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Wenn benevolente Diskriminierung ausbleibt

Nachdem ich meine Dialog-Serie über verzerrte Studien jetzt abgeschlossen habe, hat mich der Blitz 153 zum Thema benevolente Diskriminierung an ein Thema erinnert, über das ich noch einen Dialog schreiben wollte. Das ist eine der schönen Seiten der Wissensdialoge — wir sind heterogen, wir stimulieren uns gegenseitig, und wir haben unterschiedliche Blickwinkel, die in Dialogen zum tragen kommen.

Ich würde den Blick auf das Thema benevolente Diskriminierung (neutral übersetzt: wohlwollende Unterscheidung) in diesem Dialog etwas erweitern. Leider ist der Fokus bei benevolenter Diskriminierung meines Erachtens oft selbst recht „benevolent“. Es geht üblicherweise um Beispiele, in denen Frauen die Kompetenzen abgesprochen werden oder sie andere konkrete Nachteile haben (der üblichen Interpretation von „Diskriminierung“ als „Benachteiligung“ folgend). Benevolente Diskriminierung geht in der Definition hier mit herablassend und karriereschädlich für Frauen einher. Kein Wunder, dass sich Frauen wie Männer hier zurecht über die negativen Folgen aufregen.

Benevolente Diskriminierung (angelehnt an Yeung, 2012) umfasst generell die Ansichten, dass:

  • Frauen von Männern beschützt und versorgt werden sollten (für mich die klassischen Beispiele: „Frauen und Kinder zuerst“, oder die Alltagsform: „Wer bekommt den Sitzplatz, z.B. im überfüllten Meeting oder am Flughafen?“, oder auch: „Wer zahlt bei einem Date?“)
  • Frauen sich in bestimmten Bereichen positiv von Männern abheben (z.B., moralischer oder kultivierter sind)
  • Frauen in romantischer Hinsicht bewundert werden sollten und Männer die Liebe einer Frau benötigen, um glücklich zu sein (Beispiele für mich: die Single-Frau ist unabhängig, der Single-Mann ein Versager).

Diese wohlwollende Unterscheidung ist nicht vereinbar mit der Ansicht, dass man Individuen geschlechtsunabhängig behandeln sollte. Persönlich teile ich die Ansicht, dass das Geschlecht irrelevant sein sollte — zumindest für die meisten Bereiche. Mir ist es bis auf wenige (üblicherweise private) Bereiche egal, ob eine Person männlich oder weiblich ist. Im beruflichen Bereich zählen Kompetenz und Professionalität, und dafür ist Geschlecht weder ein Garant noch ein Hindernis.

Viele dieser „wohlwollenden“ Ansichten sind gesellschaftlich allerdings nicht nur toleriert, sondern immer noch erwartet. Das wirft die praxisrelevante Frage auf: Wie werden Personen wahrgenommen, die anscheinend alles richtig machen und weder Männer noch Frauen bevorzugen?

Hier gibt es eine interessante Arbeit von Yeung (2012) die sich anschaut, was passiert, wenn benevolente Diskriminierung ausbleibt. Das Fazit der Arbeit ist, stark vereinfacht gesagt: Zeigt jemand keinen benevolenten Sexismus, gehen Personen davon aus, dass diese Person eher feindseligen Sexismus zeigt.

Runtergebrochen: Wenn eine Person nicht der Ansicht ist, dass man

  • Frauen beschützen/für sie sorgen sollte,
  • ihnen positive Eigenschaften aufgrund ihres Geschlechtes zuschreibt, oder
  • sie romantisch auf ein Podest stellen sollte

dann gehen Personen davon aus, dass diese Person

  • Frauen weniger stark beruflich unterstützt,
  • ein schlechterer Vater und Ehemann ist, und
  • eher zu häuslicher Gewalt neigt.

Nicht wirklich die Einschätzung, die man erhalten möchte.

Dieses „dafür oder dagegen“, entweder man bevorzugt Frauen, oder man muss gegen Frauen sein, ist beeindruckend. Ein „ich mache keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen“ ist hier keine automatische Einschätzung. Zumindest nicht, sofern die Person nicht direkt zu Beginn deutlich macht, dass sie eine egalitäre Position vertritt. Macht diese Person klar, dass sie egalitäre Ansichten vertritt, verhindert dies eine solche automatische Zuschreibung von „wenn die Person keinen benevolenten Sexismus zeigt, dann muss sie feindseligen Sexismus aufweisen“. Und das ist auch der Grund, warum ich meine Position zu Beginn geäußert habe. (Und auch wenn es … problematisch ist, von einer einzelnen Studie Verhaltensempfehlungen abzuleiten, Sie sollten das vermutlich ebenfalls machen. Äußern Sie explizit, dass die Leistung zählt, nicht das Geschlecht. Und dies ist ein zweischneidiges aber faires Schwert: Weder männlich noch weiblich zu sein bietet hier einen inhärenten Vorteil.)

Die Arbeit ist nur eine Masterarbeit und deswegen (und aufgrund kleinerer Schwächen) mit Vorsicht zu genießen (vereinfacht: Masterarbeiten werden von Anfängern/innen unter wissenschaftlicher Betreuung durchgeführt und unterliegen keiner unabhängigen Begutachtung von anderen Wissenschaftlern/innen). Aber ich halte sie für relativ gut — und sehr illustrativ. Mir persönlich kommt das Ergebnis bekannt vor.

