Die Autoren des Bestsellers 21st Century Skills haben 2015 ein neues Buch vorgelegt. In „Four-dimensional education: The competencies learners need to succeed.“ stellen sie ein Modell vor, das beschreibt, welche Kompetenzen Lernende im 21. Jahrhundert brauchen. Es geht nicht um das „Wie?“ des Lernens, sondern um das „Was?“. Ich wurde auf das Buch aufmerksam, weil Jöran Muuss-Merholz aktuell eine deutsche Übersetzung vorgelegt hat. Der Fokus der Autoren vom Center for Curriculum Redesign liegt auf Schülern und Studierenden. Es geht um die Entwicklung moderne Curricula für Bildung im 21. Jahrhundert.
Eine Gesamtkonzeption für Organisationales Lernen und Personalentwicklung
Ich halte die Ideen der Autoren auch für den Bereich Organisationales Lernen und Personalentwicklung für relevant. Eine Gefahr der Personal- und Organisationsentwicklung besteht darin, sich von Maßnahme zu Maßnahme zu „hangeln“. Hier ein Training, dort ein Workshop, vielleicht noch das ein oder andere Coaching-Angebot. Das Ganze ergänzt um etwas E-Learning. Das Modell, das die Autoren vorlegen nimmt einen übergeordneten Blick ein. Es geht um die Frage der grundsätzlichen Ausrichtung. Was ist das Ziel von Bildung. Was brauchen wir, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein, persönlich und als Unternehmen.
Welches Wissen, welche Kompetenzen sind notwendig?
Die ersten beiden Dimensionen des Modells sind Wissen und Kompetenz. Diese Unterscheidung ist beinahe schon klassisch, auch wenn sie nicht immer ganz präzise ist. Wissen bezieht sich auf die eigentlichen Wissensinhalte und deren Verstehen. Hier wird klar, dass neben traditionellem Wissen wie Mathe oder Physik eben auch modernes und interdisziplinäres Wissen notwendig ist, z.B. zu Themen wie Nachhaltigkeit, Big Data oder Machine Learning. Kompetenzen beziehen sich auf den Einsatz des Wissens. Wie kann ich das, was ich weiß, aktiv nutzen? Hier nennen die Autoren z.B. Kreativität, kritisches Denken und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit.
Mit Blick auf die Dimensionen Wissen und Kompetenzen sind viele Organisationen nach meiner Einschätzung gut aufgestellt. Es gibt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsangebote auch und gerade zu notwendigem Wissen und Kompetenzen für eine digitale Welt von Design Thinking, über Six Sigma bis zu SAP. Auch die Klage über schlecht ausgebildete Studierende wird geäußert und gehört. Die Frage, was an Hochschulen an Wissen und Kompetenzen dringend vermittelt werden muss, ist nicht geklärt, wird aber diskutiert.
Welche innere Haltung nehme ich ein?
Die dritte Dimension im Modell heißt „Character“. Das könnte man mit Persönlichkeit übersetzten. Ich habe den Begriff „Haltung“ gewählt. Es geht um die Frage, wie wir uns verhalten und uns einbringen. Hier nennen die Autoren Schlagworte wie „Achtsamkeit“, „Neugier“, „Resilienz“, „Ethik“. Auf den ersten Blick könnte man das als „Soft Skills“ abtun, die wichtig, aber für unternehmerischen Erfolg nicht zentral sind. Auch den Vorwurf, hier würden nur Schlagwörter aneinandergereiht, könnte man äußern. Dennoch weißt diese Dimension auf einen wesentlichen Aspekt hin: In einer digitalisierten Gesellschaft brauchen wir eine neue Einstellung unserer Umwelt und unserer Arbeit gegenüber. Drei Beispiele:
- Mobiles Arbeiten ermöglicht neue Freiheiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, birgt aber auch das Risiko der Entgrenzung. Welche Haltung unterstützt dabei, motiviert und engagiert zu bleiben, und gleichzeitig auf sich selbst zu achten?
- Mitglieder der Generation Y möchten selbstbestimmt und sinnorientiert arbeiten. Welche Haltung unterstützt dabei, eigene Interessen und Anforderungen einer Organisation zu vereinbaren?
- Langfristiges Planen ist bei vielen Projekten nicht mehr möglich. Welche Haltung unterstützt dabei, mit Unsicherheit umzugeben und kreative Lösungen zu entwickeln?
Für die genannten Beispiele braucht es Wissen (z.B. über technologische Möglichkeiten) und Kompetenzen (z.B. sich selbst zu managen). Das lässt sich in Trainings und Personalentwicklungsmaßnahmen vermitteln. Die notwendige innere Haltung setzt einen Diskurs über Ziele und Werte einer Organisation voraus. Hier sind wir bei der Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung einer Organisation, und bei daraus resultierenden Transformationsprozessen.
Meta-Lernen: Lernen über Lernen.
Die vierte Dimension heißt Meta-Lernen. Hier geht es darum, eigene Lern- und Entwicklungsprozesse zu reflektieren. Ein Aspekt ist, eigene Lernziele festzulegen, und zu überprüfen, ob und in welchem Ausmaß ein solches Ziel bereits erreicht wurde. Im Arbeitskontext bedeutet das: Was brauche ich, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen? Was habe ich schon, was fehlt mir noch? Wie erfolgreich bin ich? Wer kann mir helfen, wen muss ich noch ins Boot holen. Diese Reflexion über die eigene Arbeit, über Erfolg und Misserfolg ist wie die Dimension Haltung mit einer Transformation verbunden. Wir können dafür Schlagworte wie Agiles Arbeiten verwenden oder Methoden wir Kanban oder Kaizen einsetzen. Damit Transformation möglich wird, braucht es mehr.
Fazit: Wie gut ist meine Organisation aufgestellt?
Aus einer wissenschaftlichen Perspektive ist das vorgestellte Modell nur eines unter vielen ähnlichen Modellen. Insbesondere die Unterscheidung zwischen Wissen und Kompetenzen findet sich in vielen Modellen. Auch der Aspekt Meta-Kognition bzw. Meta-Lernen ist sowohl in der pädagogischen Psychologie als auch in der Kognitionspsychologie im Blick auf die Wirkung auf Lernerfolg gut untersucht. Das Modell hilft dabei, Organisationales Lernen und Personalentwicklung in der Gesamtschau zu betrachten. Wie sind wir als Organisation, als Unternehmen aufgestellt? Welche der vier Dimensionen adressieren wir schon? Wo haben wir noch Entwicklungspotential? Welche Maßnahmen adressieren welchen Aspekt? Und: Das Modell macht den engen Zusammenhang zwischen Personal- und Organisationsentwicklung klar. Wissen und Kompetenzen kann ich an einzelne Mitarbeitende vermitteln. Die für Erfolg notwendige Haltung und passende Reflexionsprozesse müssen die Team- und Organisationsebene miteinbeziehen.
Literaturhinweis: Fadel, C., Bialik, M., & Trilling, B. (2015). Four-dimensional education: The competencies learners need to succeed. Center for Curriculum Redesign.