunkt auf das Geschäftsmodell von Chanel auf. Allerdings verlor sie sich in ihren eigenen, naiven Ideen des Chef-Seins und träumte davon an einem großen Mahagoni-Schreibtisch zu sitzen, während sie völlig vergaß, sich mit den Bedürfnissen ihrer wichtigsten Kundin Chanel auseinanderzusetzen oder ihr Geschäftsmodell auszubauen.
Eine Vision oder ein Traum, so wie ihn Marija Pawlowna hatte, nämlich an einem großen Mahagoni-Schreibtisch zu sitzen und Chefin zu sein, kann für den eigenen Erfolg sehr wichtig sein. Wir brauchen eine Vision und ein Bild, um unser Ziel vor Augen zu haben. Nur dadurch schaffen wir es, unser Geschäftsmodell oder unsere Idee voranzubringen und tagtäglich vollen Einsatz zu zeigen. Das Beispiel Pawlowna zeigt allerdings auch ganz direkt, wie wichtig es ist, dass wir uns nicht in unserem Traum verlieren und unsere Ideen stets realistisch hinterfragen (und zur Not auch mal verwerfen). Nur weil wir eine Idee haben und etwas wollen, heißt das leider noch lange nicht, dass wir sie auch umsetzen können.
Mein Tipp also: Setzen Sie sich kritisch mit sich selbst und Ihrer Idee auseinander und prüfen Sie, ob Sie wirklich die nötigen Fähigkeiten haben, um aus Ihrer Idee ein Geschäftsmodell zu machen. Und holen Sie sich dann gezielt Hilfe, um bspw. Ihre kaufmännischen Kenntnisse aufzubessern, Ihre kommunikativen Fähigkeiten zu schulen oder Ihre Marketingstrategie zu optimieren.
Mein Fazit zu dem Historytainment-Vortrag von Dr. Susanne Buck: Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Denkanstöße und Ideen aus einem Vortrag über Unternehmerinnen aus dem Paris der 20er Jahre mitnehme. Menschen machen meistens die gleichen Fehler und daher lohnt es sich durchaus, sich mit GründerInnen und UnternehmerInnen aus der Vergangenheit zu beschäftigen. Coco Chanel zeigt, Innovation entsteht nicht nur durch den Willen, etwas Neues zu erschaffen, sondern oft aus der Notwendigkeit heraus. Und das macht ein Produkt oder eine Dienstleistung unglaublich erfolgreich. Denn wenn etwas aus einer Notwendigkeit heraus entsteht, dann löst es meistens auch Kundenprobleme. Und wir kaufen sehr gerne Lösungen oder Produkte, die uns das Leben leichter machen.