Es ist einfach, Fälle mit klaren Nachteilen zu kritisieren, das entspricht den Zeitgeist und der benevolenten Diskriminierung Frauen beschützen und versorgen zu wollen. Wir haben in unserer Gesellschaft diesen sehr starken Schutzinstinkt und einen „Frauen sind wunderbar“ Effekt (Frauen heben sich in bestimmten Bereichen positiv von Männern ab). Kratzt man allerdings an der wohlwollenden Unterscheidung führt dies zu starker Reaktanz.

Eine Argumentation für tatsächliche Gleichbehandlung unabhängig vom Geschlecht wird oft mit einem Angriff auf Frauen gleichgesetzt. Wir reden hier nicht mehr von Fällen mit direkt sichtbaren negativen Konsequenzen (z.B., eine Frau automatisch wie eine Sekretärin zu behandeln, falls das in der westlichen Welt noch relevant ist; wobei ich hier anmerken würde, dass man dabei Sekretäre/innen unterschätzt), sondern auch von Fällen, in denen die wohlwollende Unterscheidung zunächst greifbare Vorteile bringt. Auch wenn sie langfristig schädlich ist und dem eigentliche Ziel einer geschlechtsunabhängigen Behandlung den Wert nimmt.

Und diese Reaktanz ist beeindruckend: Gerade wenn es um Gender und (negative) Diskriminierung geht, fliegen rationale Argumente üblicherweise als erstes aus dem Fenster, dicht gefolgt von der Karriere der Person, die für eine tatsächliche geschlechtsunabhängige Behandlung plädiert. Das Thema ist einfach hochemotional und hoch-ideologisiert. Und das macht es extrem schwer, öffentlich und sachlich über das Thema zu diskutieren.

Das führt zu der interessanten Situation, in der Personen sich privat für eine geschlechtsunabhängige Behandlung äußern, sich aber nicht an öffentlichen Diskussionen beteiligen. Aus nachvollziehbaren Gründen, da sie negative und übersteigerte Reaktionen befürchten. Was nicht dem Zeitgeist entspricht wird oft „niedergemacht“. Unsere „outrage culture“ (oder eher: „outrage porn culture“) verzerrt sachliche aber kritische Aussagen, verbreitet diese in Windeseile, und zerstört oder schädigt politische wie wissenschaftliche Karrieren. Taktiken die auf Scham oder sozialen Druck basieren bestimmen oft was angebracht ist — und was nicht. Und Humor wird entweder nicht verstanden, nicht toleriert, oder als ernst gemeinte Aussage entstellt.

Bedenkenswert ist hierbei das — meines Erachtens — zunehmende Bestreben, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung durch subjektive Befindlichkeiten zu ersetzen. Diese Krankheit breitet sich meines Erachtens in den USA aus, ist bis nach England gekommen, und wird dort vermutlich nicht verbleiben. Skeptizismus und kritisches Denken sind hier nicht erwünscht. Diskussionen sind datenfern und fokussieren auf Teilprobleme. Nicht nur als Psychologe habe ich damit meine Schwierigkeiten. Die soziale Welt ist komplex, aber es gibt auch hier ein besser und schlechter unterstützt. Man kann Studien durchführen, die zumindest versuchen, möglichst objektiv zu sein (viele sind allerdings die Elektronen nicht wert, mit denen sie dargestellt werden: siehe die Serie Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV). Komplett objektiv wird man zugegebenermaßen nie sein, aber gute Studien sind um Klassen besser als subjektive Befindlichkeiten oder ideologisch geformte Studien, welche schon im Vorfeld bestimmen wie die Daten aussehen müssen.

Und wenn keiner widerspricht, wenn andere Sichtweisen nicht geäußert werden, weil Personen Angst vor negativen Konsequenzen haben, dann dominieren Ideologen/innen die Diskussion, oder Personen mit einer eigenen eher materiellen Agenda. Kleine aber lautstarke Gruppen, die den Zeitgeist ausnutzen und wissen, wie man emotionale Schwachstellen und Unsicherheiten ausnutzt um persönlich zu profitieren. „Des Kaisers neue Kleider“ im 21. Jahrhundert — Märchen sind aus gutem Grund so überdauernd.

Und auch wenn es das Thema Geschlechtergerechtigkeit zu einem Tretminenfeld macht, in dem es schwierig ist, seinen eigenen Weg zu gehen, macht es das Thema auch unglaublich interessant. Es sind die hoch umstrittenen und hoch emotionalen Bereiche, die einem sehr viel über Personen und Gruppen sagen (können). In der Hinsicht, weitere Beispiele, insbesondere gesellschaftlich akzeptable und geförderte Formen, oder wen man gemeinhin als Entscheidungsinstanz sieht, gibt es vermutlich in einem späteren Dialog.

 

Quelle:

Yeung, A. W. Y. (2012). Lay misperceptions of the relationship between men’s benevolent and hostile sexism. University of Waterloo.

Bildnachweis: By dalbera from Paris, France [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons