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Absurdes Engagement

Ich bin ein engagierter Mensch. Wenn der Kindergarten zur Gartenaktion aufruft, stehe ich mit der Heckenschere am Fliederbusch. Wenn Musik gebraucht wird, bringe ich meine Gitarre mit. Wenn für die Weihnachtsfeier bei der Arbeit Essensbeiträge gebraucht werden, stelle ich mich in die Küche und koche und backe. Aber letztes Jahr habe ich mich zu Weihnachten bei einem Engagement ertappt, das schon absurd war.

Ich bin ein engagierter Mensch. Wenn der Kindergarten zur Gartenaktion aufruft, stehe ich mit der Heckenschere am Fliederbusch. Wenn Musik gebraucht wird, bringe ich meine Gitarre mit. Wenn für die Weihnachtsfeier bei der Arbeit Essensbeiträge gebraucht werden, stelle ich mich in die Küche und koche und backe. Aber letztes Jahr habe ich mich zu Weihnachten bei einem Engagement ertappt, das schon absurd war.

Der Förderverein des Kindergartens hat für den Stand auf dem Weihnachtsmarkt Kindermützen genäht. Nachdem ich die Zielgruppe an der Wurzel studiert habe („Ich will eine Eiskönigin-Mütze! Eis-Kö-Ni-Gin!“) bin ich in die nächste Großstadt auf eine Stoffmesse gefahren, um für 50 Euro bedruckten Stoff mit Eiskönigin-Motiv zu besorgen. Diesen habe ich dem Kindergarten gespendet. Im Nähtreff habe ich dann fleißig Mützchen aller Größen genäht. Und was habe ich dann auf dem Weihnachtsmarkt getan? Ich habe für 13 Euro eine der Mützen gekauft!

Rational betrachtet habe ich damit dem Förderverein nicht nur über 60 Euro gespendet, sondern auch ca. 20 Stunden unbezahlte Arbeitszeit. Bei einem Mindestlohn von 8.50 Euro wäre ich mit einer großzügigen Spende von 150 Euro an den Förderverein nicht nur günstiger weggekommen, sondern hätte meine Abende gemütlich auf dem Sofa verbracht.

Seitdem ertappe ich mich immer wieder bei absurdem Verhalten. Besonders lustig wird es, wenn ich meine Zeit in Stundenlohn umrechne. Ich bringe Briefe persönlich an Adressen innerhalb der Stadt, um die 80 Cent Briefmarke zu sparen (umgerechneter Stundenlohn: 1,60 Euro). Ich fahre in den nächsten Ort, um einen Rucksack dort im Angebot zu kaufen (Stundenlohn abzüglich Fahrtkosten: ca. 3 Euro). Ich backe Zimtsterne statt sie zu kaufen (Stundenlohn: 4 Euro).

Wenn Zeit Geld ist, dann ist Geld auch Zeit. Anstandslos bezahle ich dem Babysitter ja auch 10 Euro für eine Stunde Freizeit. Warum nicht mir selbst? Seit mir das klar geworden ist, kaufe ich mir für 80 Cent (der Wert der Briefmarke) eine halbe Stunde Freizeit. Ich kaufe mir für wenige Euro viele Stunden Zeit, indem ich nicht mehr alle Preise in allen Orten vergleiche. Und manchmal gönne ich mir einen Artikel neu und gewinne Stunden dazu, wenn ich die Jagd nach der Second Hand Variante einfach weglasse.

Aber rational betrachtet gibt es ja mehr als das Rationale. Beim Mützennähen habe ich wieder nebenbei viel gelernt und tolle Leute kennengelernt. Manche Fähigkeit habe ich beim absurden Engagement mitgenommen und viele Freundschaften hätten sich nie ergeben, wenn wir nicht gemeinsam auf Weihnachtsmärkten gefroren, in Küchen geschwitzt, beim Singen die Hälse heiser gesungen oder beim Gärtnern geackert hätten. Ich kenne Ehen, die sich beim gemeinsamen (absurden) Engagement angebahnt haben. Dazu kommt: Nähen macht mir einfach Spaß, Backen entspannt mich und manchmal tut mir die halbe Stunde an der Luft, die ich mit dem Brief herumspaziere, schlichtweg gut. Gemütliche Abende auf dem Sofa werden auch irgendwie überbewertet.

Dort, wo mir aber die Tätigkeit keine Freude macht oder ich viel lieber etwas anderes täte, habe ich mir angewöhnt, meinen eigenen Stundenlohn auszurechnen. Und voila! Ganz oft kann ich mir für sehr wenig Geld sehr viel Freizeit kaufen. Ich kann also nur empfehlen zu überlegen, was die eigene Stunde Arbeitszeit so wert ist. Und wenn der Stundenlohn lächerlich ist, die Sache keine Freude macht und der Partner fürs Leben bereits auf dem Sofa sitzt, dann kaufen Sie sich doch ein bisschen Zeit. Denn auch Sofaabende müssen sein. Und sonst? Rein ins absurde Engagement! Wer weiß, was Sie dort Neues lernen und wen Sie dort kennenlernen.