Wir veranstalten auf diesem Blog ein Themenspecial zu New Work. Dabei ist es nicht unser Anliegen, den Begriff zu schärfen, sondern wir wollen New Work auf ein psychologisches Fundament stellen. Unser Ziel ist eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Arbeiten 4.0, denn wir sind überzeugt davon, dass die Psychologie einen wertvollen Beitrag leisten kann, Arbeit sinnhafter und „besser“ zu gestalten. Zu häufig wird New Work vor dem Hintergrund von Technologien, Strukturen und Methoden diskutiert. Wir rücken den Menschen in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten und den Menschen eine Orientierung geben auf dem Weg in die veränderte Arbeitswelt.
Dazu haben wir mit 3 Professorinnen und Professoren gesprochen: Professorin Sabine Sonnentag, Professorin Claudia Peus und Professor Kai Sassenberg. Sie forschen und lehren zum Thema Arbeit, Führung und Führungskräfteentwicklung und wir haben Sie zu ihren Eindrücken zu den Veränderungen der Arbeitswelt befragt. Viel Spaß beim Lesen!
Das folgende Interview führte Dr. Annika Scholl mit Prof. Dr. Sabine Sonnentag zum Thema “New Work und Erholung”.
Prof. Dr. Sabine Sonnentag leitet den Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie ArbeitnehmerInnen auch angesichts eines hohen Ausmaßes an Stressfaktoren bei der Arbeit gesund, engagiert und produktiv bleiben können. Für ihre Forschung erhielt sie z.B. im Jahr 2018 den Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie für die Ehrung des wissenschaftlichen Lebenswerks.
1. Was sind große Herausforderungen, die sich für Mitarbeitende und Führungskräfte durch neue Formen der Organisation und Arbeit ergeben?
Prof. Dr. Sabine Sonnentag: Neue Formen von Organisation und Arbeit kann ja ganz viel heißen. An der Oberfläche heißt es häufig: Digitalisierung der Arbeit, Aufweichen von starren Arbeitszeiten und teilweise auch Arbeitsorten. Es kann auch heißen, dass Hierarchien in Organisationen flacher werden, dass einzelne mehr Autonomie bei der Arbeit haben und dass generell flexibler gearbeitet werden kann – aber auch muss. Darunter steckt die Vorstellung, dass das Verständnis von Arbeit und dem Sinn der Arbeit sich grundlegend ändern. Als Wissenschaftlerin stelle ich mir natürlich auch die Frage: Was an “New Work“ ist primär normativ oder was spiegelt tatsächliche Veränderungen wieder? Sind die positiven Zukunftskonzepte wirklich so neu – oder kommen sie nur in einem neuen Gewand (Stichworte Digitalisierung, Globalisierung) daher? Und: für wen gilt diese neue Arbeitswelt eigentlich? Häufig denkt man bei “New Work” vor allem an Wissensarbeiterinnen und -arbeiter in der sogenannten ersten Welt. Aber was ist mit anderen Gruppen von Arbeitenden – sowohl bei uns aber auch global gesehen?
2. Welche Aspekte sind dabei besonders bedeutsam, wenn es um die Erholung nach der Arbeit geht?
Prof. Dr. Sabine Sonnentag: New Work bedeutet oft auch: (Fast) überall und (fast) immer arbeiten zu können. Das bedeutet, dass Arbeit in jeden Winkel des Lebens “kriechen” kann. Die klaren Grenzen zwischen Arbeit und dem Leben außerhalb der Arbeit, die es in traditionelleren Arbeits-Arrangements gab, verschwimmen. Das heißt auch: Von außen – quasi selbstverständlich – vorgegebene Erholungszeiten und Erholungssettings gibt es nicht mehr. Es ist nicht mehr so, dass abends automatisch Feierabend ist und dass das Zuhause nur dem Privatleben vorbehalten ist. Wenn es diese Grenzen nicht mehr automatisch gibt, muss jede und jeder sich diese neu schaffen. Ohne diese Grenzen ist Arbeit immer und überall möglich. Und wenn immer und überall die Möglichkeit der Arbeit besteht, wird es schwer, sich vom Arbeiten frei zu machen, d.h. die Arbeit auch mal hinter sich zu lassen und von der Arbeit abzuschalten. Von der Arbeit abzuschalten, ist jedoch langfristig für die meisten notwendig, um fit und vital zu bleiben – selbst wenn man sehr gerne arbeitet.
3. Wie können ArbeitnehmerInnen und Organisationen dafür sorgen, dass (auch oder gerade) durch neue Formen der Arbeit ausreichend für Erholung gesorgt ist?
Prof. Dr. Sabine Sonnentag: Erholung muss jede und jeder selbst in die Hand nehmen. Also bewusst Zeiten zu schaffen, in denen man nicht arbeitet und in denen es man sich erholt. Wichtig ist auch, diese Zeiten zu planen und ggf. mit Partnerin und Partner, Familie und den Freunden abzustimmen, sodass es auch gemeinsame Erholungszeiten gibt, in denen man zusammen etwas unternehmen kann. Wichtig erscheint mir, dass man sich selbst Grenzen setzt, für sich also Zeiten festlegt, in denen man nicht arbeitet oder auch Orte, an denen man nicht arbeitet, das bedeutet auch: Zeiten und Orte an denen man, “nur eben mal” die E-Mails checkt. Organisationen können gute Erholung unterstützen, indem sie signalisieren: es ist gut, Freizeit zu haben und auch regelmäßig nicht für die Arbeit zur Verfügung zu stehen. Klar, wichtig sind dann transparente Vertretungsregeln und klar kommunizierte Erwartungen was die (digitale) Erreichbarkeit anbelangt. Da kommt es wahrscheinlich auch auf Feinheiten an: also “ihr dürft auch nicht arbeiten und stattdessen andere Dinge tun” anstatt “ihr dürft nicht arbeiten”.
Lesetipp: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191308518300054
Das folgende Interview führte Dr. Kristin Knipfer mit Prof. Dr. Claudia Peus zum Thema “New Work & Lebenslanges Lernen”.
Prof. Dr. Claudia Peus, Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der Technischen Universität München, ist Geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity sowie Vice Dean of Executive Education. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den personalen, organisationalen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren auf effektive Führung und evidenzbasierten Ansätzen der Führungskräfteentwicklung. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung und Implementierung von Interventionen zur Förderung von Innovation und Leistung in Forschungseinrichtungen und Unternehmen der Wirtschaft.
1. Wir diskutieren im Themenspecial New Work die derzeitigen Veränderungen in der Arbeitswelt, die vor allem durch die Digitalisierung getrieben sind, beispielsweise agile teamwork, Netzwerkdenken statt Hierarchie, geteilte Führung. Was sind aus deiner Sicht die drei größten Chancen von New Work bzw. New Ways of Working?
Prof. Dr. Claudia Peus: Ich glaube, dass wir uns zunächst immer wieder vor Augen führen müssen, dass die Digitalisierung riesige Chancen bietet. Zum Beispiel erhalten dadurch Personen Zugang zum Wissen der Welt, die früher nie eine vergleichbare Chance hatten, weil sie z.B. in abgelegenen bzw. ärmeren Regionen ohne Bibliotheken wohnen. Das ermöglicht ihnen Bildung und letztendlich Selbständigkeit. Für uns in der „entwickelten Welt“ bietet sich die Chance, dass unabhängig von Ort und Zeit gearbeitet werden kann und somit für den Einzelnen viel höhere Flexibilität entsteht. Für Organisationen entsteht ein Mehrwert auch dadurch, dass so eine wirkliche Leistungskultur entstehen kann, in der erbrachte Resultate (und nicht lange Anwesenheit) im Vordergrund stehen. Schließlich erlauben die Veränderungen, Führung neu zu denken. Weg von alten Hierarchien hin zu einem Verständnis von Führungskräften als Ermöglicher, Coach, Dirigent.
2. Inwiefern verändern sich aufgrund der Digitalisierung aus Deiner Sicht auch Lern- und Bildungsprozesse – bzw. müssen sich verändern, damit wir alle mitnehmen und fit machen können für eine digitale Arbeitswelt?
Prof. Dr. Claudia Peus: Ich glaube, dass die Digitalisierung uns alle herausfordert, noch schneller und radikaler weiter- bzw. umzulernen. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass das, was wir z.B. einmal im Studium gelernt haben, ein Leben lang gültig ist und uns produktives Arbeiten ermöglicht. Aus meiner Sicht spielen dabei Universitäten eine entscheidende Rolle, das lebenslange Lernen auch und gerade von Fach- und Führungskräften aller Disziplinen systematisch zu fördern. Die TUM stellt sich dieser Herausforderung und rückt die Förderung des lebenslangen Lernens in den Blickpunkt der Universität.
3. Als Vizepräsidentin Talent Management & Diversity der TUM und als Vice Dean Executive Education kannst du die Führungskräfteentwicklung der Zukunft ganz aktiv gestalten. Was ist Deine persönliche Vision für den Bereich Personalentwicklung und Weiterbildung?
Prof. Dr. Claudia Peus: Ich gehe davon aus, dass in Zukunft „personalisierte Weiterentwicklung“ analog zur personalisierten Medizin möglich ist. Das bedeutet, dass jeder und jede genau nach dem entsprechenden aktuellen Bedarf und vor dem Hintergrund der eigenen Fähigkeiten, Interessen, persönlichen Lebenssituation und des Lernstils optimal gefördert wird. Das ermöglichen uns digitale Tools – wie digitale Coaches – so gut wie nie zuvor.
Das folgende Interview führte Dr. Nicole Behringer mit Prof. Dr. Kai Sassenberg zum Thema “New Work und Führung”.
Prof. Dr. Kai Sassenberg ist Professor an der Universität Tübingen und Leiter der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse am Leibniz-Institut für Wissensmedien. In seiner Forschung setzt er sich unter anderem mit den Themen Führung sowie dem Einfluss sozialer Beziehungen auf Wissensaustausch und Zusammenarbeit auseinander.
1. Wie verändern sich die Anforderungen an Führungskräfte im Zuge der Digitalisierung?
Prof. Dr. Kai Sassenberg: Eine wesentliche Veränderung tritt durch die Entkopplung von Arbeitszeiten und -plätzen von Führungskräften und ihren Mitarbeiter/innen auf. Dies verändert die Anforderungen deutlich: Führung unter diesen Bedingungen kann nicht mehr im Sinne von Anweisungen und Fehler-Feedback (also als Transaktionale Führung) erfolgen. Viel mehr ist eine Transformationale Führung notwendig. Dabei müssen Mitarbeitenden Visionen und Ziele vermittelt werden. Hilfreich ist auch die Vereinbarung klarer Ausführungsregeln, damit Mitarbeitende nicht unnötig mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit konfrontiert werden. Auf die Entkopplung sollte also mit einer Kombination aus Verantwortungsübergabe an die Mitarbeitenden und klaren Vorgaben hinsichtlich der Ziele und Standards reagiert werden. Neben der Entkopplung führt die Digitalisierung und die damit verbundene schnelle Übertragung von Daten und Kommunikation und die ständige Verfügbarkeit zu der Erwartung, dass schnell und jederzeit auf Anfragen reagiert wird. Hier müssen Führungskräfte und Mitarbeitende klar kommunizieren, welche Erwartungen angemessen sind, um Frustration auf beiden Seiten zu vermeiden.
2. Agile Führung ist ein Führungsverhalten, das zur Agilität einer Organisation beiträgt. Ein Aspekt der agilen Führung das Empowerment, also der Grad der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden. Wie können Führungskräfte die Selbstverantwortung in ihrem Team steigern?
Prof. Dr. Kai Sassenberg: Zentral für die Übernahme von Verantwortung durch Mitarbeitende ist, dass diese die organisationalen Ziele verinnerlichen. Nur für die Ziele, die ihnen selbst auch relevant und sinnvoll erscheinen, werden Mitarbeitende Verantwortung übernehmen. Es gibt zwei Hauptwege dies sicherzustellen: Zum einen sollte über Ziele und Wege zu deren Erreichung soweit möglich partizipativ, also unter Einbeziehung der Mitarbeitenden, entschieden werden. In Bereichen, in denen nicht partizipativ vorgegangen werden kann, sollten zumindest die Gründe für Maßnahmen transparent gemacht werden und Meinungen von Mitarbeitenden sollten gehört und ernstgenommen werden. All dies trägt zur Internalisierung von Zielen bei. Zusätzlich und eng damit verknüpft ist die Identifikation mit dem Team oder der Organisation. Die Identifikation kann durch positives Arbeitsklima, gute Arbeitsbedingungen, Anerkennung und das Bewusstmachen von Gründen stolz auf das eigene Team zu sein, befördert werden. Letzteres geschieht durch die Weitergabe von Lob für das Team an die Mitarbeitenden, positive Leistungsvergleiche und ähnliches. Zusätzlich ist auch wichtig, dass Führungskräfte übereinstimmend mit der Grundidee von Agilität Fehler als normal akzeptieren, statt die Mitarbeitenden dafür verantwortlich zu machen, wenn etwas nicht optimal läuft.
3. Durch den Einsatz von Robotern und Künstlicher Intelligenz werden viele Jobs wegfallen, aber gleichzeitig auch viele neue Arten von Arbeit entstehen. Wie kann die Psychologie dazu beitragen, Menschen auf Jobs vorzubereiten, die gegenwärtig noch gar nicht existieren und auf die Nutzung von Technologien, die noch gar nicht entwickelt sind?
Prof. Dr. Kai Sassenberg: Weder die Jobs noch die Technologien werden grundsätzlich anders sein, als das heute der Fall ist. Die Veränderungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach graduell. Sich auf Veränderungen hin zu unbekannten Jobs und Technologien vorzubereiten ist sicher nicht zielgerichtet möglich. Hier wird aber auch gelten was bei jeder organisationalen und individuellen Veränderung gilt: Wandel wird von Menschen häufig abgelehnt, weil das was kommt unbekannt ist und eine Umstellung eventuell zusätzlichen Aufwand bedeutet. Zusätzlich besteht die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn neue Technologien in Unternehmen eingesetzt werden. Die Forschung hat gezeigt, dass Angst und Widerstand vor allem entstehen, wenn Menschen glauben nicht über die notwendige Kompetenz zu verfügen, um eine Technologie zu verwenden. Auch wenn sie mit der gegenwärtigen Situation zufrieden sind, ist die Bereitschaft Veränderungen mit zu tragen oft gering. Kompetenzerleben kann über das Ausprobieren erworben werden, das bei intuitiven Technologien vermutlich zum Erfolgserlebnis führt. Es sollte also aus psychologischer Perspektive nicht nur so früh wie möglich über neue Technologien geredet werden, sondern es sollte auch ermöglicht werden, mit ihnen Erfahrungen zu sammeln. Damit diese Erfahrungen positiv sind, ist eine intuitive Gestaltung der Technologie wichtig. Zentral bei der Kommunikation ist, dass diese verdeutlicht welche Verbesserung die Technologie für die Mitarbeitenden bringt.